Eine Gespenstergeschichte

„After his unceremonious exit from The Velvet Underground in the Fall of 1968, his affairs first seemed promising. He‘d just married the designer Betsey Johnson, the young couple parading that day through New York with matching white corsage and boutonniere. They lived together in a sprawling loft near La Guardia Place, in Manhattan. He had made Nico‘s „The Marble Index“, then The Stooges‘ crucial debut. A true musical Zelig, he was in the hunt for other production work.“ (die ersten Zeilen der neuen liner notes der Domino-Edition von John Cales „Paris 1919“, verfasst von Grayson Haver Currin)


Die vier „Musikbücher“, die auf meiner Leseliste für 2025 ganz oben stehen, sind von Robyn Hitchcock, Brian Eno, Mark Doyle, und Jan Reetze. Das Buch mit dem geringsten Überraschungsgehalt wird wohl Enos „What Art Does“ sein, weil ich mit seinen Gedanken sowieso sehr vertraut bin. Ich hoffe auf spannende Abschweifungen, sideteps, kleine Stories fernab seiner „repertoire stories“.

Mit Robyns Zeitreise ins Jahr 1967 habe ich unlängst begonnen – und bin fasziniert (ich habe überhaupt kein Album von ihm). Gerade lese ich, wie der junge Robyn in Bob Dylans „Highway 61 Revisited“ eintaucht. Den letzten Anstoss, das Buch zu lesen, gab eine Empfehlung von Michael Chabon. Und nach seinem feinen Buch über Kraftwerks „Autobahn“ bin ich gespannt auf Jans kommenden Streich: es wird das Buch mit dem grössten „Surprise“-Faktor sein, denn das „Objekt“ seines Interesses kenne ich nur sehr wenig. A propos Überraschung: comment 1 enthält genau das!

Auf Mark Doyles früh im Februar erscheinendes „Taschenbuch“ stiess ich erst, als Norbert E. mich auf die letztjährige, aus seiner Sicht wunderbare, Wiederveröffentlichung von John Cales Liederalbum von 1973 hinwies. Und ich kann nur zutimmen, in jeder Hinsicht. Auf dieser nun als Doppel-Vinyl vorliegenden Ausgabe (auf den Seiten drei und vier finden sich Outtakes und andere Überraschungen wie „Fever Dream 2024: You’re A Ghost“) finden sich, neben einem Blatt voller „lyrics“, auch ein paar Porträtfotos des Künstlers als junger Mann.

Unschlagbar das Coverfoto mit leichtem „Gilb“ und dezenter Überbelichtung, das wie ein Schnappschuss des Zeitreisenden John aus dem alten Paris wirkt. Eine Gespenstergeschichte besonderer Art ist „Paris 1919“ ohnehin, und der wohl von Mark Doyle selbst verfasste Pressetext ist eine gelungene Einstimmung. Ich gönne all denen, die die Schallplatte nie oder nur flüchtig gehört haben, ein – möglicherweise – unvergessliches erstes Mal. Stoff zum Versinken!

„John Cale’s enigmatic masterpiece, Paris 1919, appeared at a time when the artist and his world were changing forever. It was 1973, the year of the Watergate hearings and the oil crisis, and Cale was at a crossroads. The white-hot rage of his Velvet Underground days was nearly spent; now he was living in Los Angeles, working for a record company and making music when time allowed. He needed to lay to rest some ghosts, but he couldn’t do that without scaring up others. Paris 1919 was the result.

In this vivid, wide-ranging book, Mark Doyle hunts down the ghosts haunting Cale’s most enduring solo album. There are the ghosts of New York – of the Velvets, Nico, and Warhol – that he smuggled into Los Angeles in his luggage. There is the ghost of Dylan Thomas, a fellow Welshman who haunts not just Paris 1919 but much of Cale’s life and art. There are the ghosts of history, of a failed peace and the artists who sought the truth in dreams. And there are the ghosts of Christmas, surprising visitors who bring a nostalgic warmth and a touch of wintry dread. With erudition and wit, Doyle offers new ways to listen to an old album whose mysteries will never fully be resolved.“

2 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Funny coincidence:

    Just got the link to today’s Sunday review in Pitchfork: HERE!

    The guy who wrote the liner notes for the reissue of Cale’s album, has written it. Grayson Haver-Currin takes us in another time travel to the early 70’s and elsewhen😉 …. Popol Vuh Time.

    Der Anfang der Rezension lautet so (offensichtlich ist Grayson ein Spezialist für gute Anfänge:): „ Die Prämisse ist fast schon so, dass man zusammenzuckt. Stellen Sie es sich vor: Eine elektronische Band an der Spitze der Technologie und des Klangs – angeführt von einem rätselhaften Kerl, der mit der Frau verheiratet ist, die ihre ersten Alben produziert hat – stellt seine Maschinen ab, um über ein paar sehr offensichtliche biblische Passagen zu meditieren. Er und seine Freunde greifen nicht nur zum Klavier (Gerüchten zufolge war er einst ein Wunderkind) und zur E-Gitarre, sondern auch zu einer Reihe relativ esoterischer Instrumente, zumindest was den Rock betrifft – Tambura, Oboe, Geige, sogar ein Cembalo.“

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