Eine kleine Hörgeschichte
An einem Montag im Mai 2022 bekomme ich ein quadratisches Paket mit Steve Tibbetts Album „Safe Journey“, das ich wenige Tage zuvor auf Ebay ersteigert habe.
Am Sonntag zuvor war die Quelle zu Besuch und hat mir frisch gebackene Space Cookies mitgebracht.
Am Dienstag muss ich ein Gespräch zwischen zwei Konfliktparteien moderieren, habe aber keinen Unterricht. Dann ist an diesem Montag eine Sitzung des Schulvorstands, dem ich als Delegierter des Kollegiums angehöre. Ungefähr eine Stunde diskutiere ich mit mir selbst, dann entschließe ich mich mit schlechtem Gewissen eine E-Mail zu schreiben, Kopfschmerzen vorzutäuschen und meine Teilnahme an der Sitzung abzusagen.
Die Gelegenheit ist einfach viel zu günstig für eine stoned deep listening session, zumal meine Frau erst spät nach Hause kommt und meine Tochter auch nicht da ist. Sturmfrei also.
Ich entschließe mich wie immer zwei Kekse zu essen und lege 45 Minuten später, als sich die ersten Symptome räkeln und regen, „Safe Journey“ auf.
Danach verschwimmen meine Erinnerungen. Irgendwann schleppe ich mich aufs Sofa. Sitzen ist viel zu anstrengend, die Musik kommt auf dem sweet spot viel zu intensiv. Später kommt meine Frau ins Wohnzimmer und fragt, was bei mir los sei.
Als ich am nächsten Tag aufwache, bin ich noch so stoned, dass ich das Mediationsgespräch absagen muss. Das Nachglühen des Rausches, das noch bis an den späten Nachmittag anhält, kann ich schon genießen, trotz nun schlechtestem Gewissen. Ich verbringe Zeit im sonnigen Garten, höre später „Safe Journey“ nochmal.
Ich höre das Album am nächsten Tag wie neu. Im Rausch ist die Musik eine Wesenheit, die mich in 1000 Zungen anruft, um mir die Rätsel des Universums, von Steve Tibbetts und seinen Mitmusikern eigens für mich gechannelt, mitzuteilen. Sie liegen vor mir in ständig wechselnden Formen, in denen ich lesen kann wie in einem Buch. Beim letzten Stück öffnen die Klänge meine Fontanelle, um die kosmische Weisheit direkt zu übertragen. Vielleicht ist sie direkt in mein Unterbewusstsein gelangt, ich erinnere mich an gar nichts.
Am nächsten Tag telefoniere ich mit der Quelle und werde ausgelacht: Ich hätte ja mal nachfragen können, wie die Dosierung der Cookies sei, schließlich sei schon einige Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal etwas bekommen habe. Von den übriggebliebenen Keksen esse ich immer nur einen halben und bin anschließend sehr zufrieden.
Auch wenn das alles nur bekiffter Quatsch war, ist es trotzdem ein intensives spirituelles Erlebnis, das ich nicht missen möchte.
4 Kommentare
Michael Engelbrecht
Safe Journey, ist seit dem Erscheinen des Albums ein gefügeletes Wort für mich geworden.
Ich kann es seit 1984 nicht aussprechen, ohne an das Album zu denken, und oft genug sage ich dann auch, dem Coverbild folgend, Bye bye safe journey…
Michael Engelbrecht
Solche Synchronizitäten, wie sie diese drei Freitagstexte enthalten, sind eine meiner Fantasien gewesen, als Manafonistas ins Leben gerufen wurde.
Michael Engelbrecht
At certain times in our lives, certain albums play a role in our lives, insofar as we understood music as food for the soul from an early age. It’s not about the canon of greatness, but about the records that sometimes changed our lives overnight, that accompanied us through heaven and hell. Comfort, medicine, protective shield, self-defense, horizon. Some of these albums had their moment, some do their work throughout a lifetime. In this sense, “Close” is the provisional end of a private history of music that, pulled out of thin air, reveals a very special string of pearls. The first pearl was called Sgt. Pepper.
Translated with DeepL.com (free version)
Olaf Westfeld
Mein Freund F hat sich damals auch sehr über den Titel des Albums amüsiert, als ich ihm von meinem Hörerlebnis berichtete. Es gibt einige Hörerlebnisse, die vergleichbar waren: In A Silent Way oder Programmed (Innerzone Orchestra – habe ich danach nicht mehr ganz oft gehört) fallen mir spontan ein. Der erste Moment eines solchen tiefen Abtauchens in die Musik war vielleicht Spirit Of Eden (noch ohne daddy’s little helper). Danke für den vorherigen Kommentar, trifft etwas sehr gut was ich auch kenne.