Hass und Heat
In Berliner Kinos laufen aktuell zwei Filmklassiker aus dem Jahr 1995. Das war wohl das Jahr, in dem sich mein Kinointeresse zu einem veritablen Berufswunsch formierte. La Haine (Hass) von Matthieu Kassowitz habe ich interessanterweise nie gesehen, ich meinte wohl immer (vermutlich durch die Berichterstattung bzw. Rezeption), das wäre ein Film, der sich als Epigone von Scorseses Siebziger-Jahre-Schaffen und dem damals mega angesagten Frühwerk von Scorsese-Schüler Tarantino geriert, zudem auch noch in Schwarzweiß (für mich lange Zeit in den meisten Fällen der Inbegriff des artsy selbstverliebten Autorenkinos) mit ein paar jungen Typen als Hauptfiguren, die beim Herumhängen in Paris infantile Machosprüche raushauen, Drogen konsumieren und mit Waffen hantieren, was mich alles einfach nie die Bohne interessierte, als Filmzuschauer auch nicht. Und was soll ich sagen, ich hatte drei Jahrzehnte lang genau das richtige Bild von dem Film. Natürlich hat er tolle Kameraarbeit, und die Musikauswahl macht auch Spaß… aber irgendwie berührt hat mich das ganze Ding dann doch nicht. Von dieser Art Herumhänger und Sprücheklopfer hab ich seither hier in Berlin eh mehr als genug jeden Tag.
Einen Tag später mal wieder Michael Manns Heat, der vor 30 Jahren sicherlich enorm einflussreich auf mein Verständnis von Kino war, und den ich alle zehn Jahre mit großer Begeisterung gesehen habe und jedes Mal noch besser fand, nun als neu restauriere digitale Fassung. Interessant, dass mich dieser Film nicht kalt lässt, schon damals als Jugendlichen nicht, geht es doch um zwei lebenserfahrene Männer nach Jahrzehnten im Beruf, die allem ein bisschen überdrüssig sind. (Und ja, mit Waffen hantieren.) Überhaupt ist Michael Mann ein ausgesprochener Männer(figuren)-Regisseur; in der Folge von Heat habe ich mich allen seinen Filmen eingehend gewidmet und seine Regiearbeit intensiv studiert, und immer wieder frage ich mich, ob das eigentlich so die einzigen Männerfilme sind, mit denen ich was anfangen kann. Offenbar schafft(e) Michael Mann es, weit darüber hinaus sehr vieles und und sehr tief zu erzählen, so dass man sich auch in diesen Filmen wiederfinden kann, wenn man nicht Meistergangster oder LAPD Detective ist.
Außerdem die grandiose, quasi dokumentarische Verwendung von zahlreichen unglamourösen Hinterhof-Drehorten in L.A. — was sollte mich das vor 30 Jahren interessieren… hat aber bei mir als BRD-Kind offenbar viel angesprochen, dieses aufmerksame, von aufrichtigem Interesse geprägte Erzählen eines „anderen“ Los Angeles. (Heute würde man sicherlich weit mehr Schwarze und „People of Color“ besetzen.) Und dann ist der Film natürlich von einer phänomenalen Regie und Filmsprache gezeichnet; das hat mich sicherlich geprägt, wie Michael Mann mit einer solchen souveränen Meisterschaft immer haargenau den richtigen Ton trifft, eine Leistung auf dem Höhepunkt seines Könnens — offenbar wie die beiden Hauptfiguren.

Wir haben den Film mit der Tochter angeschaut, die mit ihren 16 Jahren heute fast so alt ist wie ich damals. Auch ihr hat der Film sehr gut gefallen (bei La Haine hätte sie sich, jede Wette, gelangweilt). Witzigerweise hat sie anfangs die beiden Hauptfiguren verwechselt — für Menschen meiner Generation natürlich skurril, De Niro und Pacino zu verwechseln, aber in diesem konkreten Fall eigentlich in gewisser Weise auch wieder „richtig“.
Hätte ich vor 30 Jahren La Haine gesehen und nicht Heat, wäre mein Kinoverständnis und meine wären meine Vorlieben heute ganz andere?
8 Kommentare
flowworker
Und natürlich gibt es für die Autor/innen und Freund(inn)e(n) dieses Blogs zahlreiche Stücke von und aus dem Umfeld von Brian Eno und von ECM-Alben im Film, aber auch die Einstürzenden Neubauten sind mit einem Stück zwei Mal zu hören,
Martina Weber
Auf der Wikipediaseite über „Heat“ steht, dass der Film weltweit Kriminellen als Vorbild und Inspiration dient 😉
Auch wenn ich deine Tochter nicht kenne, finde ich es bemerkenswert, dass ihr der Film sorgar sehr gut gefallen hat. Wenn ich auch „Heat“ nicht kenne, war ich doch in den 90ern sehr genervt von all den „Männerfilmen“ (und was kein Männerfilm war, wurde tendenziell gleich etwas despektierlich als „Frauenfilm“ bezeichnet). Heutzutage ist die Auswahl für junge Leute ganz anders; da kann sich eine Jugendliche auch mal auf einen Männerfilm einlassen.
Michael Engelbrecht
Von all seinen Filmen habe ich HEAT am liebtsen gesehen! Und gerne alle zwei Jahre. Interessant, dass Michael Mann auch als Produktionschef etc. wesentlich beteiligt war an der Serie MIAMI VICE, die ja eher Furore machte durch Oberflächenglanz, Style, und nicht durch eine besondere Tiefe. Lehrjahre des Meisters.
Als tausend Jahre später Meg Gardiner und Michael Mann einen Roman schrieben, HEAT 2, war ich restlos begeistert, aller anfänglichen Skepsis zum Trotz!
Anekdote: eine passionierte Filmkritikerin, die damals HEAT sah und lobte (obwohl Frau😉) war grosse Robert DeNiro Fan. Und sie konnte es sich nicht verkneifen, in ihrer Besprechung ihren Hörern mitteilen, dass Robert den guten Al (Pacino) an die Wand spielen würde. Was ich, mit Verlaub, für grossen Quatsch und Fanperspektive hielt. Al und Robert spielen absolut auf Augenhöhe!
Die Filmmmusik war natürlich für mich allererste Sahne!
Olaf Westfeld
HEAT habe ich damals auch mehr als einmal gesehen – auch gleich 2-3x im Kino. Werde sicher noch mal prüfen, wie der mir heute gefällt.
An den Soundtrack habe ich seltsamerweise keine Erinnerung…
LA HAINE habe ich damals schon gesehen und der Film hat mich – obwohl er schon sehr gut aussah – auch nicht gepackt.
Michael Engelbrecht
1997 kam ein anderer „Gangster-Film“ in die Kinos, der für mich auch so ein Klassiker wurde: Curtis Hansons L.A. Confidential. Sehe ich auch gerne alle Jahre mal wieder. Ganz grossartig.
ijb
@Martina
Ich bin ein wenig überrascht, dass du „Heat“ tatsächlich (noch) nie gesehen hast. Deinen Blogbeiträgen über Filme zu urteilen, müsste der eigentlich sehr auf deiner Wellenlänge sein (wobei ich zugebe, dass man sich da auch irren kann)… Allerdings verstehe ich nur zu gut, dass diese „Männerfilme“ mit Ermittlern und Verbrechern und Action und Waffen auch u.U. nicht einladend sein können. Ich kann das gut nachvollziehen, was du schreibst, habe vermutlich auch früher häufiger schon die so genannten „Frauenfilme“ geschaut als das Durchschnitts-Actionsfilmpublikum. Interessaterweise fielen mir die Filme von Michael Mann immer positiv auf – auch wenn er wirklich in all seinen Filmen Männer in den Hauptrollen hat, häufig geht es auch um zwei mehr oder wenige gleichrangige Protagonisten, die sich irgendwie spiegeln oder thematische/psychologische Gegenüber sind. Und trotzdem haben in seinen Filmen, so auch hier, die Frauenfiguren (selbst wenn sie nicht im Zentrum sind, sondern an den Rändern der Geschichten bleiben) mehr Komplexität und Resonanzraum als bei vielen vergleichbaren (Action- und Thriller=)Regisseuren dieser Generation, die heute über 80 sind. Da hat er irgendwie sher oft ein gutes Händchen bewiesen, so auch in „Heat“, wo die Frauen der Protagonisten nicht so flach bleiben, wie man das aus anderen Filmen dieses Genres kennt, bis hin zur Stieftochter der Pacino-Figur.
Durchaus ist in den 30 Jahren viel passiert, was Filmfiguren betrifft – viele, sehr viel interessante Genrefilme und -serien sind entstanden mit interessanten, komplexen Frauenfiguren, und ich beobachte mich manchmal dabei, wie auch ich als Zuschauer in meiner Auswahl ganz oft zu eben diesen Filmen und Serien tendiere, schon immer eher weg von den „klassischeren“ männerbetonten Stories.
ijb
„L.A. Confidential“ zum Beispiel fand ich damals, als er rauskam, total nervig, trotz der sicherlich sehr gekonnten Regie und filmischen Gestaltung. Da aber, das passt jetzt wirklich gut als konkretes Beispiel, haben mich diese drei Männerfiguren eher genervt (selbst wenn ich die Schauspieler damals z.T. sehr gerne gesehen habe), das war genau dieses Macho-Kino, was dann auch dazu führte, dass Kim Basinger als die eine (bekannte) Frauenfigur in dem Film immer so übertrieben machomäßige Sprüche raushauen musste (das ist mir nachdrücklich in Erinnerung geblieben, wie da so eine stereotypische Männerfantasie geschrieben wurde, dass ich es schwer auszuhalten fand). Aber ich glaube, es stimmt auch, dass der Film ein wenig von „Heat“ beeinflusst war, auch wenn er ganz anders ist. Ich erinner emich auch gut, wie ich das damals im Kino total übertrieben fand, wie dieser gut konstruierte und elegant erzählte Film im letzten Akt wie in eine Art übertriebenen Kriegsfilm ausartete, was irgendwie so gar nicht passte – aber womöglich von der herausragenden, ebenfalls die Grenzen des Genres auslotenden Actionsequenzen in „Heat“ inspiriert war.
Ich dachte manchmal, vielleicht würde ich den Film mit dem Abstand eher mögen, aber ich habe ihn, glaube ich, nie wieder angeschaut, vor allem weil mich die beiden o.g. Aspekte damals wirklich geärgert hatten.
„Miami Vice“ übrigens wird zwar immer Michael Mann zugeschrieben, er hat bei der Serie aber nie Regie geführt, sonden da als Executive Producer agiert. Seine früheren Filme (Ende der 70er und in den 80ern) sind in der Tat teils auch „Lehrjahre“, aber dennoch sind auch da ein paar bleibende Genre-Klassiker dabei: Toll etwa sein erster, kaum bekannter Langfilm „The Jericho Mile“ (1979), der komplett in einem Gefängnis spielt, mit einem Insassen, der sich als Sportler selbst übertreffen will. Dann der kühle Neo-Noir-Heist-Film „Thief“ (1981) mit James Caan, ein Film der die 80er eröffnete, von dem zahlreiche Filme der folgenden (mindestens) zehn Jahre sich eine Scheibe abgeschnitten haben, bis hin zu bspw. „Drive“ von einem anderen typsichen Männer(figuren)regisseur Nicolas Winding Refn. „Thief“ nimmt auch „Heat“ ein wenig vorweg, mit der bekannten Musik von Tangerine Dream. Und dann folgte 1986 „Manhunter“ (auch bekannt als „Roter Drache“ oder „Blutmond“), der erste Hanibal-Lector-Thriller, stilistisch auch sehr in dieser 80er-Jahre-Welt verankert, die dann auch „Miami Vice“ geprägt hat. Ich habe übrigens nie eine Folge von „Miami Vice“ gesehen (aus wiederum dem bisher genannten Grund), hat mich einfach damals nie interessiert, und dann kam es irgendwie nie dazu… kann mir aber gut vorstellen, dass das durchaus unterhaltsam ist. Aber heute vielleicht auch ziemlich alt geworden.
Martina Weber
Ganz sicher habe ich „Heat“ bisher nicht gesehen. Ich habe den Titel notiert und werde mir den Film demnächst aus einer Videothek ausleihen. Natürlich ändert sich der eigene Geschmack und die Sichtweise auch im Lauf der Jahrzehnte. Deine Einschätzung, dass mir „Plastikman: Consumed“ gefallen könnte, war ein Volltreffer. Ich höre das Album immer wieder und mag es echt gern.