Patti Smith in Berlin
Vor dem Konzert sah ich, dass demnächst die Smashing Pumpkins in der Zitadelle auftreten werden. Nun bin ich sicherlich kein Fan der Band, aber die Augen offenhalten nach günstigen Karten werde ich mal. (Ich denke aber, das wird mir am Ende zu teuer sein.) Billy Corgan hat mich in mehreren Interviews zuletzt durchaus positiv überrascht, und man hört immer wieder, wie gut die Band in Konzerten wohl immer noch sein soll. Im letzten Gespräch mit Joe Rogan, das ich letzen Monat während meines jüngsten USA-Roadtrips anhörte, meinte er, für einige, die sein Werk nicht eingehender kennen, werde er halt immer der „Rat in a Cage Guy“ bleiben; damit müsse man seinen Frieden schließen.
Bei Patti Smith rechnet man ja mit so einigem, und nachdem sie seit ihrem letzten Berliner Besuch Ende 2023 Charlotte Day Wilsons Work in ihr reguläres Programm aufgenommen hat, überraschte sie gestern mit der Premiere von Bullet with Butterfly Wings von … den Smashing Pumpkins. Mit der berühmten Textzeile „Despite all my rage I’m still just a rat in cage“. Es gab ein, zwei falsche Starts, erklärtermaßen weil es wirklich der erste Versuch war, Patti Smith las den Text zuerst ab und fragte nach dem ersten falschen Einstieg Bassist Tony Shanahan um Rat, aber dann kamen sie und die Band gut rein, und auch wenn es sich auch noch ein bisschen unsicher anfühlte, meinte sie hinterher, vor 50 Jahren sei sie vor 75 oder 100 Leuten aufgetreten, wenn sie mal einen Song ausprobiert habe — nicht wie heute vor so vielen Tausenden. Sie werde die Energie und Unterstützung des Publikums mitnehmen, den Song auch zukünftig ins Programm zu nehmen. Das Publikum war überhaupt enorm auf ihrer Wellenlänge — viele sehr junge Menschen, einige ältere… so ganz anders als z.B. vor bald 25 Jahren, als ich sie auf der Museumsinsel sah, damals auch ein viel kleineres Konzert, bei dem sie, damals Anfang-Mitte 50, auch noch deutlich wilder mit der Gitarre rockte. Damals bestand das Publikum aus sehr vielen anscheinend lesbischen Paaren und vereinzelten Kennern. Heute, mit Ende 70, tritt sie in allen Ländern vor fünf- bis zehntausend Leuten auf, und dabei gelingt es ihr wie kaum jemandem, die Brücke von verbindendem Hymnen wie People have the Power und Because the Night mit der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts zu verbinden. Da trägt sie mal ein Gedicht vor, erzählt von der Autoindustrie im Detroit in ihrer Kindheit, schickt Grüße an Ginsberg, Burroughs und Johnny Cash, fordert die Menschen dazu auf, für ihre Freiheit einzustehen und das Territorium der Native Americans zu würdigen (Ghost Dance) und interpretiert allabendlich Songs von jüngeren und älteren Songwritern.
Da in Berlin auch Work wieder in der Setlist war, sowie außerdem Steve Earles Transcendental Blues, musste das gestrige Programm leider ohne eine ihrer stets tollen Dylan-Interpretationen auskommen. In Hamburg zwei Tage zuvor hatte sie sowohl Man in a long black Coat als auch One too many Mornings geboten, auf der 2023er Tour mit viel Feuer All along the Watchtower. Dafür gab’s gestern auch noch Cash vom 2004er Album Trampin’, laut eigener Aussage für Johnny Cash (†2003) und George Bataille geschrieben.
Und auch sonst gab’s so manche Hommage, etwa Spell (Footnote to Howl) zum bald anstehenden Hundertsten ihres „old pal“ Allen Ginsberg, wie 1959 (über die Detroiter Autos und die chinesische Invasion in Tibet und die Flucht ins Exil des jungen Dalai Lama)[1] vom großen Album Peace and Noise (1997). Wie immer auch das 1978 für ihren damaligen „boyfriend“ Fred und Vater ihres Gitarristen Jackson Smith geschriebene Because the Night sowie zum Abschluss die Empowerment-Hymne People have the Power, 1986 mit Ehemann Fred „Sonic“ Smith geschrieben, dessen Tod sie wiederum in Beneath the Southern Cross (1996) aufgreift, live als leidenschaftliches Carpe Diem ausgebaut und dargeboten – nachdem sie zu Beginn zwei Mal ihre Melodie auf der Akustikgitarre verhaut.
Ein sehr vielseitiges Programm von Stücken aus ihrer ganzen Karriere, mit Liedern von fast jedem ihrer Alben (ausnahmsweise diesmal nur kein Stück von Gung Ho). Eine Kollektion mit den seit dem letzten regulären Album 2012 angehäuften Cover-Songs wäre eigentlich ein wunderbares Geschenk nach dieser Tour. Am Ende waren alle offenkundig begeistert. Beeindruckend, wie es ihr gelingt, als Künstlerin zu so vielen Menschen verschiedener Generationen zu sprechen – und mit welcher Energie.

Foto von Tony Shanahan
(Hier reflektiert sie über ihren aktuellen Berlin-Besuch und das Konzert.)
2 Kommentare
Fußnote / Setlist
[1] Overall, „1959“ by Patti Smith combines personal reflections with broader socio-political commentary. It explores themes of personal growth, the pursuit of knowledge and freedom, and the contrast between triumph and despair in both personal and global contexts.
https://www.songtell.com/patti-smith/1959
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Redondo Beach [Horses, 1975]
Transcendental Blues [Steve Earle cover, 2000]
Ghost Dance [Easter, 1978]
1959 [Peace and Noise, 1997]
Cash [Trampin’, 2004]
Spell (Footnote to Howl by Allen Ginsberg) [Peace and Noise, 1997]
Nine [Banga, 2012]
Bullet With Butterfly Wings [Smashing Pumpkins cover, 1995]
Dancing Barefoot [Wave, 1979]
Beneath the Southern Cross [Gone Again, 1996]
Work [Charlotte Day Wilson cover, 2016]
Poem
Peaceable Kingdom [Trampin’, 2004]
Pissing in a River [Radio Ethiopia, 1976]
Because the Night [Easter, 1978]
People Have the Power [Dream of Life, 1988]
Michael Engelbrecht
Wüsste nicht, bei welchem Künstler, welcher Künstlerin, ich annähernd mit solcher Detailfreude aufwarten könnte. Sehr gut gefallen mit ihre kleinen Storys, die sie anscheinend oft auf der Bühne erzählt. Über welchen Fundus sie da verfügt, kann man auch an ihren lesenswerten Büchern herausfinden.