Die Verweigerung des amerikanischen Traums (Teil 2)
„More than any other American film of that time, Medium Cool learned from John-Luc Godard how to blur the line between fact and fiction and how to interrogate the film-making process in the course of making a movie, though Wexler, in his commentary, cites Peter Watkins’s Punishment Park as a potent influence.“ (P. French, The Guardian)

„Medium Cool“, dachte ich anfangs, vor Jahren, nie gehört, mal sehen, und dann: reines Staunen! Die grosse Leinwand bietet auch beim zweiten Sehen einen Film, bei dem es mir nicht leicht fällt, eine sachdienliche Distanz zu wahren.
Medium Cool“ ist für mich einer der ganz grossen Filme jener Ära des sog. „New Hollywood“. Und überhaupt. Mich packt er ein ums andere Mal, und ich bedaure, ihn nicht schon damals, 1969, als Teenager gesehen, besser, erlebt zu haben.
So was von fesselnd, zum Nachdenken anregend sowieso, und vor allem eine einzigartige Aufzeichnung eines wichtigen Ortes und einer wichtigen Zeit!
Es ist 1968, ein Kongress der Demokraten. USA. Eine harte politische Zeit im Land. Für einige, die diesen Film nicht kennen, könnte er eine Art Offenbarung sein, wie die Jahre der Gegenkultur in Szene gesetzt wird.
Zunächst einmal ist es eine ziemlich gute, wenn auch etwas unzusammenhängende Geschichte: zwei „weltgewandte“ Nachrichtenreporter aus der Mittelschicht werden geschickt, um den Parteitag der Demokraten in Chicago zu filmen und werden unwissentlich in die politischen Demonstrationen, und die innerstädtischen Probleme, die sie ausgelöst haben, verwickelt, obendrein noch in das Leben einer alleinerziehenden Mutter und ihres kleinen Sohnes in dieser rauen, verwirrenden und stark unterprivilegierten Welt!

Die schauspielerischen Leistungen sind hervorragend und manchmal so wirkungsvoll, dass es schwerfällt, sich bewusst zu machen, dass es sich um keine Sozialdokumentation handelt. Darüber hinaus wird der Film, mit seinen atemberaubenden Bildsequenzen, von einem perfekt abgestimmten Soundtrack aus den späten 60er Jahren untermalt. Die Psychedelik ist ein Teil davon und enthüllt einen weiteren Subtext dieser Ära.
So weit so gut, aber das ist nur der Anfang. Hinzu kommen die umfangreichen Live-Aufnahmen von den Straßen Chicagos, während sich die Unruhen entwickeln, die von dem Kamerateam des Films gemacht wurden, als sie selbst in ein sehr „echtes“ politisches Drama verwickelt waren.
Was für eine bedrohliche Abfolge der Ereignisse, von einem lustigen „Tag im Park“ für die Hippies bis hin zu ernsthafter „Polizeistaats“-Gewalt! Dann sind da, ich komme schon bei Nacherzählen aussser Atem, die ebenso beunruhigenden Bilder dessen, was in der Kongresshalle vor sich ging, alles parallel – und dann noch die klugen und beunruhigenden Szenen der verzweifelten Suche der Mutter nach ihrem verlorenen Sohn, während Wexler sie inmitten der zunehmend anarchischen Menge von Demonstranten und Truppen filmt, die sich zu dieser Zeit tatsächlich auf den Straßen befanden, und schon hat man, wie kann ich es sagen, etwas ganz Besonderes. Ein wahrlich atemraubender, tief berührender und erschütternder Film!
Nachklapp 1: Der Idiotenpräsident befiehtl im Juni 2025 die Nationalgarde nach Los Angeles. Eine brutale, menschenverachtende Ausweisungspolitik wird durchgezogen. Ich sehe Nachrichten. Einzelne Szenen erinern mich an „Medium Cool“. Wieviel hässlicher kann es noch werden!?
Nachklapp 2: Update, 9.30 Uhr: Der australische Premierminister Anthony Albanese hat mit der US-Regierung über die bei den Protesten in Los Angeles von der Polizei verletzte Journalistin Lauren Tomasi gesprochen. Das berichtete die New York Times. Auf einer Videoaufnahme ist zu sehen, wie ein Polizist auf die Journalisten zielt und Tomasi mit einem Gummigeschoss am Bein trifft. Albanese habe den Vorfall auf einer Pressekonferenz als „schrecklich“ bezeichnet. Er habe hinzugefügt: „Wir finden das nicht akzeptabel.“
3 Kommentare
Michael Engelbrecht
Philip French listet Extras aus der Masters Of Cinema-Edition auf..
There is a number of impressive extras: a BBC documentary on the film made by Paul Cronin; an interview with the non-professional actor Harold Blankenship, who plays the boy from West Virginia; and a demonstration of the cameras used by Wexler in the film.
Cronin’s documentary, Look Out Haskell, It’s Real!, takes it’s title from a famous moment when a teargas bomb explodes near the director during the Chicago riots. Because the scene was shot without sound, the warning shout from an assistant wasn’t recorded, and Wexler dubbed it on afterwards, adding another if rather dubious layer of meaning to the scene.
SPECIAL FEATURES:
* Gorgeous 1080p presentation of the film on Blu-ray from the 4K digital film transfer approved by director Haskell Wexler
* Optional English subtitles for the deaf and hard-of-hearing
* Audio commentary with writer and director Haskell Wexler, editorial consultant Paul Golding, and actor Marianna Hill
* Look Out Haskell, It s Real! , extended excerpts from Paul Cronin s documentary
* Excerpts from Sooner or Later, Harold Blankenship is interviewed almost 40 years after appearing in Medium Cool
* Haskell and the Cameras, Wexler demonstrates the cameras used to make Medium Cool
* Original theatrical trailer
* 28-PAGE BOOKLET featuring a summary of the government-commissioned report on the Democratic National Convention riot of 1968 illustrated with archival imagery
Norbert Ennen
Der Haupdarsteller heisst Robert Forster. Spätes Comeback in Tarantino’s Jackie Brown.
Michael Engelbrecht
Noch ein interessanter Rober Forster!
Der Film wird hierzulande nirgendwo gestreamt.
Glückwunsch, wenn jemand die Eureka-Edition bekommt, oder die aus der Reihe Masters of Cinema des BFI, bei der nicht nur alle genannten Extras enthalten sind, sondern der Film als DVD und BLU RAY.
Damals kostete mich das wenig, jetzt fordert Amazon oder die dortige Anbieterecke etwas unterhalb von 200 Euro dafür. Das lohnt sich trotzdem – 😂 – weil: der Film wird ein unvergessliches Erlebnis sein, das du über die Jahre immer mal wiederholen möchtest!