Ein Gastbeitrag
Was für ein Album! Die größten Fans könnten hier Martina, Olaf, und Ingo werden, evtl. klinkt sich auch Michael ein. Dies ist ein Gastbeitrag, hallo!
Caroline 2 ist kein lauter Aufschrei, sondern ein Echo, das in Schichten nachhallt – subtil, entrückt, offen für das, was zwischen den Tönen liegt. Die Londoner Band caroline führt ihre eigenwillige Vision fort – und bricht zugleich mit ihr.
Die erste Gitarre, die das Album eröffnet, ist keine freundliche Einladung, sondern ein Signal: Hier wird mit musikalischem Material gearbeitet, das ebenso aus dem Postrock wie aus Folk-Fragmenten, klassischer Musik oder sogar Ambient zu stammen scheint – ohne sich irgendwo ganz niederzulassen. caroline spielt nicht in Genres, sondern in Atmosphären. Dabei ist die Musik geprägt von Wiederholung und langsamen Verschiebungen, ganz im Geiste von Künstlern wie Steve Reich oder Talk Talk, aber auf sehr eigene Weise entkernt und neu verwoben.
„Total euphoria“ ist ein ironischer Titel für ein Stück, das seine Euphorie im Zerfall findet. Langsam, tastend, mit dissonanten Zwischenrufen. „Song two“ – alles andere als Blur – entwickelt sich wie eine wortlose Beschwörung, ein sich windendes Geflecht aus Tönen, das wächst, kippt und wieder in sich zusammensinkt.
Besonders bemerkenswert ist „Tell me I never knew that“, das fast schon wie eine folkige Litanei klingt, aber immer wieder aus der Harmonie bricht – keine Angst vor Dissonanz, nur das Vertrauen, dass sie Sinn ergibt. „Coldplay cover“ ist, wie man vermuten darf, kein tatsächliches Cover, sondern ein musikalisches Spiel mit Erwartungen: Was, wenn Coldplay am Rande eines Blackout-Festivals auftreten würden? Vielleicht klingt es so.
Dieses Album lebt davon, sich nicht vollständig zu erklären. Die Songs entstehen aus kleinen Impulsen, wachsen langsam, kippen ab, brechen sich selbst. Aber nichts davon wirkt gewollt intellektuell oder verkopft. Stattdessen ist Caroline 2 ein zutiefst emotionales, fast körperliches Werk, das sich mit jeder neuen Hördurchgang ein bisschen mehr offenbart.
Produziert wurde es von der Band selbst – Jasper Llewellyn, Casper Hughes und Mike O’Malley –, was der Produktion eine wohltuende Unmittelbarkeit verleiht. Alles klingt, als sei es im Moment entstanden, in einem Raum voller Leute, die mehr mit Blicken kommunizieren als mit Worten. Der Mix von Jason Agel und das Mastering von Heba Kadry sorgen dafür, dass dieses fragile Gebilde nicht zerbricht, sondern aufblüht.
Caroline 2 ist ein Album, das sich nicht anschreit, sondern flüstert. Es gehört zu den Platten, die man nachts hört, allein, mit einem Buch auf dem Schoß oder einem Berg im Blick – so wie auf dem Cover, das durch eine Autoscheibe fotografiert wurde und wie ein Symbol für das ganze Album funktioniert: Schönheit im Vorüberziehen. Wer Geduld mitbringt, wird belohnt. Wer sie nicht hat, wird vielleicht lernen, sie zu schätzen.
3 Kommentare
Martina Weber
Ja, ganz zauberhafte Songs und wundervoll skizziert. Und die flowworker treffend eingeschätzt. Die Musik hat auch einen Touch von „the american analog set“.
Michael Engelbrecht
Ein Kandidat für,flowflow?
Die Schreibe sachlich wie sinnlich übeerzeugend!
Olaf Westfeld
Ist sowieso vorgemerkt, der Text macht Lust auf mehr 🙏