Elton und Brandi

Zu den Musikern, deren Oeuvre mich schon seit meiner Kindheit begleiten und zu jenen, deren veröffentlichtes Werk ich in der Gänze kenne, zählt Elton John. Seit ich denken kann, rief das bei vielen Leuten immer wieder verwunderte Blicke und irritierte Kommentare hervor, zumal ich sonst ja oft auch eher recht radikale und experimentelle Sachen genieße und verteidige, die vielen Leuten eher Kopfschmerzen als Freunde schenken. Ich hatte wohl, was Pop- und Rockmusik betrifft, schon in meiner Jugend eher eine Neigung zu jenen, die trotz irgendwelcher Widerhaken (wie z.B. dass sie nicht in die Erwartungen passten) einen erfolgreichen Weg im Pop gegangen sind — Elton John, Freddie Mercury, Gianna Nannini, Patti Smith, David Bowie, Björk, Annie Lennox, Fiona Apple sprachen mich damals weit mehr als die typischen Macho- und Testosteronrocker (und -Rapper), die (nicht nur aber natürlich auch) in meiner Jugendzeit überaus beliebt waren, oder die glatten Sängerinnen, die Millionen Platten verkauften.

Bis heute kann ich viele von Eltons Meisterwerk-Alben jederzeit hören (und mitsingen) – und nach wie vor verteidigen. Und es gibt doch viele davon. Auch wenn der bald 80-Jährige über die Jahrzehnte immer wieder mal auch Sachen aufgenommen oder verzapft hat, bei denen ich auch beim wiederholten Hörversuch „Was für ein Käse“ denke (beispielsweise das komplette „Aida“-Album) und die Qualität immer wieder auch schwankend ist, freue ich mich nach wie vor jedes Mal, wenn’s alle paar Jahre mal ein neues Album gibt. Häufig wird es die Gelegenheit nicht mehr geben, dass ich eine neue CD von Elton John auspacke und zum ersten Mal anhöre. 

Die letzte Platte The Lockdown Sessions war eine extrem heterogene Kollektion von Duetten, darunter ein paar „Hits“, die songwritingmäßig deutlich unter dem Niveau selbst vieler seiner durchschnittlicheren Nummern sind. Auf der CD hörte ich allerdings erstmals Brandi Carlile und wurde neugierig auf ihr damals neues Album In these Silent Days, ein großartiges Songwriteralbum (das ich erst auf CD kaufte und dann später passend auch noch als LP), nicht nur sehr stark von den Großen der Siebziger beeinflusst – im Wesentlichen von Elton und Joni, die Brandi als ihre „Eltern im Geiste bezeichnet“ – sondern klingt erstaunlicherweise auch total so, als wäre es Mitte der Siebziger entstanden. Und Brandi Carlile hat nicht nur ein tolles Händchen für hervorragendes classic songwriting, sondern obendrein eine beeindruckende Präsenz in ihren Performances, anders als einige andere der Kollaborateure der The Lockdown Sessions . 

Nun haben Brandi und Elton ein komplettes gemeinsames Album aufgenommen, das heute in meinem Briefkasten landete, und nicht überraschend ist es eine Kollektion von Songs, die ebenfalls an die Siebziger anknüpfen und – anders als die enorm unterschiedlichen Elton-Alben der letzten 25 Jahre (zuletzt wohl Songs from the West Coast, 2001), die ich größtenteils sehr schätze – streckenweise tatsächlich auf erfrischende Weise altmodisch. Hier und da ein bisschen (unnötiger) Bombast, andererseits aber auch ein paar subtile, charmante Sachen. Dass das visuelle Design, wie schon bei den Alben der letzten zehn Jahre (speziell The Lockdown Sessions und Wonderful Crazy Night) haarsträubend albern ist – geschenkt. Nicht hinschauen… Ein sensibles Design wie bei Brandi Carliles Alben wäre weitaus passender gewesen. Die vielen persönlichen und berührenden Momente dieses Albums sind nun ein bisschen unter dem knalligen Camp dieser aufgedrehten „Gay Theatrics“ vergraben. 

Das letzte Elton-Album, das wirklich grandiose Songs hatte, The Diving Board, 2013 erschienen, hatte leider den Haken, dass es als „just Elton and his piano“ angekündigt worden war, aber dann doch eine Spur zu viele weitere Gastmusiker drauf hatte. Dieses neue endet mit einem sehr bewegenden, sehr persönlichen Solo, das eben dort anknüpft, und es bleibt zu hoffen, dass es nicht sein letztes Album ist und er an diesem Faden noch einmal weiterspinnt. Eine kraftvolle Stimme hat er noch, das muss man ihm lassen, zumal sie sich über die Jahrzehnte hin extrem gewandelt hat. Wenn es wieder vier Jahre dauert, bis er ein Album rausbringt, ist er immerhin schon 82. Wie viele (Rock-)Musiker bzw. Songwriter liefern als (über) 80-Jährige noch was ab, geschweige denn was Interessantes? Johnny Cash, Lou Reed, David Bowie haben gerade so (oder gerade so nicht mehr) die 70 erreicht und ihr reifes Spätwerk entsprechend deutlich früher abgelegt. Patti Smith hat sich seit 2012 leider vom Veröffentlichen neuer Songs komplett verabschiedet, auch wenn sie auf Tour noch immer große Kraft hat (im Sommer gehe ich wieder hin, vielleicht auch mehrmals). John Cale immerhin hat letztens mit knapp 83 noch ein gar nicht unspannendes, gar nicht lahmes Album rausgebracht. Das letzte von den Stones fand ich auch überraschend stark; ich höre es nach wie vor sehr gerne. Witzig auch, dass sie dort, nachdem Charlie Watts nur noch auf zwei Songs mitspielen konnte, Bill Wyman einmalig aus dem Ruhestand zurückgeholt haben und nochmal alle fünf zusammenkamen — sogar in diesem einen Fall mit Elton John an den Tasten!

3 Kommentare

  • Olaf Westfeld

    Deine Begeisterung hat zwar bis jetzt noch nicht ansteckend gewirkt, kann aber noch kommen – ich lese deine Posts über Elton John doch immer gerne. Bob Dylan und Neil Young liefern auch mit knapp 80 noch gute und bessere Alben ab.

  • Ingo J. Biermann

    @Olaf
    Wenn dir das Werk von Elton John bislang noch nicht zugesagt hat, ist diese neue Platte höchstwahrscheinlich auch eine der ungünstigsten Optionen. Im Wesentlichen werden hier die Vorurteile und Vorahnungen, die man so allgemein von seiner Musik hat, ganz gut bedient. Es ist schon ein ziemliches „MOR“- (Middle of the road)-Album; überraschend oder unerwartet ist hier eigentlich nicht wirklich was. Der letzte Song ist sehr stark, weil er sich berührend mit Mortalität befasst – allerdings tut er das auf eine sehr elton-typische Weise, mit großen Bernie-Taupin-Bildern und voller Stimme. Aber toll, dass es eine echte Pianonummer ist.

    Wenn man die „späteren“ Elton kennen lernen möchte, wären meine Empfehlungen:
    „Songs from the West Coast“ (2001), das erste Album nach vielen Jahren, auf dem er sich durchweg auf die alten 70s-Songwriting-Tugenden mit wunderbar charmant und vielseitig instrumentierten Songs fokussiert hat, die Texte sind auch stark und vielschichtig, Stevie Wonder ist zu Gast, Rufus Wainwright und Gary Barlow schauten für Backing Vocals vorbei, Billy Preston hat einen sehr starken Gastauftritt, und Patrick Leonard hat das ganze souverän produziert. Es ist ein Album, das auch nach 25 Jahren noch immer nichts von seinem Zauber verloren hat. Im Gegenteil. „The Captain and the Kid“ setzte das Ganze 2006 fast ebenbürtig fort, ist nur nicht durchweg auf dem gleichen Niveau, und die Songs nicht alle so stark.

    „The Union“ (2010) ist ein Rhythm&Blues/Country-Duett-Album mit Leon Russell, produziert mit T-Bone Burnett. Mitgewirkt haben Marc Ribot, Booker T, Neil Young, Brian Wilson, Jim Keltner… Für den ganz Großen Wurf sind ein paar zu viele Songs drauf (16 insgesamt), aber es ist eine runde Sache, man merkt, dass allen das Werk sehr am Herzen lag, Leon Russell ist nicht viel später dann auch gestorben. Insgesamt ein recht untypisches Album für Elton John, war sicher kein großer Erfolg.

    „The Diving Board“ (2013) finde ich ganz besonders stark, meines Erachtens zu Unrecht meist als „nichts Besonderes“ verbucht; es ist tatsächlich so ein wunderbarers, souveränes Alterswerk, wie „The Union“ ohne seine übliche Band aufgenommen und nochmal von T Bone Burnett produziert. Ich finde nur ein wenig schade, dass der Gesamt-Sound ein bisschen unschlüssig ist. Das ist aber auch Geschmackssache. Es hat doch viele verschiedene feine Arrangements und ist nicht „laut“ und knallig.

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