„Eine Treppe tiefer, und andere Notizen rund um zwei Alben mit einem kubanischen Pianisten“
„Achten Sie auf das raue (aber genau richtige)
Summen der Gitarrensaiten
zu Beginn von „Y Tú Qué Has Hecho?“,
das in eine der natürlichsten, reichhaltigsten
und holzigsten akustischen Gitarren mündet,
die ich je auf Band gehört habe.
Oder „El Carretero“. Es zeichnet sich aus
durch einen eindringlichen, sich wiederholenden
akustischen Bass aus, der eine reichhaltige Plattform
für die anderen Instrumente bildet, insbesondere
für ein tief verhalltes, gleitendes Instrument,
das in den Gesangspausen immer wieder auftaucht.“

„All that said this new 4LP treatment of Buena Vista Social Club from Analogue Productions works just fine for me. It feels like they have achieved a happy medium between audiophile excellence and logistical convenience. As I allowed myself to just immerse in BVSC and listen, instantly realizing just how very, very grand it sounds, I became lost in the lushness of the recording of these outstanding performances. And I didn’t mind the frequent disc changing because, in effect, my ears were brought into extreme focus on the individual performances captured on each track. Honestly, it became somewhat exciting to anticipate what joys might await me on each following side!“
Ich hatte damals ein seltsam zwiespältiges Verhältnis zu diesem Album (und seinen „Wirkungsgeschichten“), das nun in einer glorreichen Edition auf vier Schalplatten mit „45 rounds per minute“ neu aufgelegt wurde. Ich wusste gar nicht, dass Mark Smotroff bereits im Januar auf „Analog Planet“ darüber geschrieben hatte. Nun bekam ich gestern dieses Päckchen und hörte mir, mit allem munteren Wechseln der Plattenseiten, das Gesamtkunstwerk an. „The word LUSH must have been invented for the overall sound of this time travellers.“
Was mich damals ein wenig nervte, war das „Ergriffenheits-Tamtam“ um diese alte kubanische Musik herum, das man auch jetzt noch hören kann, wenn etwa „Micha45“ aus Düsseldorf („Welcome back!“) sein Loblied spricht, und dabei nur zu gerne auf das Empfinden zurückkommt, glücklichen alten Kubanern in die Augen zu schauen. Als wäre dort in Havanna das Leben im vor- und nachrevolutionäten Kuba ein Leben voller Armseligkeit, und Musik der einzige Fluchtort verlorener Seelen. Solch gönnerhafte Empathie mag ich nicht.

Der Ex-Freund einer damaligen Geliebten wollte am liebsten auswandern, und in einer alten Bar an der Promenade der Hauptstadt den Rest seiner Tage verbringen. Mit diesem Hippietraum konnte ich nichts anfangen, aber harte Kritik erntete meine damalige Begeisterung für das Liebespaar Julio und Carol, die, um ihrer beider Lungenkrebs wissend, noch eine grosse Reise unternahmen, von einer französischen Autobahnraststätte zur nächsten. Was musste ich mir da für Entrüstungen anhören: meiner Selbstverwirklungsartistin schwebten da ganz andere, letzte Sonnenuntergänge vor, viel Havanna und Kalifornien, und keinesfalls der Anblick nagender Ratten an einem Mülldepot nahe Brest.
Solche „romantischen“ Ergriffenheiten beförderte auch in Teilen der BVSC-Film von Wim Wenders, dessen „documentaries“ von schwankender Qualität sind, und, etwaim Falle von BAP und dem Papst, etwas zu sehr aus dem Fach der Devotionalien stammen. Da hilft dann doch (als berüchtigte „andere Seite der Münze“) die Lektüre von Pedro Juan Gutiérrez` „Schmutziger Havanna Trilogie“. Gutiérrez weiß als Kubaner, wovon er schreibt und verzichtet zum Glück auf Wim Wenders filmische „Alles wird gut“- Romantik. Da kommt dann eine andere Art von Not und Einsamkeit zum Vorschein! Und rauschhafte Sexualtät, in der breiten Palette zwischen Befreiung und Betäubung.
Gestern tauchte ich jedenfalls ohne rosarote Patina in diese versunkene Welt des BVSC ein, und verspürte alsbald Lust, jenen alten Schmöker hervorzugraben, der ein facettenreiches und traumtänzerisches, wildes und dunkles Bild vom alten Kuba zeichnet, ein famoses „Sittengemälde“, mit dem Namen „Drei traurige Tiger“. Neben „Rayuela“, „Hundert Jahre Einsamkeit“ und „Schmutzige Havanna Trilogie“ einer meiner Lieblingsromane lateinamerikanischer Erzähler.

Um mit die Wartezeit auf diese Schatzkiste zu verkürzen (der im übrigen alle Texte und eine feine englische Übersetzung und andere Hintergrundrecherchen beiliegen), holte ich das 2017 als Doppelalbum auf Vinyl rausgekommene Opus „Introducing… Ruben Gonzalez“ aus dem Regal, das ebenso wie „BVSC“ in den Egrem Studios aufgenommen wurde. Diesmal nicht von Ry Cooder (dessen gitarristische „Einmischungen“ ich liebe) produzertm sondern von Nick Gold, einem anderen maestro von „World Circuit Records“. Und hier kommt die Überraschung: Rubens Piano kommt hier ganz anders rüber als auf „BVSC“. Zwei fraglos audiophile Werke, und doch ist der Klavierklang so komplett anders. Mhmmm… Ich kann mir dazu zwar einiges denken, aber eine zweifelsfreie Antwort kenne ich nicht. Vielleicht entstand die Aufnahme in EGREM 2, eine Treppe tiefer…
Es gibt, neben dem Versinken in diese beiden Alben, und Infantes erschütternd fesselnden wie melancholischem Roman „Drei traurige Tiger“, noch ein weiteres allerbestes „tool“, um dieser alten Welt, über exotische Träumereien hinaus, nahezukommen, „Babalú-Ayé“, das lange zweite, der Historie der afrikubanischen Musik gewidmete Kapitel aus Joe Boyds Mammutwerk „And The Roots Of Rhythm Will Remain“ – und mit einem Zitat daraus schliesse ich meinen kleinen Ausflug ab (und das lasse man mal in aller Ruhe auf sich wirken):
“For me, though, the key element is the sound. I walked people walk into the London launch party, where it was playing on the PA system; many stared around, looking for the bandstand and the live musicians. Jerry and Ry had achieved the kind of warm, three-dimensional sound that can only happen when so many microphones are open (and perfectly postioned) in a big „live“ room, voices and instruments blending in the air before the reach the mixing-board. If „Buena Vista“ hade been made downstairs in EGREM 2, it would have been lucky to sel ten thousand copies, let alone ten million.“
„Für mich ist das Schlüsselelement jedoch der Sound.
Auf der Londoner Launch-Party,
bei der das Album über die PA-Anlage lief,
habe ich die Leute laufen sehen; viele starrten umher
und hielten Ausschau nach dem Bandstand
und den Live-Musikern.
Jerry und Ry hatten die Art von
warmem, dreidimensionalem Klang erreicht,
der nur entstehen kann,
wenn so viele Mikrofone in einem großen „Live“-Raum
offen (und perfekt positioniert) sind,
wobei sich Stimmen und Instrumente
in der Luft vermischen,
bevor sie das Mischpult erreichen.
Wäre „Buena Vista“ unten in EGREM 2
aufgenommen worden, hätte es Glück gehabt,
zehntausend Kopien zu verkaufen,
geschweige denn zehn Millionen.“
3 Kommentare
Olaf Westfeld
Die Buena Vista Social Club war damals ja wirklich überall zu hören. Sehr schöne Musik, habe ich aber nie zu Hause gehört, das war ja auch nicht nötig. Das Album des Sängers Ibrahim Ferrer habe ich mir dann bei Erscheinen gekauft, 1999. Vielleicht ein, zwei Jahre nach dem Film und dem Album? Jedenfalls ist in dem Sommer mein Sohn geboren und die Musik von Ferrer lief häufig, sehr sehr leise – er muss sehr viel dazu geschlafen haben.
flowworker
Ich komme erst jetzt dazu, die Musik weniger als allgegenwärtigen Soundtrack jenes Jahres zu hören, sondern hellwach.
Und es ist interessant, manche würden sagen, eine steile These, wenn Joe Boyd behauptet, die Musik hätte nicht diese immense Verkaufszwhk erreicht, wenn sie eine Treppe tiefer aufgenommen wäre…
Wenders‘ Dok war es auch nicht, die für den Bestsellerstatus sorgte, denn als er drehte, war das Album schon ein Riesenhit.
Rubens‘ Pianoplatte war wohl in einem anderen Raum von EGREM (eine Treppe toefer?), oder, pianotechnisch, mit mehr „close miking“ aufgezeichnet worden…. du hörst wirklich den Raum in der BVSC Aufnahme sehr sehr sehr mit!😉 Instrumentensounds, die sich mischen, bevor sie den Kontrollraum erreichen. Wie gesagt, eine steile These…
So finde ich den Klaviersound bei Rubens’ Platte nicht weniger überragend.
Und bei BVSC: das, was Mark Smotroff einleitend anmerkt, und was ich klitzeklein gepostet habe: all das höre ich genauso, heisst, ich kann seine Umschreibung bestens nachvollziehen. Habe gestern dreimal hintereinander das Stück mit dem HOLZ KLANG dreimal gespielt: wunderbar.
Die Edition ist fantastisch mit den vier Platten. Ich bin ansonsten nie so auf den kubabischen und sonstigen Latino Wellen mitgechwommen, es war schlicht nie so „meine Musik“, aber hier mit diesem Gesamtkunstwerk werde sogar ich zum Fan 😉
Michael Engelbrecht
@ Olaf: das Ultra Tape, also die einzig mögliche Steigerung dieses BVSC Boxsets von AP kann ich dir für ca. 1000 Euro besorgen, kein Witz🌠… 😂
(MIke’s review – HERE – is quite rewarding and much more interesting than the one by „Micha45rpm“…)
Aber die Investition in das Viererpaket lohnt sich auf jeden Fall, wenn man eine kleine feine Anlage hat. Da wird auch die Form, mit all den bereichernden Beilagen, dem Inhalt gerecht, wenn man ein Riesenfreund dieser Musik ist. Oder dazu wird, wie ich in diesem Falle 😌
Um hier mal gleich das NERD-Argument auszuhebeln: mann kann dieses Werk auch auf einer alten chromdioxid-Musikkassette oder CD dahinschmelzend hören.
Um sich dafür zu begeistern, muss man keinesfalls auf den Vinylzug aufspringen. Es macht aber einfach Freude, mal diesem Hören in allen Optionen zu folgen. Ich mache ja in der „elektrischen Höhle“ öfter „Vorführungen“, und in meiner kommenden Session mit S. werden die beiden Alben von Ruben und BVSC einen brsonderen Rahmen bilden…