Köln 75

Ich war eine halbe Stunde vor Kinoeinlass in der Bar des Apollo, und plötzlich strömten all die alten Menschen aus Kino 1. Mit und ohne Rolator, hustend, gebückter Gang, ein paar Rüstige bestimmt auch dabei, zwischen elegant und zottelig, ich gehöre ja nun auch zur Seniorengruppe, und das so geballt zu sehen, liess mich noch mal extra in dem Alter ankommen, in dem ich jetzt bin. Denn die kamen alle aus dem Dylan-Film, einige sichtlich bewegt. Und das war ich auch, als ich aus KÖLN 75 kam, zwei Stunden später.

Geschickt vermeidet es der Regisseur, in einem Film mit tollen Einfällen, exzellentem Drive, glaubwürdigen Zeitkolorit, grossartigem Schnitt, auch nur einen Ton aus THE KÖLN CONCERT zu servieren. Da wurde aus der Not, es nicht zu dürfen, eine Tugend gemacht. Wie er das anstellt, mit ganz anderer Musik aus jener Zeit – chapeau! Wir sind in Köln, und da bekommen wir auch das wilde Leben der jungen Vera zwischen Jazz und Psychedelik geliefert, incl. Can und Floh De Cologne. Und ein Ensemble, das spürbar grosse Lust hat, diese alte, verrückte, und weitgehend sehr wahre Geschichte zu erzählen.

Aber leider, leider: die Abwesenheit von Jarretts Spiel hätte konsequent durchgezogen werden müssen. Wenn dann nämlich in Lausanne ein „Jarrett-Imitator“ in die Tasten langt, wird die orginale Musik zum eigenen Klischee heruntergebrochen – und das ist doch überhaupt nicht nötig, in einem Film, der sich so mit allen Tricks zwischen Zeitreise, Drama und komödiantischem Überschwang bewegt. Auch in der wunderbar in Szene gesetzten Nachtfahrt von Lausanne nach Köln (Manfred Eicher ist schon gut getroffen!) klingt es verdächtig nach einem Nocturno a la Jarrett, aber natürlich nicht von Jarrett – die Szene hätte mit klavierbefreiter Melancholie gewonnen (zum Beispiel mit Brian Enos „Sparrowfall“ oder einem Stück aus Ralph Towners „Diary“).

KÖLN 75 ist famoses Kino, auch ein zweites Sehen wert – und wie dieser Genre-Mix Jazzhistorie en passant vorführt, allemal ein Extralob wert. Auf dem Weg in die City und zurück lief die lange erste Improvisation vom Original, in voller Länge in meinem Auto! Eine Woche vor jenem Ereignis, waren Keith und Manfred in Kronach bei „Rosato“ in der Aula eines Gymnasiums – diese herrliche Story hat uns Hans Dieter Klinger schon mal zum Besten gegeben. Das Hotel, in dem die beiden übernachteten, hiess „Sonne“. Sieben Tage später verweilte das Duo nahe der Alten Oper im „Hotel Engelbrecht“. Der Rest ist Geschichte! Und die von Rosato ist HIER nochmal nachzulesen!

7 Kommentare

  • Jan Reetze

    Wenn ich den Filminhalt aus der Ferne richtig deute, geht es da wohl auch mehr um Vera Brandes als um Keith Jarrett. However, ich hoffe, der Film schafft es in die Staaten, ohne dass ihn Trump mit einem Strafzoll belegt. Dennoch, ein wenig seltsam ist die Vorstellung schon, dass der Film ohne Jarretts Musik auskommen muss. Ich habe nie verstanden, was der Meister gegen dieses Album hat. Ich finde, es ist noch immer eines seiner besten.

    Und Dylan steht ja dann auch noch an. Der läuft hier wenigstens.

  • Michael Engelbrecht

    Und Vera selbst, hier:

    https://www.ksta.de/kultur-medien/koeln-concert-veranstalterin-vera-brandes-zu-hause-nahm-mich-keiner-ernst-die-musiker-taten-es-984114

    Lesenswert und authentisch.

    Hier ein Ausschnitt, und meine Kommentar dazu:

    Ja, das (Kölner Konzert) war schon die Nummer fünf. Ich hatte viel Vorarbeit geleistet. Angefangen hatte ich im März 1974 mit Ralph Towner und seiner Band Oregon im VHS-Forum der Volksschule. Da kamen etwas über 800 Leute und jedes Konzert danach wurde noch ein bisschen größer. Und sie waren alle ausverkauft. Das Konzert im Dezember 74 mit Gary Burton und Pat Metheny in der Uni-Aula sahen 1500 Leute. Meine Strategie war es, die Eintrittspreise so niedrig wie möglich zu halten. Für das Konzert von Keith Jarrett in der Oper gab es viele Karten für vier D-Mark.

    Michael: auf den angesprochenen Tourneen war ich dabei, aber in anderen Städten: bei Oregon in Münster 1974, und, unvergesslich: Burton, Weber, Metheny, Moses in einer Band in der Alten Oper Aschaffenburg. Es war atemraubend. Da möchte ich Goethe zitieren: allem anfang wohnt ein zauber inne…
    😉 …

  • Michael Engelbrecht

    Der Dicke auf dem Rücksitz, Rick James, oder wie der hiess, den hat es zwar gegeben, aber a) nicht in dem Renault, mit dem Eicher und Jarrett vom Süden nach Köln gefahren sind, und das wurde ja auch im Film später als erfunden deklariert. B) gab es wirklich so einen Typ gleichen Namens beim Melody Maker, wo Richard Williams arbeitete, aber der hatte mit Jarrett nichts am Hut. Da bemerkte der gute Richard, das wäre keine so gute Idee für den Film gewesen.

    Nun, ich widerspreche ein wenig. Es war sicher keine gute Idee, einen realen Journalistennamen zu nehmen, da hätten andere besser getaugt. Die nöher an der Musik damals dran gewesen wären. Aber das ist Kino, ich will es wirklch nicht 1:1.

    Die Sache mit dem Hotel Engelbrecht interessiert mich aber sehr. Kennt jemand es?

  • flowworker

    I can wait for the Dylan film. I couldn’t wait for this one!
    It is all from my salad days, of wine, roses, love and death.
    Looking forward to see Jean Eustache’s movie from 1973
    on arte for the second time in my life.

    Before the event i didn’t think it could put a spell on me, but it does.

  • alex

    Das ist alles wunderbar und ich freu mich für Dich. Aber da schmückst Du den Johann Wolfgang aus Frankfurt mit falschen Federn. Das mit dem Zauber war der Hermann aus Calw.

  • ijb

    Habe „Köln 75“ gestern nun auch gesehen, kann die teils harsche Kritik von manchen Leuten (darunter Jarrett-Kenner und Pianisten), die ich kenne, zumindest durchaus nachvollziehen, auch wenn ich den Film jetzt nicht ganz so schlimm finde wie einige andere. Zum größten Teil kann ich Michaels Kommentaren auch zustimmen, wenngleich ich im Ergebnis die zwei Stunden über nicht gleichermaßen begeistert im Saal saß.

    Aber es wird natürlich schon deutlich, warum M.E. und K.J. mit dem Film nichts zu tun haben wollten. Alexander Scheer macht das wirklich gut, ist sogar witzig, auch weil er den sehr deutschen Akzent ganz treffend nachahmt (rutscht aber, wie das immer so ist in solchen Fällen, natürlich zwischendurch auch immer wieder in besseres Englisch als „der echte Manfred Eicher“, und auch Mala Emde passiert das mit dem „schlechten Englisch“ ihrer Figur immer wieder) – doch sind halt die Dialoge, vermutlich bis auf ein paar prägnante, erinnerte Zitate, sehr offensichtlich nicht so wie Manfred Eicher spricht: Da kann ich mir gut vorstellen, dass er (der mal in meinem Artikel über das Rainbow-Studio einen Satz, mit dem ich ihn da zitiere, kleinteilig korrigiert hat) weitsichtig schon im Drehbuch schnell gesehen hat, dass es ein Fass ohne Boden, eine nicht zu bewältigende Aufgabe wäre, ein Umschreiben der Dialoge in seinem Sinn, hin zu „authentischeren“ Eicher-Dialogen anzustoßen. Da wäre er nie glücklich geworden; schließlich will man aus Respekt ja auch nicht den Drehbuchautoren so stark reinreden; das kann ich sehr gut nachvollziehen.

    Und dass die Hotelszenen zwischen Jarrett und Vera Brandes auch kaum irgendwie so abgelaufen sein können, kann man sich ja auch ohne große Hintergrundkenntnisse leicht denken; eine gewisse (Selbst-)Mythologisierung kommt da zu tragen, die aus der Story und der thematischen Setzung heraus nachvollziehbar ist, aus Jarrett-Perspektive vermutlich eher mit „So what“ quittiert wurde, bedenkt man, wie wenig Zeit die beiden im Rahmen dieser Europa-Tour miteinander verbracht haben – für Vera Brandes (bzw. die Filmfigur) ein riesengroßer Moment, diese Stunden im Januar 1975 in Köln, für Jarrett einfach ein nerviger Konzerttag unter tausenden.

    Ich finde auch die Figur des Journalisten schwierig, überzeugt mich nicht, speziell diese Erklärbär-Einschübe; die dann wiederum zu wenige sind, um als Stilmittel zu überzeugen; ebenso wie die sehr halbherzig, arg sporadisch eingeschobenen Brüche der Vierten Wand. Warum nur so ganz vereinzelt, und warum ausgerechnet an diesen Teilen? Das scheint mir willkürlich und aufgesetzt.
    Mit dem „Jarrett-Imitator“ Rusconi hab ich wiederum überraschender Weise weniger Probleme. Im Rahmen dessen, was der Film macht und erzählt und eben anstrebt, ist das absolut kein Fremdelement, sondern für die Brandes-Erzählung und die Faszination dessen, was Jarrett 50 Jahre später für das nachgeborene 2025er Publikum ausmachen soll, dann doch wichtig. Da die Figur so stark Keith Jarrett fiktionalisiert wurde (wie auch die anderen Figuren), ist es in diesem Filmkontext nicht weiter störend, dass die Musik eben auch nicht die echte ist.

    Unterhaltsam ist das Ganze durchaus, aber wie gesagt absolut nachvollziehbar, dass Eicher/ECM sich da rausgezogen haben.

  • flowworker

    @ Ingo: manfred hat seit langem ein, sagen wir mal, nicht-vsrhältnis zu VB. Er hätte nie zugestimmt, auch nicht wenn Wim Wenders das Drehbuch geschrieben hätte:)

    Mich stört das JarrettSurrogat von Lausanne einfach. Wohl weil es ziemlich flach ist im Sinne von allzu typisch Jarrett in einer nicht so guten Art. Aber den Film dieses Regisseurs liebe ich durchweg, mit all seinen Elementen. Da ich da aufgewachsen bin, ist es vielkeicht noch leichter mich vom Flow der Zeitreise mitrreissen zu lassen…mein Vater war ganz ähnlich, zB.

    Hier noch ein paar interessante Details, der erste Absatz sagt im Grunde, wieso ich KÖLN 75 besonders gut finde im gegensatz zu anderen biopics bestimtmer Art, und dann wirds immer interessanter:

    „Köln 75 wechselt zwischen englischen und deutschen Dialogen, durchbricht oft die vierte Wand und verwendet eine elliptische Erzählweise, die auf unterhaltsame Weise in die Irre führt. „Viele Musik-Biopics sind sehr formelhaft“, argumentiert Fluk. „Die Entstehungsgeschichte, das gequälte Genie, die Exzesse der Sucht, das triumphale Comeback-Konzert, usw. Ich wollte etwas Freigeistigeres. Mein geistiger Führer war Michael Winterbottoms 24 Hour Party People: schnell, energiegeladen und lustig.“

    Der berühmt-berüchtigte, zurückgezogene Keith Jarrett hatte keinen Einfluss auf den Film, aber sein Bruder Chris – ebenfalls ein renommierter Pianist – war ein Berater für das Drehbuch. „Wir wollten sicherstellen, dass wir Keith richtig darstellen“, sagt Fluk. Hilfe kam auch vom Produzenten des Films, Oren Moverman, der zwei der beeindruckendsten unorthodoxen Musik-Biopics der letzten Zeit mitgeschrieben hat: I’m Not There und Love & Mercy.

    Das Köln Concert ist das Thema eines weiteren, demnächst erscheinenden Films mit dem Titel Lost In Köln, einer Dokumentation, in der Dutzende von Beteiligten forensisch befragt werden. Brandes war an beiden Projekten beteiligt, und Fluk sieht sie als komplementär. „Aber mein Film ist sicher kein Dokumentarfilm“, betont er. „Ich wollte auch keinen Jazz-Film machen, so wie The Köln Concert kein Jazz-Album ist, sondern ein Stück Country-Rock, Blues und klassische Musik. Ich wollte etwas ähnlich Genre-freies machen, etwas, das keine Grenzen setzt, etwas, das für jeden zugänglich ist.“

    Die drei Absätze stammen von John Lewis aus der Aprilausgabe von uncut.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert