Ein vollkommen Unbekannter?
Eben auf der großen Kinoleinwand James Mangolds „A Complete Unknown“ angeschaut. Der Film ist bzw. hat mir deutlich besser gefallen, als ich erwartet hatte. James Mangold ist im Allgemeinen nicht als großer Künstler bekannt, auch nicht als Autorenfilmer; eher als solider Handwerker, der jeden Stoff auf eine zugängliche bis gefällige Weise publikumsfreundlich zubereitet – und damit regelmäßig für die Oscar-Saison fit macht. Und auch „A Complete Unknown“ ist natürlich durch und durch konventionell und ein solider Historienfilm – zwei Aspekte, die ich sonst nicht besonders mag. Doch davon abgesehen ist das Ganze sogar bemerkenswert weniger gefällig, als ich befürchtet hatte. Vor allem wird doch ein großer Fokus auf die Musik, auf die Songs gelegt, anfangs von Pete Seeger, Joan Baez und Woody Guthrie, dann aber auch auf den frühen Dylan. (Im Fall des Maria-Callas-Films von Pablo Larrain hatte einen solchen erzählerischen Fokus auf gut ausgewählte Musikstücke letztlich irgendeine Zuschauermeinung, die ich las, als nachteilig ausgelegt, absurderweise.) Und sowohl damit als auch mit der inszenatorisch und schauspielerisch dann doch erstaunlich überraschend unsympathischen Darstellung der Figur Dylan macht der Film bei einer zweieinhalbstündigen Laufzeit keine großen Zugeständnisse an ein Mainstream-Publikum. Andererseits erklärt eben das auch ein wenig, warum Dylan selbst dem Film seinen „Segen“ gegeben hat, der ja bekanntlich kein großer Fan von freundlichen Huldigungen seiner Person ist. Wenn man Dylan als Person vorher nicht mochte, wird man ihn nach dem Kinobesuch garantiert nicht sympathisch finden; das auf jeden Fall macht der Film sozusagen richtig und wird dem Enigma damit gerecht.
Zudem werden etliche Figuren und Umstände, die heutigen jungen Menschen, zumal außerdem der USA, sicher kein Begriff sind, ausführlich erzählt: Die Figur Joan Baez hat etwas die ein wenig undankbare Rolle als attraktive Stichwortgeberin und Anhimmlerin der Hauptfigur; letztlich ist sie sogar die sympathischere Figur als Dylan. Sylvie Rosso, der man klugerweise nicht den echten Namen Suzie Rotolo gegeben hat, bleibt ein wenig unterkomplex als Dylans frühe große Liebe und wichtiger Einfluss in der New Yorker Kunstszene, wobei letzteres aber nur für Aufmerksame wirklich erzählt wird. Edward Norton allerdings füllt die in den USA bis heute kulturgeschichtlich legendär relevante Figur Pete Seeger oscar-reif mit Leben. Und Timothée Chalamet ist tatsächlich auch wirklich stark in der Hauptrolle, wie ich ihn bisher in keinem Film gesehen habe. Es ist sicherlich eine exzellente Regie-/ Besetzungsentscheidung, einen allgemeinen Sympathieträger in dieser schwierigen Rolle zu besetzen; sonst würde ein unvoreingenommenes Publikum vermutlich so eine Geschichtsstunde nicht 150 Miniten lang durchhalten. Dafür sind viele Details eben doch sehr spezifisch für Musiknerds oder Menschen, die die 1960er noch miterlebt haben sowie für den kleinen Kreis von Leuten, die sich für das doch recht spezifische Thema einer solchen Künstlerfigur und ihrer Nöte begeistern können. Trotz der Laufzeit wurde mir keine Minute langweilig; ich hätte sogar eine ganze Serie mit diesem Material angeschaut, war fast traurig, dass es irgendwann zu Ende war.
Und dann sind da natürlich diese unfassbar großartigen Lieder, die das Ganze zusammenhalten. Denn der Film ist, ungeachtet des thematischen roten Fadens, der sich doch ganz wunderbar auch in Todd Haynes‘ ungleich kreativeren Dylan-Film „I’m not there“ wiederfindet, dann letztlich eine große Verbeugung vor diesen Songs und ihrer bis heute bleibenden Relevanz, sowohl für die Zeitgeschichte (im Sinne eines Historienfilms über die frühen Sechziger), die Musikgeschichte (in Anbetracht des übergroßen Einflusses bzw. Wertschätzung, den/die Dylan bis heute bei 99% aller Songwriter genießt) als auch für die Kulturgeschichte im größeren Sinn. Große Klasse, wie Chalamet (und im übrigen auch die Tonmischung!) diese Songs zum Leben erweckt. Das ist alles andere als selbstverständlich.
5 Kommentare
flowworker
Ich bin gespannt, sehe ihn bald.
Die beiden Herren dieses und des vorigen Posts (mit Zug) passen schon mal gut zusammen.
M.E.
Und ein Zeitzeuge:
As it happens, I enjoyed A Complete Unknown a lot, with only a very few reservations. When Chalamet-as-Dylan sings “The Times They Are A-Changin’” to a festival crowd, Mangold orchestrates the audience’s response in a way that precisely evokes how it felt to experience that song in 1964, with all the emotion of realising that it spoke for you. It was a relief to come out of the screening with the knowledge that I wouldn’t have to be explaining to younger people that it really wasn’t like that at all. Mostly, it was.
Richard Williams in the blue moment
Lajla
Characterization of BD and also Baez was way off. Baez came across as a sultry seductress willfully causing havoc. She wasn’t at all like that. And her voice was much much better.
The choice of clothes way off. Dylan himself was much cooler and elegant and lively back in the 60s. The music played, except the opening song with Guthrie and one from Johnny Cash, bland like vanilla.
(Diesen Kommentar schickte mir ein Los Angelino, der die 60er u 70er hautnah erlebt hat)
ijb
Ja, es ist immer schwierig, wenn man „hautnah“ dabei war, speziell wenn es persönlichkeitsprägende Zeiten in der Vergangenheit betrifft. Dann können solche Filme eigentlich nur verlieren bzw. nie dem gerecht werden, was man als Zuschauer erwartet. Man gleicht es immer mit dem eigenen Standpunkt ab, und Erinnerung ist obendrein trügerisch. Ich bin sicher, dass es mir mit einigen Filmen genauso geht wie dem zitierten Amerikaner mit „A Complete Unknown“. Daher überrascht mich das tatsächlich nicht; ich hatte es sogar ziemlich genau so erwartet – auch dass ich es selbst als Spätergeborener teils ähnlich empfinden würde.
Das gleiche Problem kennt man von vielen anderen Filmen, und ich höre das immer wieder. „Die Klasse“ („Entre les murs“), der vor einigen Jahren die Goldene Palme gewann, wurde für seine Realitätsnähe gelobt; eine Bekannte von mir, die selbst in dem Bereich arbeitete, ärgerte sich sehr über den Film, er sei ja total langweilig, da er nur dokumentarisch abbilden würde. Andere kritisieren an solchen Filmen wiederum, sie seien zu sehr dramatisch zugespitzt (siehe z.B. aktuell „Heldin“ oder auch „Anora“) und nicht realistisch genug. Filme/Serien, die im Polizeimilieu oder im Krankenhaus spielen, erhalten zuverlässig die gleiche Kritik – von beiden Seiten. Ebenso Filme/Serien im Politikumfeld oder Filme über klassische Musiker/innen oder über verdeckte Ermittler („The Departed“) oder ganz oft natürlich solche über Bildende Künstler („Werk ohne Autor“ u.v.a.)…
Ich muss sagen, dass ich die Stimme der Joan-Baez-Darstellerin in dem Film erstaunlich eindrucksvoll fand (dass sie nicht allzu komplex erzählt wird, muss ich zugeben, Frauenfiguren allgemein keine Stärke bei Regisseur James Mangold), muss dazu aber auch sagen, dass ich diese Art von sehr hohem Gesang in Pop- und Folk-Musik normalerweise nicht lange anhören kann, selbst wenn ich die Texte schätze und die Interpretinnen sympathisch finde. Was die Kleidung betrifft, habe ich den Eindruck, dass die gesamte Kleidungspalette eigentlich eins-zu-eins den Fotografien und Filmaufnahmen der damaligen Jahre nachempfunden ist. Ob der echte Dylan noch „cooler“ auftrat und vor allem deutlich weniger gefällig sang war als Timothée in dem Film…? Wenn ja, dann ist das vermutlich inszenatorisches Entgegenkommen an ein heutiger Publikum und damit eigentlich eine ganz interessante Übersetzung für ein aktuelles junges Publikum, das sich sonst womöglich nur kopfschüttelnd abwenden würde.
flowworker
Ich will keine 1:1 Nachstellungen des Vergangenen.
Wenn ich echte Zeitreisen will, sehe ich documentaries, in denen möglichst wenig Schlaumeier als Animateure auftreten. Beatles 64 sehe ich da als weitgehend gelungen an, bird on a wire ist meine lieblingsdoku aus einer Europatour von Leonard Cohen, wo Leonard Leonard ist. Den Film habe ich achtmal gesehen ungefähr. Oder der Konzertfilm, wo Cohen, 1971 oder so auf der Isle of Wright, obwohl stoned, die aufgebrachten massen beruhigt.
Ich bin sicher, dass mir A complete unknown gut gefällt. Richtig viel und den echten Dylan gibts in der Doku über die Rolling Thunder Tournee, wo das Material so hinreissend ist, dass man die zwischenredner gerade noch aushält.
Und jetzt käuft hier Köln 75 über das Köln Concert von Keith Jarrett, ohne Keith, ohne einen Ton seiner Musik, eben ein ganz netter Film über Vera Brandes, die mir mal bei einem Konzert sagte, Eicher sei ein „Eisprinz“. 😂 Den Film brauche ich nicht wirklIch, denn der ist sicher nur halb so spannend wie der Tag, an dem ich, taufrisch im Laden, das Doppelalbum im Amsterdam Record Shop kaufte und zuhause auflegte.