Für Scotch und Candlelight auf El Hierro und sonstwo
Vorspiel mit einem alten Text: Der vertraute Klang eines Cocktailshakers voller Eis und entfernter Möwen weichen einer einfachen Melodie, einem im Licht sich räkelnden Rhythmus. Wir befinden uns auf einer Zeitreise in ein Japan, das bald eine halbe Ewigkeit zurückliegt. Die Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, jene tollkühne Dekade. Wir träumten damals vom Fujiama, der uns auf grossen Briefmarken entgegenblickte, verspielt und majästetisch, als wir baby boomer waren. Japaner träumten anders. Und so befinden wir uns gerade mitten in einer Musik, die deren ausgesuchte Urlaubsparadiese zu damaligen Wirtschaftsblütezeiten heraufbeschwörte. Die südlichen Inseln im Pazifik.
„Pacific“ ist der Titel dieser Langspielplatte. Das Werk entstand 1978. fast alles instrumental, bis auf die eine Zeile, die mit dem „Sommer in ihrem Haar“ alle Träumerei auf den Punkt bringt. Die drei Pazifikforscher: Shugeru Suzuki, Harry Hosono, der bald das Yellow Magic Orchestra mitgründen sollte, und der Dritte, einer der Cracks der japanischen City Pop-Szene, Tatsuro Yamashita. Wir erkennen einen alten Bekannten, der auf dem Album auch mitmischte, Ryuichi Sakamoto. So jung, man glaubt es kaum. Eine Prise früher Synth-Pop, die japanische Variante amerikanischer Exotikträume a la Les Baxter, melodische Funkrhythmen, ein schwebender Horizontöffner, eine Brise New Age, easy peasy, soft and breezy.
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Ein gutes Jahrzehnt später. “I follow the peacocks as they sing like wo la la la”. Das Album: OMNI SIGHT SEEING. Anno 1989. . In den Achtzigern war „Weltmusik“ angesagt, aber vieles von diesen globalen Sounds hielt eine geschmäcklerische Sanftheit parat, mal virtuos, mal berechnend, und oft genug war das vollmundige „CROSSOVER“ einfach langweilig wie effekthascherisch.
Wenig kam heran an die rohe Wucht und Durchschlagskraft von „My Life In The Bush Of Ghosts“ von Eno und Byrne, an die surreale Magie von Jon Hassell und den drei Codona-Alben auf ECM. Einiges wohl, aber vieles nicht. Und da taucht nun, als Reissue bei Victory Records, diese Platte auf, die diesen Globetrotter-Modus auch noch auf das Cover setzt, als Untertitel in schwarzen Lettern: „recorded in 1988 – 1989 from Showa to Heisen, Tokyo to Paris, Sung in Japanese-English, French and Arabic“. Und was darüber steht, wirkt wie eine touristische Animation: „omni Sight Seeing / the GLOBE WATCH TOUR: conducted by Hosoni Haruomi“. So weit, so gewöhnungsbedürftig.
(Die Fortsetzung mit „der psychoakustischen Erfahrung“ folgt in Kürze, die Platte kann man für erstaunliche 20,99 Euro bei HHV bestellen, Ingo könnte vorbeigehen in dem Berliner Laden und das Porto für die Lieferung einsparen (bei Amazon kostet das Vinyl einer anderen Ausgabe 338 Euro – und so viel vorab, ich gebe der Platte 4 von 5 Sternen und empfehle sie uneingeschränkt, Jan R. wird sie auf Tidal hören, wie er mir mailte. Das white marbled vinyl eine Augenweide.)
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Ich besorgte mir das Album, weil ich Haruomis „Pacific“ vor Jahren als Entdeckung empfand, und einmal mehr überzeugt mich auch dieses Werk von Anfang bis Ende, warum, genau, kann ich aber kaum sagen. Es geht ja auf der Rückseite des Albums, im Kleingedruckten, noch weiter, und wenn man da von „Astralreisen“ liest und „spiritueller Reise“, noch dazu in recht plakativer Sprache, fragt man sich, ob der Gute zuviel Kaffee im Nirvana getrunken hat, ein romantischer Schwärmer ist, oder reale Grenzerfahrungen in Klänge übersetzt.
Denn dieses Album ist ein Tollhaus von kreuz und quer purzelnden Einfällen (das Cover passt da schon wunderbar!). hosono Haruomi in einem Samdkasten aus Alphaville. In eine japanische Technovariante mit Härte 8 schmuggelt er Bandoneonistas hinein, marokkanische Herzensgesänge, ein fröhlich aisflippendes Saxofon, um danach in einem wundersam floatenden Ambient Track jeder zerfliessenden Sekunde gewisse underwater vibes unzerzumischen – call it „balearic“! Schön verrückt und erfinderisch seine elektronisch unterfütterte Version von Duke Elllingtons „Caravan“! Alles kommt mit einem ausgeprägten Spieltrieb daher, und könnte leicht als nette multikulturelle Petitesse durchgehen, aber es fesselt mich, sorgt für Heiterkeit, Wundern und schöne Verblüffung. Seltsam.
3 Kommentare
Jan Reetze
Mit Grüßen an … hieß sie nicht Renata Calani?
Jan Reetze
Schönes Album. Bei den Streamingservices, wie ich gerade festzustellen habe, fehlen beklagenswerterweise die Tracks 2 und 7. Leider nicht das erste Mal, dass ich so etwas entdecken muss.
flowworker
Allgemein, Jan, wird Philharmony als sein bestes Album gehandelt, in Spectrum Culture und sonstwo. Ist das auch dein Favorit?