Das schönste Buch des Jahres 2024

13 cm nehmen meine drei Comics von Craig Thompson im Bücherregal ein. 

Das dünnste (na ja, 580 Seiten ‚dünn‘) ist das vor 21 Jahren erschienene „Blankets“, eine autobiographische coming of age Geschichte. Thompson berichtet von der christlichen Erziehung durch seine Eltern, vor allem aber davon, wie sich die erste Liebe und der anschließende Kummer anfühlen.

„Habibi“ ist das dickste (6 cm) und kam 2011 dazu: wieder eine Liebesgeschichte, auch eine Reise zu den gemeinsamen Wurzeln von Islam und Christentum – magischer Realismus aus 1001 Nacht.

„Ginseng Wurzeln“ wurde im letzten Oktober im Reprodukt Verlag veröffentlicht und kommt auf 5cm. Es handelt über eines der wirksamsten Kräuter der chinesischen Medizin, auch über Klassenunterschiede in den USA, den Handelsbeziehungen nach China, wie Großkonzerne Familienbetriebe verdrängen und vieles mehr. 

Die Welt des Ginseng wird zu einem Kaninchenbau in dem Craig Thompson selbst tiefe Wurzeln hat. Er wächst in Marathon (Wisconsin) auf, dem Hauptanbaugebiet in den USA. Jede Sommerferien arbeitet er als Kind mit seinen Eltern und Geschwistern auf den Feldern. Umkraut jäten, Steine wegschleppen, usw. Das Geld was übrig bleibt investiert er in Comics – so dass seine Karriere tief im Ginseng Anbau verwurzelt ist. Das er als Erwachsener Ginseng als Medizin gegen eine Wucherung in seinen Händen, die dieselbe Karriere bedroht, einnimmt, unterstreicht die schicksalhafte Bedeutung der Pflanze in seinem Leben.

„Ginseng Wurzeln“ ist eine Mischung aus Autobiographie und journalistischer Dokumentation. Thompson zeichnet verschiedenste Verästelungen und Verzweigungen nach: Es gibt Interviews mit amerikanischen Ginseng Farmern, Mythen um die Pflanze stehen neben dem Schicksal der Hmong nach den Vietnam Kriegen, neben seinen eigenen Wurzeln und der Entstehung des Buches.

Und dabei passiert fast alles gleichzeitig, die Erzählung nimmt verschiedene Abzweigungen und Umwege durch dieses Geflecht an Geschichten und Fakten. Begleitet wird der Leser nicht nur von Craig Thompson selbst, sondern oft auch von einer kleinen menschlichen Ginseng Wurzel.

Dabei halten die wundervollen Bilder die Vielzahl an Themen zusammen, verleihen ihnen zusätzliche erzählerische Tiefe: sehr detaillierte Schwarz-Weiß-Zeichnungen, wobei auch Rot – die Farbe der Ginsengbeeren – eingesetzt wird; immer wieder halten fantastische Elemente Einzug.

Giseng Wurzeln beeindruckt nicht nur optisch und inhaltlich, vor allem macht es viel Spaß diese Verflechtung von globalen mit persönliche Themen zu lesen.

5 Kommentare

  • flowworker

    Nicht mein Genre, aber ein faszinierendes Geflecht! In Rayula von Julio Cortazar verschränken sich auch viele Ebenen , aber ohne Bilder, und das Bindemittel ist der Jazz. Und was hier die Ginsengwurzeln sind, ist da der Mate Tee. Michael)

  • Olaf Westfeld

    Rayuela habe ich nicht verstanden. Wollte das Buch gerne richtig gut finden, habe es auch zu Ende gelesen – leider ohne Vergnügen…

  • Michael Engelbrecht

    Ja, verrückt, woll…. aber so ist das….
    Der grösste Fan von Rayuela ist, Moment ich komm gleich
    auf den Namen, Gregor😂

    Ein Geheimnis der Faszination bestimmter Erzählwerke ist, wieweit sie unsere eigenen Story spiegeln, fortführen, verwandeln…

  • Martina Weber

    Das erinnert mich daran, dass ich die „Blankets“ im Regal stehen und noch nicht gelesen bzw. angeschaut habe. Kommt jetzt also in die to-Read-Ecke. Was du über „Ginseng Wurzeln“ schreibst, klingt sehr interessant. Den Titel notiere ich mir.

  • Olaf Westfeld

    „Blankets“ hat mir damals gut gefallen, allerdings… ich weiß nicht mehr ganz genau, es ist ja über 20 Jahre her. Ziemlich emotional. Aber – in meiner Erinnerung – wirklich gut erzählt, toll gezeichnet. Ginseng Wurzeln fand ich wirklich fantastisch und hab mir vorgenommen, noch mal in die anderen beiden reinzuschauen.

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