Doppelbilder

„Doesn’t seem to be a shadow in the city 
All around, people lookin‘ half dead“
(The Lovin Spoonful, Summer In The City)  

Es war ein Sommer in den Sechzigern, in dem die Siebziger schon rückwärts ein paar Schatten warfen, eine Ahnung erfüllter Zeiten, die ersten Jukeboxen, ledergebundene Single-Alben in unserer kleinen Kirchhörder Welt. 1967. Conny war ein älterer Teenager, und er hatte die grösste Kollektion an Singles. Wenn ich mal bei ihm vorbei kam, legte er gerne The Small Faces auf, und kurz blitzten all die Dinge auf, von denen Frischlinge gerne träumten. Einmal fiel ich bei Conny nach Sekunden in eine tiefe Trance, als er, frisch aus dem Single-Presswerk, „Summer In The City“ auflegte, von The Lovin‘ Spoonful. Es war wohl eines der ersten Lieder, bei denen mir bewusst wurde, wie bezaubernd die alltäglichen Sounds einer grossen Stadt sein konnten. Der erste Riff, die Melodie, die Stimme John Sebastians. Ich bat Conny inständig, mir die Single einen Tag zu leihen, ich sagte nicht, dass ich sie unendlich oft hören wollte. Schliesslich gab er nach, und ich musste ihm versprechen, die Ware am folgenden Tag um Punkt 17 Uhr bei ihm abzuliefern. Das war ja nun kein Problem, oder doch, ein kleines. Ich war so umrauscht von dem Song, dass ich dachte, in einer Zeit, in der wir alle Grenzen überschreiten würden, wäre es kein Problem, diesen himmlischen Song noch ein bisschen länger zu behalten.

„Pictures Of Lily helped me sleep at night“
(The Who, Pictures of Lily
)

Ich hatte die „Bravo“ neben dem Bett liegen, und war nicht erfreut, zu lesen, dass The Kinks, meine Lieblingsband, mal wieder betrunken auf der Bühne aufeinander losgegangen waren. „Hot town, summer in the city / Back of my neck getting dirty and gritty / Been down, isn’t it a pity / Doesn’t seem to be a shadow in the city“. Irgendwann nachmittags rief mich Uwe an (mit dem ich selten zu tun hatte, er besass als Erster „Hey, Joe“ von Jimi Hendrix), und sagte mir, er habe eine Überraschung für mich, und ich möge doch zu unserem Bolzplatz kommen. Als ich dort war, traten Uwe und Conny hinter einer Hecke hervor, und Conny schlug mir voll in den Bauch, so dass mir die Luft wegblieb und ich auf den Boden kippte. Er erinnerte mich an unsere Abmachung, und als ich wieder Luft bekam, entschuldigte ich mich. Jetzt war Uwe dran, und schlug noch einmal mit voller Wucht zu. Ich bekam es mit der Angst, und wartete, bis der Atem wieder einigermassen auf und ab ging. Dann rannte ich los, was verrückt war, weil die beiden älter waren, und mich jederzeit einholen und weiter auf mich einprügeln konnten. Stattdessen traf mich ein Stein an der Schläfe, und ich sank schreiend zu Boden. Das Blut floss über Augen und Nase, und ich weiss heute nicht mehr, welcher Zeuge der Ereignisse dafür gesorgt hatte, dass ich ins Krankenhaus kam und mit etlichen Stichen genäht wurde. Am Tag darauf legte ich kdie Single, verpackt in in einen Umschlag, in Connys Briefkasten. Ich sah ihn nur noch aus der Ferne danach, und dann nie mehr. Hier und da noch hatte ich Doppelbilder, und selbst meine „Pictures Of Lily“ waren eine Zeitlang leicht verwackelt.

6 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Der alte Blog ist eine Fundgrube schöner, alter Texte. Einmal redigiert / remixt, erstrahlen sie neu. Das war so ein Fundstück, über das ich stolperte.

    Im Zusammenhang mit der Magie der ersten Songs, die mich umhauten mit 10, 11, 12 Jahren. Von Donovanliedern erzählte ich ja unlängst, tarurigschöne Erinenrungen nach der Suche nach meinem Blutsbruder Matthias.

    Karl May war schon zu einigen Dingen gut – genauso wie die Pistolen, sie wir als Kinder trugen, wenn wir Wyatt Earp und anderen am Fusse der Blauen Berge nacheiferten. 😉

    Es ist interssant, dass es zu fast jedem der frühen magischen Songs eine Story gibt (zum Glück nie mehr so blutig wie hier bei Summer In The City). Zum Beispiel erinnere ich mich genau, wie ich in welchem Bett meiner Kindheit erstmals Mr, Pleasant von den Kinks hörte aus dem kleinen Transistorradio, ich war hin und weg und Glücksgefühle durchströmten mich.

    Das ist eben auch eine short short story🎡

  • Michael Engelbrecht

    Hier noch ein Vorgeschmack auf mein Interview mit Tommy Perman und seinem schottischen Kollegen, natürlich fragte ich auch nach Lieblingssongalben:

    John Martyn – Solid Air

    I can’t even guess at how many times I’ve listened to this album and I don’t think I’ll ever tire of it. Everything about it, the songwriting, John’s liquid vocal performance, the combination of instruments and incredible musicianship make it a near perfect record for me. Danny Thompson’s double-bass and Tristan Fry’s vibraphone are so good. I find it a deeply comforting album to listen to.

    (Tommy Perman)

    Und wenn das Olaf sicher bestens vertraut ist, aber immer eine Emtdeckung wert, hier hat Tommy auch ein desert island album für Lajla, und es führt ihn auch in seine Teeangerjahre zurück – und zum Plattenschrank der Erziehungsberechtgten:):

    Nina Simone – Tell Me More

    My mum used to review records for a newspaper and so I grew up with lots of great albums in our house. This album really caught my attention as a moody teenager and I often listened to Sinnerman and Strange Fruit before going to sleep. I know lots of people prefer Billie Holliday’s version of Strange Fruit but the way Nina Simone sings it sends shivers down my spine. I find her voice so full of emotion, it affects me deeply.

    Das Album der beiden Schotten ist fantastisch.
    Kein Geiz, nur diskreter Überfluss 🎡

  • Norbert Ennen

    Tell Me More = Pastel Blues (2020er Reissue aus der Acoustic Sounds Serie sehr empfehlenswert)

  • Michael Engelbrecht

    Danke fpr den Tip, Norbert!

    Now, let’s go back one more time to 1967, the so called summer of love, with „Musics and Remembrances“ by Brian Whistler …. HERE!

    Even the echoes (the comments) of Brian‘s time travel story are an interesting read, i think 😉

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