Neue Herumtreiber und ein dicker Hund – eine kleine Geschichte voller Seitensprünge zu den frühen Jahren des American Analog Set

„What a fucked-up city. Imagine how many people out there are fuckin‘ right now man, just goin‘ at it? (Slater, looking at the panoroma of Austin at night, in Dazed and Confused)

No, they certainly do not rock. One listen to The American Analog Set’s debut, The Fun of Watching Fireworks, released last year on Trance Syndicate/Emperor Jones confirms that loud and… well, not so loud — but clear. Like a whisper in a hushed room. And if you’ve ever seen the local quartet live, whether crammed into the corner at the Blue Flamingo, or under the neon lava glow of the Electric Lounge sign, hushed is the atmosphere you’ll find — where every beer bottle dropped into a garbage breaks the mood like a telephone call during sex. (Austin Chronicle, 1997)

Selbst damals in den Neunzigern waren die Republikaner, die Rednecks, ziemlich präsent in Austin, Texas. Lucinda Williams kannte dennoch ein paar nette Menschen dort. Wie dem auch sei, zu all den Orten, zu denen ich gerne via Zeitmaschine reisen würde, zählt, in milder Rückschau, neben London 1965, Santa Monica 1967, seit kurzem auch, Austin, Texas, 1996. So etwas passiert Musikjournalisten eigentlich nur, im puren Spiel der Fantasie, wenn sie in den Sog einer Kulturszene geraten wollen, die mal grosse Wellen geschlagen hat. Und glauben Sie mir: grosse Wellen hat vor der Jahrtausendwende in Austin gar nichts geschlagen. 1993 wurde dort Linklaters Coming-of-age-Streifen „Dazed and Confused“ gedreht, eine Zeitreise ins Jahr 1973, so beknackt, dass sie fast schon liebenswert rüberkommt. Aber ein Auslandsjahr dort in Austin, bei einem lokalen Radiosender, und ich hätte mich wahrscheinlich in Lisa Roschmann verliebt.

Und was hörte man so in der Independant-Szene, damals, in Austin? Stereolab waren gesagt, dann extraordinaire Band mit Baritonsaxofon, auch ein paar lokale Helden, und, die unangestrengtesten von allen, The American Analog Seit. Als zu Beginn dieses Jahres die Archivmeister der Numero Group auf fünf fabelhaft editierten und anzuschauenden Langspielplatten den Output der Analogen unter dem Titel „New Drifters“ veröffentlichte, war das Echo, wie zu erwarten, nicht riesig, aber voll des Lobes, in einschlägigen Magazinen und Blogs. Das beiliegende grossformatige Heft füttert uns mit Schwarzweissfotos aus den „salad days“ dieser jungen Band, in deren Musik ich ohne Anlauf versank, seltsam aufgehoben, aufgelöst.

Sie waren mir komplett entgangen, sonst hätten die playlists meiner Radiosendungen damals ein wenig anders ausgesehen. Immerhin hatte ich die samtweiche Nachtmusik von Morphine im Programm. Über die Seiten des tollen Beihefts verstreut, neben den Bildern, viele „lyrics“, durchweg handgeschrieben, manchmal unscharf, voller durchgestrichener Linien – perfekt in die Fotosammlung jener verschwundenen Jahre eingearbeitet. Zwei aus der Band waren ein Liebespaar, und es gab Gründe, dass Lisa ausstieg, die mit E-Piano, Flöte, Orgel, Stimme, zum Zauber einer Band nicht unwesentlich beigetragen hatte, der man Unrecht tut, wenn man sagt, sie würden alle, und das höre man auch, Galaxie 500 kennen und die Velvet Underground. Da war mehr im Spiel als irgendjemandes Urklang, und fremdes Fahrwasser.

Ab einem bestimmten Alter kommt es eher selten vor, dass man einen Narren frisst an einer Band, aber mir ist das hier passiert. Wie damals, 1980, als ich eine andere Gruppe mit einer verhuschten Mädchenstimme erstmals hörte, Young Marble Giants. Ich bin ziemlich sicher, Lisa liebt „Colossal Youth“. Ich möchte mich dem Ende dieser kleinen Abhandlung – und ein „dicker Hund“ kommt noch – nähern mit ein paar Zeilen aus „New Drifters“, ich versuche es mal mit reinem Zufall: „…the girls will get reports on the hour / from boys on the catwalk by the tower / don‘t fret (?) the kids down at the record shop …“ Das ist jetzt nichts, was den Atem stocken lässt, eine flimmernde Tagebuchnotiz. Das Unheimlich-Flüchtige ist auf diesen fünf Schallplatten stets präsent eingesponnen in Ohrwürmer, stillstehende Zeit, Klangexperimente der sanften Art, melancholisches Verschwinden (exquisit hypnotisch) – und ein paar ernsthafte Gedanken über das Mysterium der Freude an Feuerwerken.

TIME MACHINE….MARGINAL MEMORIES…. SPOKEN OUT BY ANDREW KENNY FROM AMERICAN ANALOG SET…. SPRING 2002…. „The word on the street is that Lisa was married recently. Funny that. I guess my invitation was lost in the mail… I’m not lamenting her marriage so much. It’s more a feeling that I missed a golden opportunity to be so drunk at her wedding. Slurring and stumbling through an uncomfortable toast. Being vaguely disrespectful, calling her father by his first name. Spilling cheap Merlot on the carpet at some country club I’ll never be invited back to. Having her brother and a host of faceless groomsmen toss me out of the reception. Sitting at home after, letting the sharp yet harmless click of an empty revolver being dry-fired into my midsection over and over lull me into a deep, troubled sleep. These opportunities only come calling a scant few times in life. Carpe diem and all that.“

(der Text wird weiter bearbeitet und ergänzt, und dann im November gepostet in unserer Rubrik „Poetry“ mit dem Ober- oder Untertitel „Poetry In Sound“.)

17 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Übrigens, optisch nicht bei jedem so gut sichtbar. Wer auf den letzten Satz der Erinnerung von Andrew Kenny klickt, „Carpe diem and all that!“, der bekommt, mit einem Augenzwinkern zu unseren irdischen Zeitreisen, die passende Weiheit von Father John Misty frei Haus geliefert!

    Eine andere Zeitreise gefällig?

    Die norwegisch-kanadische Produktion „So long, Marianne – Eine Leonard Cohen-Serie“ (ab 22. September in der ARD Mediathek oder am Mittwoch, 2. und 9. Oktober, 23.30 Uhr linear im NDR) beschreibt nun, wie sich die beiden kennen und lieben lernten. Inklusive sämtlicher Verwerfungen, die junge Menschen auf der Suche nach dem richtigen Leben erfahren können.

  • Michael Engelbrecht

    Nicht die deutschen Karat, aber welche anderen?? Danke für die Fragen… ich rechne damit, dass in jedem improvisierten Texten falsche Namen und Zuodnungen auftauchen. Ich korrigiere das dann, zumindest, wenn Fragen mit drei Fragezeichen auftauchen. Wie hiess denn nun die slow core Band mit Saxofon, wenn es nicht Codeine waren…. vielleicht Morphine?!

  • Michael Engelbrecht

    Der dicke Hund auf deutsch

    „Es heißt, dass Lisa vor kurzem geheiratet hat. Komisch, dass. Ich schätze, meine Einladung ist in der Post verloren gegangen… Ich trauere nicht so sehr um ihre Hochzeit. Ich habe eher das Gefühl, dass ich eine einmalige Gelegenheit verpasst habe, bei ihrer Hochzeit so betrunken zu sein. Ich lallte und stolperte durch einen unbequemen Toast. Vage respektlos zu sein, indem ich ihren Vater mit seinem Vornamen nannte. Billigen Merlot auf dem Teppich in einem Country Club zu verschütten, in den ich nie wieder eingeladen werde. Mich von ihrem Bruder und einer Schar gesichtsloser Trauzeugen von der Feier werfen lassen. Danach zu Hause zu sitzen und mich von dem scharfen, aber harmlosen Klicken eines leeren Revolvers, der mir immer wieder in den Bauch geschossen wird, in einen tiefen, unruhigen Schlaf wiegen zu lassen. Solche Gelegenheiten bieten sich nur wenige Male im Leben. Carpe diem und so weiter.“

    Ich war mir sicher, dass bei dieser Band eine lovestory im Spiel war, in den frühen Jahren. Und dann knallte es.

  • Michael Engelbrecht

    Genau

    Wiki: Karate ist eine stark von Jazz-Einflüssen geprägte Indie-Band, die 1993 von Geoff Farina, Eamonn Vitt und Gavin McCarthy in Boston gegründet wurde. Innerhalb eines Jahres veröffentlichten Karate ihre erste 7″, Death Kit, 1994 erschien dann das erste Album der Band, Karate.

    Aber alles nicht so wichtig wie der dicke Hund!

  • Olaf Westfeld

    Sieben dunkle Jahre überstehen.
    Der Text macht ja Lust auf AAS. Sollte ich denn Ende des Jahres eher in deren Box Set oder eher in die Byard Lancaster Kiste investieren 🤔

  • Michael Engelbrecht

    The ranking has nothing to do with a measurable quantum of excellence. All works love affairs, life’s company or brand new disoveries.

    Favourite Reissues & Archival Discoveries 2024:

    01. The American Analog Set: New Drifters
    02. Ank Anum: Song Of The Motherland
    03. Joni Mitchell: The Asylum Years (1976-1980)
    04. Alice Coltrane: The Carnegie Hall Concert
    05. Portishead: Roseland NYC Live
    06. Julie Tippetts: Shadow Puppeteer
    07. Toumani Diabate / Ballake Sissoko: New Ancient Strings
    08. Byard Lancaster: The Palm Recordings (1973-74)
    09. Jan Garbarek: Afric Pepperbird
    10. Taylor, Winstone, Wheeler: Azimuth
    11. Can: Live In Paris 1973
    12. Richard Horowitz / Sussan Deyhim*
    13. Paul McCartney: Band On The Run
    14. Phil Pratt: Star Wars Dub **

    * The Invisible Road: Original Recordings, 1985-1990 compiles an unheard, previously unreleased body of recordings by Sussan Deyhim and Richard Horowitz, dissidents from diametric backgrounds who met during the heady days of Downtown New York in the 1980s.

    This collection reveals the creative and life partners‘ radical shared vision of avant-garde pop in all of its boundary pushing freedom, combining Deyhim’s singular approach to vocalization, Horowitz’s invention of new musical languages, and touchstones of traditional music from around the world, creating a new music that ultimately retains a voice entirely its own.

    Mixed and mastered from the original multitrack reels, and pressed on audiophile quality vinyl, this album also includes a 12 page booklet containing liner notes, photographs, and unseen ephemera.

    ** The quality of the dub workouts is excellent, using mostly unfamiliar but well-performed reggae riddims by Skin, Flesh & Bones and Soul Syndicate, both pre-Revolutionaries. These riddims are reconstructed based on the basic drum and bass pattern, with some subtle sound effects, sneaky organ snippets, smooth horn fragments (African Communication, Which Clapp, and Tower Dub), and guitar chops that fade away into a shallow echo pit. All of this is done without going over the top with excessive bombast. Given that the album originated in the 1970s, a duration of thirty-four minutes is par for the course. Furthermore, it’s unfortunate that none of the tracks contain vocals, as it could have provided insight into the vocal pieces. Nonetheless, there’s no complaint as Star Wars Dub is consistently exceptional. After all this time, these Jamaican-style workouts from the 1970s are still worth a listen.

  • Olaf Westfeld

    „Favorite Reissue“ ist das Azimuth Album – ganz sicher auch (neben Beth) die meist gehörte Musik des Jahres. Und dann sind da noch die 2nd Hand Käufe, da müsste ich mal schauen…und hören, was vorne liegt.

  • flowworker

    Azimuth ist ein Album das man einfach zauberhaft nennen kann ohne dass der Rotstift mäkelt

    In meiner gnadenlosen Liste sogar noch vor dem Kracher von Paul😅

  • flowworker

    A propos und Dank an Henry:

    Deutschlandfunk Kultur
    heute 20.03 Uhr

    Salle Pleyel, Paris
    Aufzeichnung vom 27.05.2024

    Beth Gibbons und Band

    Moderation: Carsten Beyer

    Ich erlebte sie ja in Brüssel.

    Bei den reissues 2024 habe ich Portishead Live vergessen … das doppelalbum!!! Soeben ergänzt, natürlich auch noch Ank Anum!!!!

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