Tatami

Ein unerwartet intensiver Kinobesuch: „Tatami“ von Zar Amir und Guy Nattiv. Fantastisch guter Film, klarer 5-Sterne-Film; ich wüsste gesagt nichts, was ich daran auszusetzen fände. Perfekt erzählt, in sagenhaft tollen Bildern (Kamera: Todd Martin) und von exzellenter Regie mit grandiosen Schauspielerinnen inszeniert. Auch in der epd film gibt es die Höchstwertung – „ein politischer Thriller um strukturelle Unterdrückung und individuelle Freiheit“. Die Kampfszenen wirken so eindringlich wie einst jene in „Raging Bull“.

Iranische Filme, die bei uns im Kino oder auf Festivals laufen, sind eigentlich zuverlässig sehenswert, oft hervorragend, seit ich Kinogänger bin, und so wollte ich eigentlich schon schreiben, „Tatami“ dürfte ein sicherer Kandidat für den „Oscar für den besten internationalen Film“ sein – und dann sah ich, dass es eine US-Produktion ist. Ob die so mutig sind, so einen kleinen Film mit relativ unbekannten Schauspielerinnen für den „nationalen“ Oscar zu nominieren…? Kann ich mir kaum vorstellen, auch wenn in den letzten Jahren ja immer mal wieder auch Filme mit nicht-englischsprachigen Dialogen für die großen Preise nominiert worden sind. Aber vor allem hat Guy Nattiv derzeit ja noch einen anderen, weitaus größer vermarkteten Film mit Helen Mirren als „Golda“ im Oscar-Rennen, für den die Hauptdarstellerin als Nominierte quasi gesetzt ist. Den hab ich allerdings nicht angeschaut: mir sah das zu sehr nach musealem Austattungs-Geschichtsstundenkino aus. Sicher inhaltlich und schauspielerisch interessant, ästhetisch oder künstlerisch allerdings eher nicht so relevant.

„Tatami“ sieht man an, dass die Leute hinter der Kamera Ahnung vom emotional ausgelegten großen Kino haben, und der Film ist auch klar als Genrestoff als hochspannender Thriller im Sportmilieu erzählt; es gibt auch einige Kamerakniffe, die verraten, dass das Ganze nicht super-billig und super-indie gewesen sein kann, doch die Geschichte wird immer sehr präzise, sehr klar und ganz nah an den Charakteren erzählt. Für mich ein wichtiger Faktor. Die Komponistin der eindrucksvollen, die Spannung hervorragend zuspitzenden Filmmusik, Dascha Dauenhauer, ist übrigens Deutsche (wenn auch in Moskau geboren) und hat nach ihrem Studium in Berlin und Potsdam in kürzester Zeit eine internationale Karriere hingelegt. Vor drei oder vier Jahren hat sie noch Musik für kleine deutsche Filme geschrieben, war allerdings in einem Jahr gleich für drei Deutsche Filmpreise nominiert, bevor sie, noch als Filmmusik-Studentin in Potsdam, für mehrere, auch international wahrgenommene große Serien die Musik schrieb. Aufgefallen ist sie mir wohl erstmals in der ebenfalls außerordentlich gelungenen und bewegenden Miniserie „Deutsches Haus“, die meisterlich inszeniert war.

Hier ein aktueller kleiner Text über aktuelle iranische Filme: „Wenn Filme Widerstand sind„. In der Frankfurter Allgemeine gab’s letztens auch ein überaus lesenswertes Interview mit den beiden Regieführenden:

Frau Amir, identifizieren Sie sich als Künstlerin mit dem Schicksal der Sportlerin?

Zar Amir: Unbedingt. Die Geschichte, die der Judoka zustößt, ist mir fast genau so zugestoßen, auch Kollegen und Regisseuren. In einem Land wie in Iran verstehen wir die Athleten sehr, sehr gut. Ich verstehe nur nichts von Judo.

Warum war das Milieu dieses Sports so relevant für die Story?

Guy Nattiv: Judo ist ein Sport mit Würde, Ehre und Regeln. Die Wichtigste ist, den Gegner zu respektieren. Wenn man ihn nicht ehrt, ehrt man den Sport nicht. Die iranische und die israelische Judoka, die eventuell gegeneinander antreten müssen, ehren beide diesen Sport und können das Politikgeschachere ihrer Regierungen nicht respektieren.

(Ein weiteres Interview mit Guy Nattiv hält epd film bereit.)

6 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Jetzt weiss ich, wohin ich Samstagabend gehe, hier in Aachen ins Apollo…

    Neulich im aufgeristetetn high tech atmos Format pures PopcornKino mit TWISTERS…. bei dem Sturm (kalter Wind im Kino) sind die Popcorns natürlich nicht alle in der Tüte geblieben😉 ….

    Bin kein Freund normalerweise stylisher Biopics, aber, I confess, Simon Verhoevens BABY I TOLD YOU ITS TRUE erzählt die Geschichte von Milli Vanilli sehr, sehr gut. Mr. Reetze, wenn ich nicht falsch gelsesen habe, läuft dieser sehenswerte „Streifen“ in diesem August in USA an, also auch in Pittsburgh!! Hier ist er schon history.

  • Ingo J. Biermann

    „Twisters“ wollte ich gerne sehen; der Regisseur hat vorher den sehr gelungenen, autobiografischen „Minari“ gemacht, rechne da anhand der Kritiken mit mehr als reinem Popcornkino (interessante Figuren und auch ein Gespür für die amerikanischen Midwest-Staaten); aber leider fand ich kein Kino, in dem „Twisters“ lief, vermutete daher, er wurde verschoben. Sehr erstaunlich, dass er, wenn überhaupt, wohl nur in so wenigen Kinos und fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezeigt wurde.

    Den Milli-Vanilli-Film wollte ich tatsächlich auch sehen, hat zeitlich/terminlich aber nicht gepasst. Muss den dann wohl irgendwann mal im Streaming nachholen. Hab einiges recht Gute drüber gehört und gelesen, auch wenn Simon Verhoeven bislang nicht durch wirklich interessante Filme aufgefallen ist.

  • Ingo J. Biermann

    Auf den ersten Blick erscheint Lee Isaac Chung für ein Sommerspektakel wie »TWISTERS« als überraschende Wahl, aber das Experiment geht auf, weil der Regisseur eine perfekte Balance findet zwischen intimen Momenten und spektakulärer Naturgewalten-Action, zwischen Leichtigkeit und Tiefe, zwischen Komik und Ernst. Zugleich ist »TWISTERS« auch eine Hommage an die Kinoerfahrungen, die Lees Kinoleidenschaft entzündet haben. Schon der Titel ist klasse, einfach nur Plural statt Singular, in einem Film, der weder Sequel noch Prequel ist, sondern lediglich mit neuem Personal an die erprobten Komponenten andockt. (…) Lee Isaac Chung schafft die perfekte Balance zwischen Blockbuster-Action-Thrills und den echten Gefühlen und Beziehungen, um die es schon in »MINARI« ging. Mit seinen immer häufigeren und heftigeren Tornados kommentiert »TWISTERS« natürlich auch das Fortschreiten des Klimawandels seit 1996, ganz ohne erhobenen Zeigefinger, aber doch sehr deutlich.

    Anke Sterneborg in epd film

  • Olaf Westfeld

    „Museales Ausstattungs-Geschichtsstundenkino“ ist natürlich genau meine Kragenweite, Golda wollte ich auch gesehen haben. Tatami ist gemerkt, danke! „Deutsches Haus“ war auch toll, beeindruckend, und ich erinnere mich, dass der Soundtrack wirklich gut war.

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