Die wundervolle Frau Sonnabend

Ich hatte die Zahl der Jahre mitbekommen, die der Insulaner schon auf Langeoog verbracht hatte, 76 nämlich, umd so hellwach, fit und beredsam, wie er wirkte, zögerte ich keine Sekunde, der Gesprächsrunde am Ende des Deichs beizutreten. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf, und mein alter, von Gaston Bachelard stammender Lieblingssatz aus den „Klanghorizonten“, dass die Räume der Kindheit ihre Dämmerung behalten sollten, wurde hier ein wenig relativiert, aber sei‘s drum. 

Der Raum meiner ersten Langeooger Ferien mit 7 Jahren (in der  Folge kamen lange Jahre keine dazu, Borkum wurde der Favorit meiner Eltern) hiess nicht Pension Europa oder Westfalen, sondern Haus Westfalen, die „Westfalen 1“ transportierte uns von Esens zum Fähranleger. Tatsächlich hatte ein Geschäftsmann aus Bielefeld das Hotel 1952 gegründet, das heute Design Hotel Retro heisst und in der Abke Jansen-Strasse, rundum restauriert, von zahllosen Häusern umgeben, die es damals noch gar nicht gab. Ja, die lange Strasse konnte der Herr bestätigen, an dem damals, 1962,  fast einsam gelegenen Hotel, auf der ich junger Knirps mit einem einziger Rollertritt und mächtigem Rückenwind bis zum Bäckerladen, dessen lang verschwundenen Namen er auch noch  aus dem Ärmel schüttelte, rauschte.

Frau Sonnabend war in dem Hotel für alles zuständig, die Gäste, das Essen. Sie war gar nicht sehr gross gewesen, meinte er, aber ich war so klein, dass ich so und so zu ihr aufschaute. Er verwies mich aufs Inselhaus, um alte Quellen ausfindig zu machen. Er fragte seine Frau, wie die Frau Sonnabend mit Vornamen hiess, aber  daran wusste die ebenso sportliche Dame nicht mehr, für sie sei sie „Tante Sonnabend“ gewesen, und nun halt schon lange tot.  

Der Name, als ich ihn zum ersten Mal hörte, erfüllte mich: sie war es! Der Name war mir schlagartig so präsent wie damals, und für ein kleinen Moment des Erschauerns, sah ich die junge bildschöne Frau Sonnabend, Anfang 30, wie sie letzte Hand anlegte an die Frühstücksgarnitur, die geriffelten Butterstücke!  Ich bedankte mich bei dem Paar und fuhr sofort zu dem alten Kindheitsraum, (nun also ein Retro Hotel). Alles Leben von einst nurmehr Rauch und  Schatten, aber  ich stand auf den Böden einer in die Jahre gekommenen Wirklichkeit, welche ich  drei Wochen mit dieser Frau mit dem vollklingenden Namen geteilt hatte – die  Verliebtheit eines Kindes, die sicher manches übersah, nicht aber ihren stets klugen , sanftmütigen, einnehmenden Blick. Frau Sonnabend, anno 1962, in einem Sommer, in dem die Beatles nicht weit weg von Langeoog im Hamburger Star-Club spielten. Nicht mehr so lang, und ich würde von ihnen hören.

3 Kommentare

  • flowworker

    Das Foto bekam ich einen Tsg später aus einem Prospekt des Jahres 1962 zugeschickt. Genau: Haus Westfalen.

  • flowworker

    Nicht zufällig und natürlich rein zufällig stolpere ich hier in der LangeoogerBibliothek des Vertrauens über zwei Essaybände von Urs Widmer.

  • flowworker

    Vom Leben, von Tod, vom Übrigen auch dies und das

    Das Normale und die Sehnsucht

    So die zwei Titel der Bücher von Urs.

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