“Chez Janou“ – meine Begegnung mit Robert Wyatt in Paris vor zehn Jahren
Paris für ein, zwei Tage, eine kurzfristige Einladung von Robert Wyatt, der dort eine Vokalaufnahme machte, für ein neues Album des Cellisten Vincent Segal. Ich fuhr direkt vom Gare de l’Est zum Tonstudio im jüdischen Viertel. Die Begrüssung war herzlich. Das erste grosse Interview machte ich mit Robert 1991 in einem Londoner Hotel, der Anlass war DONDESTAN. Das zweite Interview fand 1997 in einer relativ ruhigen Ecke der Queen Elizabeth Hall statt, der Anlass war SHLEEP. Das dritte Interview war vom Ambiente, her kaum zu übertreffen: Robert, seine Frau Alfie und ich sassen auf der Bühne im holzvertäfelten Purcell Room (in dem sonst gerne Kammerkonzerte aufgeführt werden), und wir sprachen über CUCKOOLAND. Am heissesten Sommertag des Jahres 2003, abgeschieden von aller Welt, das Publikum bestand aus einem Mann vom Security Service. Jahre später sprachen wir dann am Telefon über sein Album COMIC OPERA. (In aller Bescheidenheit weise ich darauf hin, dass es ein Fehler sein könnte, solch süsses Gift, solch sinnliche wie gedankliche Tiefe, ungehört an sich vorüberziehen zu lassen.)
Jetzt also Paris. Die Arbeit am Stück war fertig, es fehlte nur noch die Abmischung. „Chez Janou“ heisst der Song, besser, das Chanson, und schon beim Hören der rohen Fassung schmolz ich dahin: Robert Wyatt singt den französischen Text mit einer Anmut ohnegleichen, und punktgenauer Zerbrechlichkeit. Die schmeichelnde Melodie stammt allerdings vom Cellisten, der offensichtlich die Robert Wyatt’sche Liederwelt gut kennt. Nur Gesang, Segals Cello in zwei Spuren übereinander geschichtet, und im Mittelteil ein paar asketische Farbtupfer von Roberts Trompete – keine Keyboards, keine Perkussion. Der Song erzählt vom Verschwinden des Zeitgefühls, das man erleben kann, wenn man sich eine Weile in diesem alten Bistro, das „Chez Janou“ heisst, einfindet. Die Hauptperson des Liedes beschreibt, wie die Uhren langsamer gehen, sich rückwärts drehen, kurz gesagt: jemand richtet sich in einem geträumten Stillstand der Zeit ein. Robert kennt sich damit aus, einem schwankenden Zeitempfinden nachzuspüren. Unvergessen sein Lied, in dem er den verschwundenen Jazzclubs von Paris nachspürt: „Old Europe“. Wer Vincent Segals Spiel näher kennenlernen möchte, sei auf die Duo-Arbeit CHAMBER MUSIC (mit Ballake Sissoko) hingewiesen.
Robert und Vincent fanden es eine gute Idee, nach unserem Interview ins selbige Bistro zu gehen. Es findet sich nicht weit vom Studio, in der Rue Roger Verlomme. Die nächstgelegene Metrostation ist „Chemin Vert“. Es ist wirklich ein Bistro, das einem wie ausgedacht oder geträumt vorkommt. Wir tranken erst mal einen Pastis, wofür dieser Ladem berühmt zu sein scheint, schon im Lied erklang der Name dieser Spirituose im Refrain. Dieses Bistro hat 20 Sorten von Pastis auf der Karte, unglaublich. Von den Wänden lachen uns freundlich gesonnene Filmfiguren an, der Patron geht mit einem Bonbonglas von Tisch zu Tisch. Er kennt Vincent Segal seit vielen Jahren und freut sich über die Hommage. Die Speisekarte ist im übrigen sehr südfranzösisch. Mir schmeckt das „Margret de canard au romarin“ köstlich, ein Entenbrustfilet mit Rosmarin. Eine Mousse au chocolat wird immer wieder in einer grossen Glasschüssel vorbei gebracht, jeder kann sich nach Herzenslust bedienen.
Wir reden über Gott und die Welt. Die Zeit scheint wirklich etwas langsamer zu ticken, und es tut mir in der Seele weh, auf die Uhr zu schauen, und meine Rückfahrt in zwei Stunden in Angriff nehmen zu müssen. Ich rufe in meinem Büro in Köln an, und darf eine weitere Nacht anhängen. Es wurde ein langer Abend voller nachhallender Gespräche. Ohne dass mein Mikrofon eingeschaltet war. In der Erinnerung fallen mir immer wieder andere Momente ein, etwa seine frühe Begegnung mit Thelonious Monk. Zum Abschied schenke ich Robert Wyatt die englische Übersetzung von Julio Cortazars Meisterwerk „Rayuela – Himmel und Hölle“. Leider ist der Song „Chez Janou“ nie erscheinen, die Folge eines Einbruchs in Vincents Tonstudio, bei dem auch drei Songs von Air für immer verloren gingen, die es nicht ganz auf „Moon Safari“ geschafft hatten. Am nächsten Morgen hatte ich noch Zeit, in einem der beinah rund um die Uhr geöffneten Kinos nahe dem Jardin du Luxembourg einen meine Lieblingsfilme von Francois Truffaut zu erleben (zum dritten, zum vierten Mal?), der bei uns in der alten BRD „Liebe auf der Flucht“ hiess, und, en passant, auch ein spannendes Filmexperiment darstellte.
6 Kommentare
Michael Engelbrecht
„Rayuela (Himmel und Hölle)“ sowie „Die Autonauten auf der Kosmobahn“ sind Bücher, die mein Leben beeinflusst haben. Ich habe alle seine Erzählungen verschlungen, keine Story mit Cronopien und Famen verpasst, und die Essaybände mit grösster Lust gelesen.
Julio Cortazar war ein grosser Jazzfreund, und in seinem Eremiten-Paris hätte ich gerne gelebt, und ihm ab und zu eine neue Platte von Sonny Rollins vorbeigebracht. Mit einer Geliebten aus dem letzten Jahrhundert bekam ich Riesenärger, als ich ihr von den „Autonauten auf der Kosmobahn“ vorschwärmte: wie können Menschen, die wissen, dass sie bald sterben werden, ihre letzte Reise auf einer Autobahn verbringen, in schmuddeligen Rastplätzen, und „shitty places“, sagte sie und schüttelte de Kopf. Weil sie grosse Geister sind, und Humor haben, entgegnete ich ihr.
Suhrkamp hat den Klassiker immer wieder mal neu aufgelegt. Und wenn Sie sich einmal an „Rayuela“ ranmachen,, dann besorgen Sie sich grosse Mengen von Mate-Tee. Denn Sie werden für eine ungewisse Weile verschwinden im Pariser „Schlangenclub“, mitten in einem Haufen verrückter, schrulliger und unendlich liebenswerter Menschen. Ein paar scharfe Bräute sind auch dabei, die Celine und Julie aus dem alten Rivette-Film in nichts nachstehen.
Olaf Westfeld
„Rayuela“ wollte ich wirklich sehr gerne gut finden und das Buch würde auch gutzu mir passen. Aber da hat es so gar nicht „klick“ gemacht; zwar habe ich es pflichtbewusst zu Ende gelesen, aber ich mochte es nicht. Eine Kurzgeschichte von Cortazar mochte ich – vielleicht hieß die „Der Verfolger“? Ansonsten finde ich dieses Autobahn Buch auch spannend, aber nach meiner Erfahrung mit Rayuele habe ich immer noch gezögert, da weiter zu lesen.
radiohoerer
Hallo Michael.
Es ist schön zu lesen das Julio Cortazar mit seinen Werken nicht ganz vergessen ist und vielleicht erinnert sich der eine oder andere. Ich habe Rayuela in der dt. Übersetzung von Fritz Rudolf Fries gelesen und war vollkommen fasziniert. Ein ganz und gar unglaubliches Werk.
2022 erschien „Unerwartete Nachrichten“ Eine Auswahl von Briefen, Skizzen, Artikeln, Capriccios und nachgelassenen Erzählungen des 1984 verstorbenen Autors.
Hier einige Textpassagen aus der Buchkritik vom Deutschlandfunk Kultur:
Seine Sprache springt, tanzt, fliegt: Julio Cortázar gilt als Erneuerer der lateinamerikanischen Literatur.
Nun erscheint eine Auswahl bisher unbekannter Texte des Autors auf Deutsch.
Carlos Fuentes nannte Cortázar den „Bolívar des lateinamerikanischen Romans“.
Einen herrlichen Eindruck davon – selbst in der Übersetzung – vermittelt nun die Anthologie „Unerwartete Nachrichten“. Herausgegeben von Michi Strausfeld, verdienstreiche Kennerin lateinamerikanischer Literatur, vereint der Band eine Auswahl von Briefen, Skizzen, Artikeln, Capriccios und nachgelassenen Erzählungen des 1984 verstorbenen Autors. Die meisten dieser Texte waren verstreut, tauchten erst viele Jahre nach seinem Tod auf.
Buchkritk von Carsten Hueck.
Michael Engelbrecht
Nicht ganz vergessen ist gut. Er hat zum Glück bis heute viele Leser. Ich denke, die short stories und Rayuela sind der beste Einstieg. Unvergesslich auch seine Charlie Parker Novelle.
Aber wer Jazz liebt und sich gerne auf eine Zeitreise ins alte Paris begibt, so 50er Jahre, wer sich dann noch von Cortazars sinnlicher Sprache einfangen lässt, wird bei Rayuela womöglich in einen Leserausch geraten.
Michael Engelbrecht
Nich ein Cortazarista:
https://www.manafonistas.de/2013/01/26/38302/
Wer erinnert sich nicht an das Cronopium mit dem aus einer Kafkaerzählung entliehenen Namen?!
Olaf Westfeld
Ja- diese Parker Story ist toll!