Big Sister Taylor Swift in the Neighborhood



Was bitte macht Taylor Swift in Gelsenkirchen? Falsche Frage! Was macht sie aus Gelsenkirchen, der ärmsten Stadt in Deutschland? Sie verwandelt das „Shithole“, wie es die englischen Fans während der EM nannten, in ein singendes, glitzerndes Swiftkirchen. Miss Americana gibt dem Pott die Ehre, die Arena wankt wie in Assauers Bestzeiten. Was geht da auf Schalkes Terrain ab? Die große Freundin ist gekommen, und ihre tausenden Freundinnen besuchen sie. Ihre Swifties waren fleissig, haben das Outfit mit Pailletten und Glitzer genäht, sie haben Cowboystiefel bei dieser Hitze übergezogen und natürlich ist ihr Mund blutrot angemalt. An den Armen hängen viele Freundschaftsbändchen, die ihre Big Freundin mit LED Lampen versieht, damit ihre Fans auch in der Nacht zu dem grossen Friendshipevent finden. Auch ich spüre die kõrperliche Nähe einer mir unbekannten Freundin, die mir lächelnd ein Bändchen überreicht. Diese so hergestellte Nähe ist ein wahrer Kunstgriff, der die anonymen bleibenden Followerfriends ins Abseits stellt. Die Zahl 13 steht auf Stirnen oder Handgelenken, big sister was born on the 13th of Dezember. Auf meine Frage an die Fans: was gefällt Euch an Taylor Swift, kommt nie als Antwort, sie sei eine geile Frau oder ähnliches. Immer antworten sie: ihre Musik, ihre Lyrics. Es ist schon phänomenal, wie die meist sehr jungen Mädels die Texte singen können. Überall in der Innenstadt stehen Boxen mit jungen Fans, die die Songs wiedergeben. Alle singen mit, egal ob sie die Currywurst gerade quer im Mund haben oder nicht. Ich setze mich in ein Café und denke über die Sinnlichkeit in der Popmusik nach. Nicht vorstellbar, dass wir uns wie Bob Dylan oder Neil Young oder Joni Mitchell verkleidet hätten. Nur wenige konnten die Texte dieser alten Heroes mitsingen. Dass die Swifties das können liegt an den Videos auf YouTube, die alle Texte zum Mitlernen anzeigen. Das ist ein anderer Kunstgriff von Taylor, sich ihre Fans zu angeln.

Und die Lyrics sind gut. Sie hat immerhin einen Ehrendoktor von der Universität in New York erhalten. Auch in unseren akademischen Breiten hält der Medienwissenschaftler Jõrn Glasenapp der Uni in Bamberg eine Vorlesung über Big Sister. Der Philosoph Eilenberger sagt in seiner Sendung Sternstunde der Philosophie über Taylor Swift am Ende: Warum wird sie nicht der neue Präsident der Demokraten. Taylor ist nicht politisch, sie ist bestenfalls eine engagierte Feministin und klar gegen Trump.

Mein Lieblingssong ist übrigens „The Lakes“. Da singt sie zu schöner Melodie über den Lakedistrikt und die Dichter, die dort starben. Ich habe immer einen Band von Wordsworth dabei, wahrscheinlich mag ich deswegen den Song. Er ist als Appendix des Albums FOLKLORE zu finden.

Hätte ich nur 5 Minuten Zeit gehabt, Frau Swift zu fragen, weshalb sind sie in die ärmste Stadt Deutschlands gekommen , spielen gleich drei Konzerte, für die Sie 100- 700 EU Eintritt verlangen? Ich denke sie hätte geantwortet: I promise, I soon come again.

5 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Der Spielgel Shortcut zum Thema, mit Andreas Borcholte, ist aufschlussreich. Wie er da das Verhalten des Produzenten Antonoff beschreibt, als er erfährt, dass es im Interview vorrangig um Taylor Swift gehen soll, ist bezeichnend. Und macht ihn mir herzlich unsympathisch, onwohl er ein toller Produzent ist. Siehe, höre Lana! Es zeigt, mit welchen Kontrollmechanismen in der „Swift Army“ gearbeitet wird. Das allein verleidet mir die Musik, die fraglos Qualität hat. Und diese Steuerungen der Illusion von Nähe sind auf jeden Fall ein interessantes Phänomen. Aber a nice Gelsenkirchen Story. Die Stadt von Schalke 04 hat durchaus ihre reizvollen Seiten, und ist weder Shithole noch Swiftkirchen:) … ich hoffe, dass Biden bald zurücktritt und Swift offener gegen Trump auftritt. Und Biden bald zurücktritt. Vielleicht gäbe es dann noch eine Chance für Kamala oder wen immer, mit der „Swift Army“:)

    Schöne Reportage aus dem einstigen Kohlenpott… (michael e.)

  • Jan Reetze

    Fast schon lustig: Ich weiß bis heute nicht, ob ich mal einen Song von Taylor Swift gehört habe. Ich vermute: ja, irgendwo im Supermarkt muss ich wohl mal einen gehört haben, aber ich weiß es nicht. Wenn, dann ist er mir nicht im Gedächtnis geblieben. Ich denke nur jedesmal, wenn ich sie in ihrem seltsamen Flitterbadeanzug sehe: Da fehlt jetzt noch die Federboa, dann würde sie fugenlos in eine Las-Vegas-Show der 60er Jahre passen. Barry Manilow, übernehmen Sie!

    Es ist auch egal, ob sie in Gelsenkirchen oder London oder Posemuckel auftritt, die Fans folgen ihr eh überall hin. Wirklich ein Phänomen.

    Die Bühne, mit der sie reist, ist übrigens hier in Pennsylvania entworfen und hergestellt worden, TAIT heißt die Firma, die das macht (taittowers.com). Mitten im Gebiet der Amischen steht ein gigantischer schwarzer Kubus, wo nicht nur die Bühnen gebaut, sondern dann auch die Shows im Detail einstudiert und geprobt werden.

  • Lorenz

    Ich war zwar noch nie dort, aber das wunderbare Lied „Gelsenkirchen “ von Georg Kreisler wird mir ewig im Gedächtnis bleiben.

  • Lajla

    Von 1958 ist das Lied „Gelsenkirchen“. Ein authentisches Bild dieser Stadt von damals. Kreisler würde sich wundern über die heutige Stadtansicht. Reicher ist es nicht geworden, aber sauberer die Luft.

  • Olaf Westfeld

    Ja, schöne Reportage. Und schöner Song. Ich glaube, ich könnte mich da reinhören und Taylor lieben lernen – allerdings brauche ich nun wahrlich nicht noch einen musikalischen Kaninchenbau, deswegen höre ich nicht weiter. Und bestaune weiter eher unwissend das Phänomen „Taylor Swift“.

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