Über die Handschrift eines Künstlers (Gastbeitrag von Lea Matusiak)

Die Szene spannt sich auf, wie ein Augenaufschlag. Musik ertönt über ein paar signifikanten Hintergrundgeräuschen. Es bauen sich mit den Bildern Momente einer Szene auf. Kurze Zeit scheint es ein normales Intro in einen normalen Film zu sein. Nein. Auf einmal knallen Bild und Ton direkt los. Es startet ein Mix aus moodhaften Motiven, die collagenhaft in Sekunden eine Lebensgeschichte erzählen und im euphorischen Wechsel zu Soundtrack und eigenem bildhaften Überraschungsmoment stehen. Ruckartig. Faszinierend eigensinnig. Ein Wimpernschlag später. Aggressiv. Verwegen. Nicht aggressiv. Brutal nah. Man taucht direkt ein in diese Stimmung, wie in ein Eisbecken. Man wird regelrecht unter Wasser gezogen.

Wer die Filme kennt, erinnert sich vielleicht an diesen Effekt. Ich spreche von den Werken des Regisseurs Guy Ritchie, welche eine eigenartige Faszination auf mich ausüben und die ich zu ergründen versuche. Ich fasse diese bestimmte Stimmung auf und treibe darin, solange ich es soll. Es ist so mitreißend, dass der Nachklang auch nach dem Film erhalten bleibt. In welcher Form auch immer. Nicht zu verkennen: Der Fakt, dass ich mich darin wiederfinde, Werke desselben Künstlers zu vergleichen, um konzeptionelle Gemeinsamkeiten festzustellen, was einen Teil dieser Faszination begründen vermag.

Das Basisgefühl entnehme ich dem Track Growing Up Londinium des mehrfach ausgezeichneten Briten Daniel Pemberton, der unter anderem für den Film King Arthur: Legend of the Sword (2017) einen monumentalen und gleichzeitig feinsinnigen Soundtrack gebaut hat. Für mich ist dieser Track ein Sinnbild für ebendiesen Guy-Ritchie-Effekt. Die Wirkung der Filmmusik macht einen undenkbar großen Anteil am Erlebnis des Films aus. Phil Blumenthal schreibt in seinem Beitrag auf www.filmmusicjournal.ch, dass einem der Blick ins Booklet bereits vieles über den gewählten Musikansatz verrät: “Nicht nur, weil Pemberton selbst in einem ausführlichen Kommentar seinen Ansatz süffisant und detailliert beschreibt, sondern auch, wenn man sich die Besetzungsliste anschaut. […] Ein „Ancient Ensemble“ bestehen aus fünf Personen, etliche Solisten mit mittelalterlichen Instrumenten wie die Tromba Marina, die Hardanger-Fidel, das Hurdy-Gurdy, der Londinium Bass Bulge… die Liste geht noch um einige Positionen weiter. Mit dieser Besetzung kreierte Pemberton auch im Zuge vieler Improvisations-Sessions eine mal konventioneller klingende, oftmals jedoch brachial experimentelle Filmmusik.” Ein Ansatz, der auch zum Thema des Films passt: Eine moderne Aufbereitung, die die historisch klassischen Elemente integriert – und eben in ganz eigenem Stil wiederbelebt.

Der lässige Einsatz von Text und Typo im Filmbild, teilweise auch im Standbild, um Charaktere vorzustellen, ist ebenfalls ein Element, dessen sich der Regisseur gerne bedient. Das erzeugt besonders in Filmen wie Bube, Dame, König, grAS (1998), snatch – Schweine und Diamanten (2000) oder Rock N Rolla (2008) dieses besondere Gangster-Flair. Gerade bei besonderen Namen, die keine “echten” Vornamen sind, sondern einfach nur Spitznamen, hat das fast schon etwas Schulfilmhaftes. Untermauert von großartigen Dialogen, oft mit kecker Schnauze, Witz, dem ein oder anderen Dialekt und einer Leichtigkeit, die mich nicht zuletzt gerne an die legendäre Burger-Szene aus Pulp Fiction von Quentin Tarantino erinnert. Auch die Erzählperspektive wechselt sich zwischendurch ab: Die Handlung wird beispielsweise in Form eines Interviews erzählt, der Protagonist wird ausgefragt und das Bild switcht zwischendurch immer wieder, sodass der Zuschauer das Erzählte direkt und zügig miterleben kann. In The Gentlemen (2020) führt uns sogar ein einziger Dialog schon nach den ersten 5 Minuten des Films über seine gesamte Lauflänge erst ein in die Verwirrungen und Verstrickungen der Geschichte selbst, aber eigentlich besteht dieser Film nur aus einem bedrohlichen Live-Pitch beim Barbecue – mit jäher Unterbrechung. Und nicht zu vergessen: Der allwissende Erzähler, der zwischendurch auch gerne mal sein Stimmchen erhebt und dahinfliegende Szenen kommentiert. Alles zusammen: Ein bestechlicher Mix, der mich so nahbar teilhaben lässt, als würde ich das Gespräch direkt vor Ort mit anhören. Es kommt fast schon ein verwegenes Gefühl auf, wie wenn man eine Diskussion oder einen Streit mitanhört, die einen gar nichts angehen.

Dann ist da ja noch der Schnitt. Guy Ritchie lässt die Cuts so gezielt setzen, dass es einem buchstäblich ins Auge springt. “Das hat etwas zu bedeuten!”, schreit mein Hinterkopf, aber dann fesselt schon wieder etwas anderes meine Aufmerksamkeit, dass ich die Technik hinter dem Manöver glatt vergesse. Vielleicht ist es auch eher die besondere Kamerafahrt. Wenn auf einmal innerhalb eines Takes die Wiedergabegeschwindigkeit der Bilder beschleunigt wird. Oder es einen prompten Zoom innerhalb eines Bildes beispielsweise auf ein Szenenelement gibt. Oder der seitlich beschleunigte Schwenk von einer Person zur anderen, der dann prompt wieder zum Stehen kommt, so als ob beide Personen an einem runden Tisch säßen, die miteinander sprechen. Wusch. Und wieder zurück. Das lässt sich beobachten in King Arthur: Legend of the Sword (2017) und vielen anderen Werken. Ein Volltreffer.

Zugegeben: Keines der genannten Elemente selbst ist ein Unikat mit einer eindeutigen Unterschrift seines Urhebers. Es ist die Kombination der genannten Elemente und Techniken, die den Stil und damit die Handschrift des Künstlers ausmachen. Brutal nah. Ruckartig aggressiv. Faszinierend eigensinnig. Der unverkennbare Guy Ritchie-Effekt.

6 Kommentare

  • Olaf Westfeld

    Danke für die schönen Beschreibungen!
    Mir geht es bei den Ritchie Filmen, die ich kenne, dass ich die wahnsinnig gut gemacht finde, ständig mein Hinterkopf angeregt wird, nach Bedeutung zu suchen – und dann sind es halt „nur“ sehr gute Unterhaltungsfilme. Reicht ja irgendwie auch. Ein bisschen wie ein sehr leckerer Hamburger, mit Süßkartoffel Pommes und Fritz Cola. Wie ein McDonald’s Menü, nur in lecker und halbwegs nahrhaft. Und wer will schon immer Quinoa Bowls essen… „The Gentlemen“ war jedenfalls großer Spaß und hat Songs sehr gut eingesetzt um Atmosphäre zu schaffen, Szenen, Charakter zu beschreiben. (An die anderen Filme erinnere ich mich nicht mehr, zu lange her, dass ich die im Kino gesehen habe.)

  • Michael Engelbrecht

    Ich bin über den Text gehuscht, um nicht zuviel mitzubekommen, aber gerade genug, um hinterher Ritchies BluRay „Arthur….“ zu bestellen.

    Ich bin beim Lesen deines comments, Olaf, gestolpert über den Begriff „Unterhaltungsfilm“. Der hat natürlich all seine guten Rechte, enthält aber stets eine kleine Abwertung gehenüber „grosser Kunst“. Tatsächlich haben auch sog. „gute Unterhaltungsfilme“ das Potential, lebenverändernde Erfahrungen zu triggern. Das ist tricky, aber wahr. Mir ist das mal so mit einem weniger bekannten Harold Lloyd Film ergangen. Und mit „Theo gegen den Rest der Welt“.

  • Lea Matusiak

    Lieber Olaf, danke für den Kommentar! Das finde ich auch. Das Gute ist auch, dass man derweil Lust auf einen sehr guten (auch mal einen sehr, sehr guten) Burger hat. Für mich sind die Filme auf jeden Fall auch kein McDonald’s Menü, aber vielleicht ein Five Guys Menü (empfinde ich als weniger eindimensional und noch besser durchgefeilt, auerdem vielfältiger im Geschmack). Aber wie einen guten Unterhaltungsfilm kann man das schon ab und zu mal gönnen. Danke, jetzt habe ich Lust auf Burger.

  • Lea Matusiak

    Lieber Michael, ja absolut! „Sogar nicht mal ein nur“ guter Unterhaltungsfilm mag das erreichen. Egal, wie man das Format benennt, kann einen doch vieles, das einem im Leben begegnet, inspirieren und auch bereichern. Gerade wenn man den Blick ein wenig vom Hollywood/Blockbuster Gefilde zu den eher unbekannteren Werken schweifen lässt. Den von dir benannten Film kenne ich noch nicht, werde ich mir aber zu Gemüte führen. Viel Spaß bei King Arthur!

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