„Weisst du noch, damals, in Warrington und Runcorn…“

Ist es nicht schön verrückt, die „Klanghorizonte“ Ende Juli mit einem brandneuen Album zu beginnen, das sich mit Städteplanung auseinandersetzt, der „New Towns“- Bewegung im alten England der siebziger Jahre?! Das vierte Album der Serie wurde vielfach gefeiert, und in „Electronic Sound“ zum Album des Jahres 2023 gewählt.

„Hub Your Community“, das fünfte Album der Serie des „Warrington-Runcorn New Town Development Plan“ setzt Gordon Chapman-Fox‘ klangliche Erkundung diesér Bewegung fort und zeigt, wie die Probleme, die sie zu lösen versuchte, auch heute noch nachhallen. Das Hauptthema nun: die Gemeinschaft und die Gemeinschaftszentren, die die Ortschaften Warrington und Runcorn bevölkerten, um den Menschen alle Einrichtungen zu bieten, die sie innerhalb von fünf Minuten zu Fuß von ihrem Haus aus erreichen konnten. In den letzten 50 Jahren sind nicht nur diese Gemeinschaftszentren, sondern auch die von ihnen angebotenen Dienstleistungen zurückgegangen – sei es der praktische Zugang zu einem Haus- oder Zahnarzt, zu einem Postamt usw. -, da die aufeinander folgenden Regierungen diese grundlegenden Dienstleistungen untergraben und ausgehöhlt haben.

Die Torys von Mrs. Thatcher gingen da mal wieder federführend voran – fragen Sie mal Robert Wyatt! Die letzten 50 Jahre waren auch einem Rückgang des „geneinschaftlichen Lebens“ geprägt. Thatchers Aussage, „there is no such thing as society“, wurde damals belächelt, aber die nachfolgenden Tory-Regierungen haben sich dies zum Leitbild gemacht und versucht, dem Land so viel Unterstützung und Gemeinschaft wie möglich zu entziehen und jeden sich selbst zu überlassen.

Es hat durchweg faszinierend, wie Gordon Chapman-Fox diese alte Welt und ihre Verlustmeldungen klanglich aufleben lässt. Nie berechenbar begegnen sich hier kühle Maschinen-Elektronik und zu Herzen gehende Electronica. Dabei trägt sich die klug und sinnlich komponierte Musik dieses Albums von allein, ohne Gebrauchsanweisung und Sozialkundeunterricht -, und es wäre schön zu lesen, welche anheimelnden und unheimlichen Sphären Jan Reetze hier ausfindig macht, an was ihn diese gesammelten Dystopien und Maschinenträume erinnern.

Der Transfer zu leblosen Sattelitenstädten und gescheiterten Projekten der alten BRD ist wohl eher eine traurig leichte Übung. Unter dem Strich ist es eine tolle Sache, wie hier mit den Mitteln der elektronischen Musik „aural history“ betrieben wird. Irgendwann wird es gewiss eine sehenswerte Dokumentation geben, oder eine Netflix-Serie. Der Soundtrack liegt schon vor.

Ein Kommentar

  • flowworker

    Opus.ing:

    Inspired by the unrealized utopianism of ’60s and ’70s-era British architecture and urban planning, as well as the sounds of ’90s Warp Records, Gordon Chapman-Fox — who records under the Warrington-Runcorn New Town Development Plan moniker — taps into the same hauntological vein as Ghost Box artists like The Advisory Circle and Pye Corner Audio. That is to say, this is music that’s undoubtedly retro and nostalgic, though not necessarily in a rose-colored way.

    Chapman-Fox himself describes his own compositions as “music for a broken concrete utopia,” and there’s a definite sense of urban paradise lost in songs like “A Shared Sense of Purpose” and “Rapid Transport Links.” Whereas 2023’s excellent Building a New Town made use of acoustic guitar and light psychedelic flourishes, Your Community Hub relies heavily on ghostly synth melodies and arrangements. They envision lonely strolls through now-decrepit neighborhoods that vibrated with community and idealism until politics and changing social mores left them gutted and diminished.

    Similarly, the title of “Summer All Year Round” may sound promising, and at first blush, Chapman-Fox’s synthesizers do seem bright and cheery. But there’s something unrelenting and ominous at work there, as well, like the sun beating down relentlessly on decaying concrete playgrounds and failing infrastructures.

    Long-time Opus readers will know that I’m a sucker for music that imagines alternate histories and explores “the misremembered musical history of a parallel world” (to use Ghost Box’s pitch). Chapman-Fox goes a little deeper than that, however, using his music to probe the past to understand how and where it all went wrong.

    In other words, it’s certainly possible to enjoy Warrington-Runcorn New Town Development Plan as nothing more than excellently unsettling electronic music. But Chapman-Fox clearly has more on his mind; for starters, he’s not shy in his criticism of conservative British politicians “who have aimed to remove as much support and communality from the citizens as possible.” That only serves to make his music all the more interesting, evocative, and resonant for anyone who’s ever felt like our cities should be so much nicer, communal, and, well, modern than they actually are.

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