Der Anfang Vom Ende
Irgendwann im letzten Spätsommer waren C und H endlich zu Besuch in unserem Garten. Es war ein lauer Nachmittag, wir plauderten gemütlich bei Limo, Kaffee, Kuchen über dies und das. C war in meinen ersten Berufsjahren ein wichtiger Bezugspunkt, sehr erfahren, intellektuell, mit einer Künstlerseele. Und durch und durch mit Initiativkraft gesegnet, ständig hatte er Projekte am Laufen, inszenierte mindestens ein Theaterstück mit Schülern pro Jahr, gründete eine Beratungsstelle, schrieb Konzepte oder Artikel. Nachdem er 2015 in den Ruhestand ging, war es still zwischen uns geworden: wir telefonierten dann und wann mal, liefen uns hier und dort zufällig über den Weg. Ich hatte ein leicht schlechtes Gewissen, mich so wenig zu melden, um so glücklicher war ich dann, als das Treffen endlich klappte – und auch noch sehr nett, nicht beklemmend, langweilig oder ähnliches war.
Ganz der Unternehmer bat er mich kurze Zeit später, ob ich nicht in seinem kleinen Lesezirkel ein Buch vorstellen könne. Ich zierte mich ein wenig, so etwas ist nicht wirklich mein Fall, sagte dann aber zu. Vor zwei Monaten erreichten mich dann eine Mail von H, dass es ihm sehr schlecht ginge. Er verbrachte lange Zeit auf der Intensivstation, wo er natürlich noch eine Strichfassung des nächsten Theaterprojekts mit seiner Seniorengruppe erstellte, im Herbst sollten „Die 12 Geschworenen“ auf die Bühne kommen. H schrieb weiter Mails, der Tonfall wurde immer tapferer, doch Anfang des Monats kam dann die Nachricht, dass er gestorben ist.
Und morgen werde ich nun in besagtem Lesezirkel ein Buch vorstellen „Der Anfang vom Ende“ von Mark Aldanow. Warum dieser Titel? C schrieb mir, als ich mich nicht entscheiden konnte, dass es am einfachsten sei ein Buch über ein Thema zu nehmen, womit man sich ohnehin gerade beschäftigt. Der Roman lag oben auf meinem Stabel mit Literatur aus und über Russland, der sich angehäuft hatte, weil ich eine Unterrichtsreihe zur Geschichte der Sowjetunion vorbereitet habe.
Der Roman ist lesenswert: in den 30er Jahren reist eine Gruppe sowjetischer Diplomaten nach Paris, mit unterschiedlichen Aufträgen. Dabei ist ein alter bolschewistischer Kämpfer, desillusioniert und des Lebens überdrüssig, ein erfolgreicher Diplomat, dazu noch ein General. Die letzteren haben unter den Bolschewiki Karriere gemacht, waren aber ursprünglich in anderen politischen Lagern verortet, der eine bei den Menschewiki, der andere hatte schon unter dem Zaren gedient. Es entspannen sich unterschiedliche Konstellationen, in dem gut 600 Seiten dicken Buch spielen auch noch andere Charaktere größere Rollen: der kulturpessimistische französische Schriftsteller, dessen Sekretär, der einen Mord begehen wird, die junge und sehr hübsche Sekretärin des Diplomaten, die den drei Russen den Kopf verdreht. Es gibt viel Handlung, Spuren werden gelegt, die ins Leere laufen. Das Buch ist humorvoll, aber auch durchzogen von Paranoia. Und erzählt vom Epochenbruch, vom Untergang eines alten Europas, von der Ungewissheit, was kommen wird, von einem Tanz auf dem Vulkan am Vorabend des zweiten Weltkriegs.
Zurück zu C und seiner Leidenschaft, dem Theater. In den letzten Monaten war ich auch damit beschäftigt, mit meiner Klasse ein Stück auszusuchen, um es Ende Oktober aufzuführen. Die Wahl der Schüler*innen fiel ausgerechnet auf „Die 12 Geschworenen“.
7 Kommentare
Michael Engelbrecht
Das nennt man wohl Synchronizität. Vielleicht hast du das Stück auch mit vorgeschlagen. Ist das ein berühmtes Theaterstück? Mir fiel da gleich das Gerichtsdrama von Hitchcock ein, mit den 12 Geschworenen, und dem einen, der ausschert: Henry Fonda in „The Wrong Man“. Das Buch, wie du es vorstellst, wirkt so spannend, wie das von Jan besprochene…
Martina Weber
Mir fiel auch als erstes der Begriff der Synchronizität ein. Aber es ist auch etwas unheimlich.
Olaf Westfeld
Ich denke, es der Film den Du meinst ist von Sidney Lumet: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_zwölf_Geschworenen_(1957)
Das Theaterstück ist die Adaption dieses Films.
Und ich finde die Synchronizität auch etwas unheimlich.
Filmlexikon Biermann
The „The Wrong Man“ gibt’s natürlich auch: Das ist der (sehr gute) Film in Schwarzweiß, bei dem Hitchock sehr nah, fast dokumentarisch die (wenn ich mich nicht irre) tatsächliche Geschichte von einem Mann, der zu Unrecht festgenommen wurde und vor Gericht kam, mit Zeugenaussagen und allem. Und am Ende stellt sich raus: der tatsächliche Täter sah ihm wirklich zum Verwechslen ähnlich. Ein paradigmatischer Hitchcock-Stoff, wie er ihn sich nicht besser hätte ausdenken können.
Olaf Westfeld
😉 Und beide mit Henry Fonda? Synchronizität! 😉
Michael Engelbrecht
Ich kenne auch den Lumet, glaube ich, aber nur noch als ferne Erinnerung.
Lajla
Olaf.schõn,dass du das Buch trotzdem vorstellst,auch uns hier. Kippi