Wüste

Zwei offenbar in Stein gehauene Gesetze des Filmgeschäfts trage ich seit Urzeiten mit mir herum:

  1. Teil 2 ist immer schlechter als Teil 1.
  2. Was ein Film über zwei Stunden dauert, ist zu viel.

Beides hat sich gestern in Pittsburghs „Manor“ wieder einmal bestätigt; ich kann’s nicht ändern. Ich gestehe, vor allem deshalb ins Kino gegangen zu sein, weil ich als bekennender Hans-Zimmer-Fan in erster Linie seine Musik zu Dune: Part Two in voller Multikanal-Pracht im Kino hören wollte. Zudem habe ich Dune: Part One durchaus gern gesehen. Der hatte seine Logik und war auch optisch ansprechend.

Seinerzeit beim ersten Dune-Film kannte ich die Musik schon, bevor ich den Film gesehen hatte, und ich konnte nicht recht etwas mit ihr anfangen. Das änderte sich erst, nachdem ich den Film sah. Zimmers Musik gehört, gerade mit ihren fremdartigen, zum Teil verstörenden Sounds, zu seinen stärksten Werken der letzten Jahre. Aber ich musste den Film sehen, um sie zu verstehen. Nun gut, das ist ja auch eigentlich die Aufgabe eines Soundtracks; er ist ja ursprünglich nicht für die Wiedergabe ohne den Film gedacht. Dass Zimmer gern mal Musik und Sounddesign miteinander mischt, kennt man spätestens seit Inception, und auch hier machte er davon sehr effektiven Gebrauch.

Zimmers Musik zu Dune: Part Two ist noch stärker verwoben mit dem gesamten Sounddesign des Films als im ersten Teil, wenngleich bestimmte, sofort wiedererkennbare Schlüsselklänge und -motive wieder auftauchen. Trotzdem wirkt sie weniger eindrucksvoll, sondern eher wie eine über den Film gespannte Kopie.

Der Film selbst ist natürlich — das weiß man eigentlich vorher — eine Sauce aus verquaster Mystik, gemixt mit Elementen aus Mantel-und-Degen-Filmen, Sandalenfilmen und Zukunftsschmonzetten. Frank Herberts Roman gibt es so vor, wobei das Verblüffende ist, wie hochentwickelte Technologie verquickt wird mit seltsam archaisch anmutenden Schwerter- und Dolchkampfszenen und anderen seltsamen Ritualen, die von den Darstellern mit einem Ernst zelebriert werden, dass man fast schon schmunzeln möchte. Auch mit kriegerischen, lautstark donnernden Massenaufmärschen ist der Film überfrachtet.

Ich kann mich erinnern, dass ich den Roman Anfang der 1980er gelesen habe und er mich schon damals nicht überzeugt hat. Wenn ich das laut sagte, wurde mir oft entgegengebracht: „Ja, aber da sind ja auch die ökologischen Anhänge, und die sind doch nun aber wirklich …“ Nein, sind sie nicht. Auch damals schon war jeder Gartenratgeber gehaltvoller.

166 Minuten also ständiger Krawall und pathetische Dialoge. Meine Tasse Tee ist schon das nicht, und dazu dann noch die latent irre Lautstärke, die sich in heutigen Kinos offenbar eingebürgert hat. Und wenn dieses ganze Getue dann, womit Regel 2 ins Spiel kommt, einfach nicht enden will; wenn sich eine Szene an die andere hängt, ohne dass die Geschichte nennenswert vorankommt, dann kommt ein Punkt, an dem ich mich dabei ertappe, wie meine Gedanken davonfliegen und zum Beispiel an den Herrn der Ringe andocken, oder an die Harry-Potter-Filme. Zumal Dune; Part Two dann, ich hoffe, man kann das ohne zu spoilern sagen, mit einem (noch dazu voraussehbaren) Cliffhanger endet.

Wenn ein Regisseur seine Story nicht in zwei Stunden unterbringen kann, dann hat er sie einfach nicht hinreichend durchdacht. Dabei bleibe ich.

Soviel zu Dune: Part Two.

8 Kommentare

  • ijb

    Es ist ja interessant, dass du hier von einem Film von 166 Minuten Länge sprichst… Ich verstehe das Ganze eher als einen Film von knapp sechs Stunden Erzählzeit. Ich hatte mir „Dune Part 1“ nicht angeschaut, weil es tatsächlich weder inhaltlich noch thematisch noch genremäßig meine Tasse Tee ist – und vor allem, weil alle meinten, dass die Geschichte einfach irgendwo mittendrin abbricht, es keinen in sich geschlossenen Erzählbogen gäbe, hatte mir als großer Freund des Werks von Villeneuve aber vorgenommen, dann die beiden Filme als Gesamtwerk anzuschauen, wenn der zweite Teil dann läuft. Nun wurde ja auch vielfach gesagt, dass der zweite Teil deutlich besser, gelungener als der erste ist, so dass ich da zumindest Lust hatte…
    Denn an sich bin ich niemand, der eine Handlung in 120 Minuten auserzählt sehen muss. Im Gegenteil finde ich die größeren Möglichkeiten und Freiheiten heute durchaus ein Gewinn – dass man Geschichten auch über vier Stunden, sechs Stunden oder mehr erzählen kann, wenn es inhaltlich begründet ist.

    Nachdem ich allerdings nun (noch immer) mehrfach lese, dass der neue, zweite Teil wiederum keine guten ausgearbeiteten Charaktere habe, frage ich mich wiederum, ob ich mir die sechs Stunden im Kino wirklich antun sollte… denn Charaktere sind mir dann doch das wichtigste über längere Erzählungen hinweg. Wenn ausgerechnet daran gespart wird, ist es eindeutig nicht mehr „meins“. Da kann ich dann so lange Erzählzeiten nicht mit Interesse anschauen, selbst wenn es visuell oder thematisch interessant sein sollte.

    Für mich bleibt „Dune“ daher wohl auch weiterhin nicht attraktiv genug, um mir die Zeit für einen Kinoabend zu nehmen. Es gibt einfach zu viel anderes, was weitaus packender und einnehmender scheint. Alles, was du beschreibst, bestärkt leider nur meine Vorannahmen.

  • Michael E

    Deine Erfahrungsregel, meine Ausnahmen. Filme über sogar drei (!) Stunden, die mich voll packten und nicht losliessen, als ich sie das erste Mal sah, ich vergass die Zeit und war im Flow. Bei Wenders‘ Film klappte das Jahrzehnte später nicht mehr, da wurde es zäh. Ob mich der Rivette Film heute noch so verzaubert wie einst im Mai, weiss ich nicht. Auf Anhieb fallen mir ein:

    The Deer Hunter
    Short Cuts
    Magnolia
    Im Laufe der Zeit
    Barry Lyndon
    1900
    Celine und Julie fahren Boot

    …..

    Und zu DUNE 2: der erste Film war deutlich besser als die echt schlechte David Lynch Verfilmung. Doch bei aller Opulenz und Soundkraft hatte ich den Film kurz darauf schon so gut wie vergessen…

  • Olaf Westfeld

    Ich habe den ersten Teil wirklich gerne im Kino gesehen. Es passte auch gut: der erste Kinofilm ’nach Corona‘, mit einem langjährigen Freund in Berlin. Wir haben uns gut unterhalten gefühlt, die Mischung aus Sandalenfilm und SciFi- Schmonz gefällt mir auch oft ganz gut, die Zeit verging im Flug. Als ich den Trailer zu dem zweiten Teil gesehen habe, hatte ich aber komischerweise null Lust, da rein zu gehen. Und Dein Text bestätigt das Gefühl – vielleicht wird der mal gestreamt, ich glaube das reicht mir.

  • Jan Reetze

    @Micha: Klar, es gibt Filme, die wirklich über drei Stunden tragen. Mir fallen aber nicht viele ein. „Im Lauf der Zeit“ etwa funktioniert, weil er eigentlich keine Handlung hat. Der zieht einen in eine Art zeitlosen Schwebezustand hinein. Es gibt ein paar weitere. Aber das sind die Ausnahmen. Die ganze „Dune“-Geschichte ist natürlich enorm komplex, und wenn man davon auch nur einen Teil bewahren will, dann kommt man auf solche Längen.

    Meist ist es ja so, dass ein Film im 1. Akt mit einem Knalleffekt beginnt, der einen hochreißt, und im 3. Akt kommt dann eine Auflösung, die (hoffentlich) befriedigend ist. Aber dazwischen, der 2. Akt, der schleppt sich bei ganz vielen Filmen dahin. Das kommt meist daher, dass Autoren/Regisseure zwar den Ein- und den Ausstieg recht konkret im Kopf haben, aber diesen 2. Akt vernachlässigen — der werde sich schon irgendwie finden, man muss ja da einfach nur von A nach B kommen. Funktioniert aber im Kino dann nicht. Der 2. Akt erfordert mindestens die gleiche Sorgfalt wie Anfang und Ende. Und es setzt voraus, dass die Geschichte, die erzählt werden soll, wirklich von Anfang bis Ende durchdacht ist, dass Wiederholungen, leeres Stroh und Actionszenen wirklich darauf geprüft werden, ob sie notwendig sind oder nicht. Es kann verdammt hart sein, ein Drehbuch auf eine bestimmte Länge zu kürzen. „Kill your darlings“ ist der härteste, aber oft beste Ratschlag: Du hast dich beim Schreiben in bestimmte Szenen verliebt, oder in eine bestimmte Person. Die zu streichen kann wehtun, aber wie schon eine von Brian Enos „Oblique Strategies“ sagt: Cut a vital connection. Hilft fast immer, aber das muss man sich erstmal trauen.

    Vor einigen Wochen habe ich den guten alten „Little Cesar“ mit dem wunderbaren Edward G. Robinson gesehen, wieder einmal. Der Film erzählt in nicht mal 80 Minuten ein ganzes Gangsterleben. Da sieht man, wie man einen Film so weit zusammendampft, dass nichts mehr weggelassen werden kann. Was dann noch zu sehen ist, das ist essentiell.

    Vielleicht ist das aber auch ein Zeittrend mit den Dauern. Nach meinem Eindruck tut’s seit einiger Zeit selbst die lausigste Samstagabend-Show im Fernsehen nicht mehr unter dreieinhalb Stunden.

    @Olaf: Ich möchte aber natürlich niemanden davon abhalten, sich selbst ein Bild zu machen.

  • Michael Engelbrecht

    Eine Mana Erinnerung mit zwei sehr sehr langen Filmen. Aber keine Frage, als Faustregel stimmt das natürllich…

    Als Teenager gehörten die Filme von Claude Chabrol und Francois Truffaut zu den guten Dingen: Chabrol liess die Fassaden des Bürgertums bröckeln, und Truffaut irrte mit Jean Pierre Leaud durch endlose Wirrungen des Eros. Früh in der Studentenzeit wurde aber Jacques Rivette mein ganz persönlcher „Held“ unter den Regisseuren der Nouvelle Vague. Er improvisierte mit seinen Darstellern in einem Paris fernab des kämpferischen Zeitgeists. Liebe, Verschwörung und andere Rätsel wurden zwar selten gelöst, doch stets in eine besondere Aura getaucht: die wunderbaren Hauptdarstellerinnen von „Celine und Julie fahren Boot“ bewegten sich voller Anmut, gleichzeitig im Stolperschritt, durch ihre Stadt: Alltag als Improvisation mit kleinen Geheimnissen. Die Waffe der Rivette’schen Figuren war die Phantasie. John Surman und Barre Phillips spielen in einem anderen Werk (Merry-Go-Round) ihre Filmmusik vor der laufenden Kamera, statt sie später zu laufenden Bildern zu erfinden. Zu den Schlangenlinien des Surman’schen Saxofons huschten die Protagonisten anders durchs Bild, die Musik empfahl ein leicht verändertes Gehen, das mitunter einem Tanz nahe kam. Schon damals war immer von diesem opus magnum zu hören, dass kein Normalsterblicher je zu Gesicht bekommen hatte. „Out 1 – Noli me tangere“ war 13 Stunden lang, und schlummerte lang in den Archiven. Jetzt kann man es sich bei ARTE besorgen, auf mehreren DVDs, die französische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Ganz alter Stoff, jede Menge Verrückte, freies Theater, ein Hauch von Balzac nach dem Mai 68, und eine liebevoll-verrückte Hommage an die „Stadt der Liebe“, selten war ein Blick auf den Alltag und seine kleinen Mysterien so reich an Verzweigungen, so nah an permanenter Träumerei!

  • Lorenz

    „Celine und Julie fahren Boot“ hatte sich meine Tochter vor ca. 2 Jahren auf DVD im Original gekauft und der Film ließ uns etwas verstört, aber nicht unangenehm, zurück. Witzigerweise erinnerten wir uns erst vor ein paar Tagen daran und haben uns vorgenommen ihn nochmal zusammen anzuschauen.

  • Michael Engelbrecht

    @ Jan: toll beschrieben, und ein Hoch auf ein gelungenes Drehbuch, das den zweiten Akt managt. Ich möchte aber noch etwas zu den superlangen Filmen sagen, die tragen.

    Wir neigen aus guten Gründen dazu, Filme nach bestimmten Qualitätsmerkmalen zu beurteilen, und etwas, das sich noch und noch in die Länge zieht, kommt selten gut. ABER: wenn der Film etwas Essentielles aus dem Leben des Zuschauers thematisiert, triggert, dann hat dieser Zuschauer eine ganz persönliche Beziehung zu dem Film, und das auch noch zu einer bestimmten Lebenszeit. In einer bestimmten Situation. Da ist Kino nicht Eskapismus, sondern Entdeckung.

    Man in eine Trance, die Zeit fliegt, man ist DRIN. Das ging mir so, und sicher auch anderen, damals mit dem Film DIE MUTTER UND DIE HURE (wenn wir schon mal einen frz. Abstecher machen) von JP Eustache. Da flog ich durch gute zwei, drei Stunden, das WAR ein Film für mich, in JENER Zeit. Ich glaube, heute würde ich sanft einnicken nach 30 Minuten, aber wer weiss.

    Und da gehe ich noch einen Schritt weiter: Filme als Therapeuticum. Jeder möge sich an Filme erinnern, nach deren Erleben die Welt ein wenig anders aussah, die lange über den Tag des Sehens hinausgetragen haben… weil sie Lösungen, Ablösungen, Erlösungen anbahnten, beszimmte Schritte in neue Lebensrichtubngen modellierten.

    Le Maman et La Putain war für mich so ein Film, genauso,wie PARIS, TEXAS oder sogar Geissendörfers ZAUBERBERG nach dem Tod meiner Mutter. Manchmal geht es nur darum, Entlastung zu schaffen, schlummernde Emotionen zu öffnen, die gute alte Katharsis im griechischen Theater. Das ist nichts Neues unter der Sonne. Aber: es ist sehr wichtig, diesen Aspekt der existenziellen Relevanz eines Films miteinzubeziehen.

    Da kann es um das Lachen genauso gehen wir um das Weinen… es muss da nicht stets bitterernst zugehen. Es gibt bei mit eine schöne uralte „romantische“ Verbindung zu alten Western, da wird bei mir immer ein Stück Kindheit wach, die Magier der Kindheit, das ist nahezu unabhängig von der Qualität des Films und eher eine Frage klassischer Konditionierung.

    Gimme the old music,
    gimme the cinemascope blue skies and clouds,
    gimme the palette of old colours and old black and white…

    und ganz nebenbei waren diese alten Streifen selten über 90 Minuten lang… gestern sandte mir ARTE einen Filmtipp: ZWEI RECHNEN AB, mit Kirk Douglas (und Burt Lancaster?). Ich bin dabei ich weiss warum.

    Die Brücke zur Kindheit, zu den Ressourcen von damals!

    Noch so ein bloss kleiner Film, durch den ich flog als young man: NORDSEE IST MORDSEE. Auch JEDE MENGE KOHLE. Mein ganz persönlicher Favorit (und eben auch aus ganz persönlichen Gründen): ABSOLUTE GIGANTEN. Der schaffte 1999 bei mir das, was ALICE IN DEN STÄDTEN Jahrzehnte davor gelang: unter die Haut zu gehen mit jedem laufenden Meter!

  • Michael Engelbrecht

    @ Lorenz, eine weitere alte Manastory mit Celine und Julie:

    ich werde nie das Glück vergessen, das erste Sehen von „Celine und Julie fahren Boot“, in meinen Jahren um die Sweet Seventeen herum war Jacques Rivette der heimliche Gewinner vor Truffaut und Chabrol (der die schärfste Braut, gerne als femme fatale, aufs Zelluloid bannte, Stéphane Audran), und völlig abgeschlagen sowieso der katholische Langweiler Rohmer, und fast ehrfurchtsvoll bewegte ich mich auf meinen ersten zwei Parisreisen durchs Quartier Latin, durch die Gasse der alten Kinos, und schlafwandlerisch an einem Sommernachmittag und einem Wintermorgen durch den Jardin du Luxembourg, blieb sehnsuchtsvoller Betrachter von magischem Nichts und Etwas. Die nöchste Ernüchterung kam, als ich, nach einer Ewigkeit, wieder Celine und Julie Boot fahren sah, und die Magie des ersten Sehens (und Versinkens) einfach verschwunden war.

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