• Daylight, Daylight

    Laughter in shadows
    Where you used to stand
    With all of us around
    Particles bright
    In my letter of light
    Scattered the sea
    The fools, they agree
    It‘s all we know

    Als ich das Album erstmals hörte, war ich auf Anhieb verblüfft. Zu wenig war ich mit seinen Alben vertraut, um zu beurteilen, ob sich diese Art von Liedern schon früher bei ihm angedeutet hatten: nichts Zupackendes, Riff-Betontes ist dem neuen Werk zueigen, eher ein durchgängig impressionistisches Flair, dem sich auch die nahezu verhuschte, aber nie verschwommene Stimme bestens zugesellt. Orchestrale Klangfarben kommen ins Spiel, aber dermassen subtil und dezent, dass aufmerksamen Lauschen die einzige Chance ist, dieser Musik nahezukommen. Als Vergleiche werden in durchweg positiven Besprechungen hier und da Bert Jansch, Talk Talk und John Martyn ins Feld geführt, ich würde noch M. Ward nennen – und wenn diesem wunderbaren Liederzyklus ein Thema zueigen ist, dann „traveling“. Auf jeden Fall wird es die Nummer 8 meine Jahresendliste sein. Beim Lauschen wird man, wenn man nicht ratzfatz das Interesse verliert, sanft in das Gewebe dieser Songs hineingezogen, und haben sich die Ohren einmal auf die diskrete Art der Soundmalerei eingelassen, sind es die kleinen Ereignisse im Panorama, die unsere Aufmerksamkeit erregen. Die lyrics leisten das ihre, um uns auf all diesen Reisen durch Innen- und Aussenwelten zu begleiten. Steve Gunn hat mit „Daylight, Daylight“ ein fantastisches Album fabriziert, u.a. mit James Elkington und einer gewissen Macie Stewart an seiner Seite, die auch Alabaster DePlume auf seiner letzten Tour begleitete.

  • Die Sache mit der explodierten Aussicht

    Ich weiss noch genau, wie ich 1986 Steve Tibbetts‘ „Exploded View“ auflegte, und das Album genau das mit mir anstellte, was „Northern Song“ und „Safe Journey“ zuvor besorgt hatten: Hörrausch mit Horizont! Ich war fasziniert , wie da Gitarre und Perkussion etwa ganz Anderes gelang, als selige Erinnerungen an wilde Zeiten und Jimi Hendrix zu produzieren. Als ich Steve und Marc Jahre später traf, nicht lang, nach dem Album „Big Map Idea“, früh in den 1990er Jahren, waren sie zu meiner Überraschung gar nicht gut zu sprechen auf „Exploded View“. Jene Zeit wäre voller innerem Aufruhr, Wirrnis, Trennung und Tumult gewesen, und die zwei schienen, nach dem spannenden wie in-sich-rigenden „Grossen Landkarten Ideen“ in einem ganz anderen „mindset“ angekommen zu sein.

    Das mag so sein, aber ich fürchte, die Entstehung von „Exploded View“, das Hören und Wiederhören dieses Albums, war einfach mit viel zu peinvollen Erinnerungen befrachtet, als dass sie der Schallplatte in wenigstens gelassener Halbdistanz begegnen konnten. Ich vermeinteluftige Weite zu erinnern, zartes Filgran, natürlich auch Wildnis und Feuer. Nun ist die Scheibe irgendwann aus meinem Archiv verschschwunden, und selbst die CD-Ausgabe finde ich nicht mehr. Also bestellte ich gestern ein Exemplar via Discogs aus den Niederlanden. Und wenn das eingetroffen ist, beginnt mein privates Steve-Tibbetts-Festival. Über zehn Tage (das Wochenende auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt ausgenommen) werde ich mir jeden Tag mir seine ECM-Alben der Reihe nach zu Gemüte führen, von YR (das erst später bei ECM wiederveröffentlicht wurde) bis CLOSE. Und wenn ich dann Steve für das Radioporträt am 22. Januar noch ein paar Fragen schicken sollte, wird gewiss eine über „Exploded View“ dabei sein.

  • Unsere alten Helden in jungen Jahren

    Ich musste gestern daran denken, wie Rosato einst mit Freunden aus seinem Kronacher Hinterland nach Frankfurt fuhr, früh in den 1970er Jahren, um den „elektrischen Miles“ zu hören. Solche Erlebnisse mit dem „dark magus“ waren für viele aus meiner Generation Offenbarungen. Und auch all die Jungs an seiner Seite „learnt their lessons“ beim Altmeister, ob John McLaughlin, Keith Jarrett, Chick Corea, Dave Holland, Dave Liebman oder oder – die Liste ist lang, und zu ihr zählt auch Gary Bartz. Er erzählte vor ein paar Jahren, wie er zu diesem kleinen Zirkel stiess, und was für ihn Miles‘ wichtigste Lektion gewesen sei. HIER zu hören – und zu sehen: ein Auftritt einer dieser immer wieder das Personal wechselnden Formationen, nach Bob Marley 1979 ein weiterer kleiner Abstecher in eine grosse Zeit.

    Bei solchen Zeitreisen geht es nicht um altersgerechte Nostalgie, vielmehr um V e r g e g e n w ä r t i g u n g. Der Schamane in uns kann sich hierhin und dorthin träumen, mit allen Sinnen. (Das Plakat vom Frankfurter Miles-Konzert schickte mir Rosato himself)

    So kannte ich den Namen Gary Bartz allerbestens von seine diversen Aufnahmen jener Jahre: ob es beispielsweise die viel später erschienenen „Cellar Door Sessions“ waren oder „Live Evil“. Wer mich mal in meiner elektrischen Höhle besucht, dem spiele ich „Live Evil“ in der Quad-Version vor – eines meiner liebsten Surround-Alben, ein tollkühner Mix mit dem vorhandenem Material. Gary ist da äusserst präsent, sein Saxofonspiel ein Traum – uns Musikverrückten brannte sich damals die Namen auf Dauer ein, wenn wir sie im Kleingedruckten auf den Plattenhüllen ausfindig machten. Mtume, Pete Cosey, Michael Henderson, Reggie Lucas, Sonny Fortune usw. Heute, morgen oder übermorgen wird ein Flussarbeiter etwas erzählen, unter anderem von einem taufrischen Erlebnis mit Gary Bartz auf der Bühne. Lassen wir uns überraschen!

    Anhang:

    „Die Cellar Door Story“

  • Great producers side by side, oder: „Kennen die Flaming Lips und die Butthole Surfers Joe Meek?“


    Kurzer Ausblick auf den Dezember: in unseren „Monthly Revelations“ stelle ich im „Archiv“ „Madar“ vor, gerade erstmals als Lp (bzw. Doppelalbum) erschienen, in der „Luminessence“-Vinyl-Serie aus dem Hause ECM. Anouar Brahem, Jan Garabarek, Shaukat Hussain. 1992 aufgenommen in Oslo, 1994 erschienen. Und in der Abteilung „Prosa“ Jan Reetzes Portrait über „Joe Meek“. Die sich auf dem obigem Foto zu Mr. Meek gesellenden Flaming Lips haben unlängst Black Sabbaths „War Pigs“ gecovert. Das crazy! Aber es passt!

  • Meine Konzerte des Jahres 2025

    Ich gehe nicht so oft zu Konzerten, aber 2025 ist ein Jahr ohne Fehltritte. Jedes Liveerlebnis war schlicht wunderbar. Robert Forster Band, Anouar Brahem – Django Bates – Anja Lechner – Dave Holland, The Necks. Und am 23. November wird sich Nitai Hershkovts’ Solopianoaudtritt im Musikbunker, Aachen, gewiss einreihen in diese feine Liste. Wenn ich nur ein Highlight auswählen dürfte, wäre es der Sommerauftritt von Wilco in meiner Heimatstadt Dortmund. Im Nachgang holte ich etliche Wilco-Alben aus dem Regal, auch die fette Box „Summerteeth“, ein Album, das ich nicht wirklich gut kannte mehr aus der Erinnerung). Mittlerweile ist es bei mir erneut „angekommen“ und so wild, so gut. „Via Chicago“ spielte Wilco auch in Dortmund.

    „David Secklah erinnert an diesen frühen Klassiker der Band: Das Album war der Höhepunkt vor dem Niedergang, als Tweedy und Bennett sich in perfekter Harmonie befanden – sehr zum Frust der übrigen Bandmitglieder. Schlagzeuger Ken Coomer fühlte sich verdrängt und verglich Tweedy und Bennett mit „zwei Typen, die im Studio den Verstand verlieren“. Hier schlugen sich die Strapazen des Tourens und Albumaufnehmens auf Tweedys neue Ehe und die Geburt seines Sohnes Spencer nieder, verbunden mit seiner Schmerzmittelsucht, was zu den qualvollsten Texten führte, die er je geschrieben hatte, zu gewalttätigen Fantasien und Gedanken der Hoffnungslosigkeit. In vielerlei Hinsicht war „Summerteeth“ ein Hilferuf, der im Studio so zusammengestellt wurde, dass er so fröhlich klang wie die Platten der Beach Boys aus den 60er Jahren, die ihn inspiriert hatten, wobei diese Freude durch Tweedys esoterische und zutiefst schmerzhafte Texte ständig verraten wurde. Nehmen wir einen Song wie „A Shot in the Arm“, den optimistischsten in ihrem Repertoire, eine raue Hymne über das Spritzen von Heroin, die „etwas in meinen Adern, blutiger als Blut“ zu einem Mitsing-Song macht und die Dichotomie in Aktion zeigt.“

  • Santa Barbara, 1979 (with sunset, for Brian Whistler and other time travelers)

    „She said, where ya been? I said, no place special
    She said, you look different, I said, well, I guess
    She said, you been gone, I said, that’s only natural
    She said, you gonna stay? I said, if you want me to, yes“

    (Bob Dylan, Isis)


    Ort und Zeit stimmen, nun fragen sie sich, wer bei diesem Konzert in der „County Bowl“ auf der Bühne stand. Ich würde ja gerne zeitreisen und diese Schönheit tollkühn ansprechen, mit einem romantisch-frechen Spruch auf den Lippen, obwohl sie offensichtlich in festen Händen war, buchstäblich. Marokko war genau dort, 1979, nach wenigen Wochen sonnengebräunt, ein Hippie wie ich, der aber mehr auf Reisen ging und mir gerne sagte: „ein Leben ohne die Westcoast, das will ich nicht!“ Es war also naheliegend, Jahre und Jahre nach unseren Hörabenteuern mit Miles Davis „At The Filmore“ (bei ihm im „Kinderzimmer“) an jenem Surferparadies der amerikanischen Westküste aufzuschlagen, als der Hippietraum zwar schon einige Dellen hatte, aber immer noch magische Musik bereithielt. Wie an jenem späten kalifornischen Nachmittag. Nun traf ich Marokko wieder, und während wir Mojitos schlürften, servierte ich ihm den vollen Mitschnitt jenes Konzerts von Bob Marley, und ich fragte ihn: „wo standest du?“ und ich fragte ihn: „hast du diese Schönheit gesehen?“ Er stand weiter hinten in der Menge, rechts, das Meer im Rücken, und er konnte sich nicht an meine sofort aus den bewegten Bildern herausgefilterte „queen of hearts“ erinnern. Zu schade, aber sowieso umwahrscheinlich. Auf jeden Fall sahen wir uns den ganzen Konzertfilm an, sprangen zwischen den Zeiten, sprachen von den etwas anderen Farbgebungen unserer Träume, wenn Traumtänzer wie wir in die Jahre kommen. Der Drummer Seb Rochford machte mich erst aufmerksam auf DIESEN Mitschnitt, und er sagte dazu, mit Blick auf Bobs sogenanntes Rhythmusgespann und seine Lieblingsplatte „Exodus“: „I think Carlton and Aston Barrett were absolutely geniuses. I love Aston’s kind of bass playing where it’s just like another melody, then Carlton’s drumming is so melodic as well, but so unique. My friend sent me a link to Bob Marley’s 1979 Santa Barbara concert, and it’s just absolutely incredible.“

    (In Kürze eine weitere Zeitreise: „Weissdornweg 1965 / 2025“)

  • My 20 favourite albums of 2025

    Nikolaus nähert sich, und ich werde am 6. Dezember meine zwanzig Favoriten präsentieren. Zum Ranking dies: die wunderbare Subjektivität so einer Jahresendliste bedingt, dass jeder Leser, nach eigener Ästhetik und Hörgeschichte, mit meinen Nummern 15-20 womöglich sehr viel mehr anfangen kann als mit meinen Top 3 – oder hin und wieder den Kopf schüttelt, was ich an diesem oder jenem Album so gut finde. Die Moral von der Geschichte: hier geht es allein um Anregungen und Angebote, nicht um Expertise und den Sound des Weisen!


    Es ist eine Freude sich bewusst zu machen, wie sehr man immer noch von Klängen bezaubert werden kann. The searching never stops. Und wie das Abhandenkommen der Routine, also das Vergessen all dessen, was man zu wissen meint, das Versinken im Sound befeuert! All these places we’re transported to!

    Das obige Cover dient als Appetizer für meine Liste voller „Burner & Grower“ – meine Number Thirteen, das Opus „How You Been“ der Formation SML aus dem Hause International Anthem Records. Würde Brian Eno das Teil lieben – leise Zweifel! John Zorn? Wahrscheinlich.

    War ihr Debut für mich eher eine spannende Talentprobe, begeistert mich dieses Werk (zu meiner eigenen Überraschung!) vom ersten bis zum letzten Ton, zudem ist dies nicht die Musik, die man wegen ihrer rasanten Szenenwechsel meinem „profile of taste, love and surrender“ so ohne weiteres zurechnen würde. Neue Freunde dieses Klassealbums (CD, LP, DL) mögen sich bei mir melden – die anderen können gerne ihre Fluchtreflexe schildern! Wie schrieb ein Kollege zu diesem clever organisierten, seltsam organisch anmutenden „Flickenteppich & seinen 80 Welten in 50 Minuten“:

    Where their debut captured raw beginnings, How You Been is the sound of a group in full stride. SML channels touchpoints from Afrobeat, kosmische, proto-techno and electric Miles Davis, yet dissolves them into something entirely their own – a high-definition rendering of SML’s collective vision.

  • Hubert und der Chinese des Schmerzes

    Ein paar Jahre ist es her, da gingen bei den „Manas“ die Ansichten hin und her zu Peter Handkes „Der Chinese der Schmerzes“. Tatsächlich beendete dieser subdepressive „Langweiler“ meine guten Jahre mit Peter. Seine politischen Wirrungen besorgten den Rest. Bei alldem geht es keineswegs um Bashing und Schwarzweissmalerei. Unvergessen meine Leseabenteuer mit Peter Handke. „Wunschloses Unglück“, „Der kurze Brief zum langen Abschied“, sowie „Das Gewicht der Welt“ waren Lieblingsbücher, und letzteres wäre es wohl heute noch. Ein magischer Stilist ist er allemal. Nun hat ein Schriftsteller und einstiger „Musikclub-Manager“ namens Hubert Mania dieses alte manafonistische „Streitthema“ aufgegriffen und sein ureigenes literarisches Echo dazu verfasst. In allen vier barocken Buchtiteln seiner Fantasie löst er das ein, was der gute Peter im Titel zwar verspricht, aber nicht einhält: Schmerz empfindende Chinesen, die mit der Hauptfigur Loser in Kontakt kommen! Huberts Text als „special guest“ folgt in Kürze. Wer weiss, vielleicht begrüssen wir bald zwei Novizen unter den Flussarbeitern. Alles alte Hasen sowieso!

  • Fünfmal grosse Kriminalliteratur 2025

    • Andreas Pflüger: Kälter (Suhrkamp)
    • Liz Moore: Der Gott des Waldes (C.H. Beck)
    • James Lee Burke: Im Süden (Heyne)
    • Federico Axat: Eine vorbildliche Tochter (btb)
    • Zoran Drvenkar: Asa (Suhrkamp)

    Jeder einzelne dieser Romane hat bei mir einen Leserausch erzeugt. Tiefgang inklusive. Nick Cave liebt James Lee Burke. Kann ich verstehen. Man muss verdammt gut schreiben können, um eine Figur wie Luzy Morgenroth mit Leben zu füllen. Andreas Pflüger schafft das. Ich habe es schon bedauert, Luzy nicht 1989 auf Amrum begegnet zu sein. Ich war da nämlich. Liz Moore hat alle begeistert, denen ich das Buch empfohlen habe. Über James Lee Burke habe ich schon so viel erzählt, diesmal ein „standalone“ aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg, Burkes Ahnenreihe führt direkt in jene Zeit des Grauens.