• Inside Brian‘s Studio

    THE ZANE LOWE INTERVIEW


    Es wird mal wieder Zeit für ein Brian Eno-Interview, und mir würden genug Fragen einfallen, auf deren Antwort ich selbst neugierig wäre. Nicht so leicht, mögen manche denken, denn seit der Zeit des Internets gibt es zahllose Interviews mit Eno, zur Musik, dazu, wozu Kunst da ist, zu Gaza, dem aufkommenden Faschismus in den USA. Meine aufregendste Zeit muskalischer Entdeckungen liegt tatsächlich in den Zeiten vor der Erfindung des Netzes, in der analogen Ära.

    Damals stolperte man über Neuerscheinungen, oder man benutze gewisse „Kanäle“, um auf dem Laufenden zu bleiben. So ging ich in der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre in Würzburg regelmässig zu Montanus, um die neuesten Ausgaben des Jazz Podiums und des Melody Maker durchzustöbern. Was heute allgegenwärtig ist, musste damals ausgekundschaftet werden. Nur wenige Magazine halfen da, die eine und andere Radiosendung.

    Heute ist der Blick auf die neuen Klänge der nahen Zukunft geradezu gleichgeschaltet – und sehr oft mit einem Blick zurück verbunden. Mit einem Schmunzeln merkt Brian Eno im Gespräch mit Zane Lowe an, dass damals, als Roxy Music am Start war, die Geschichte des Rock‘n‘Roll gerade mal 16 Jahre jung war, wenn man die Stunde Null bei Bill Haley ansetzt. As time goes by.

    Meine einzige Roxy Music-Story ist die, um die mich viele beneiden, die Fans der ersten Alben der Band sind, die ursprünglich mit dem Anspruch auftraten, „anti-hippie“ zu sein, und dem allzu schnell kodifizierten „styling“ der Hippie-Kultur unverbrauchte Mythen und Fantasien entgegenzustellen. Nun war ich um 1991 herum (oder Jahre später) in seinem alten Haus in Maida Vale, als er mir nebenbei mitteilte, dieser Raum hier, in dem wir sassen, wäre damals der Übungsraum von Roxy Music gewesen, wo sie wie verrückt die Stücke ihres ersten Albums einstudiert, entwickelt, geprobt hätten.

    Ja, ich nahm es zur Kenntnis (Roxy gehörte nie zum Soundtrack meines Lebens), und war froh, ihm in seinem Arbeitszimmer über die Schulter zu schauen, als er ein am DX-7 entwickeltes Stück für „The Shutov Assembly“ den letzten Schliff verpasste. Ein absolutes Lieblingsalbum. As time stands still. (m.e.)

  • Die drei besten Alben der besten Band der Welt

    Vom Opener „Our prayers will never be answered again“ bis zu „In a Future Age“, in dem Jeff Tweedy uns auffordert, „unsere Gebete in unverschämte Wagnisse zu verwandeln“, schleppt uns das drittbeste Album, das Wilco je aufgenommen hat, durch unseren zwischenmenschlichen Müll, nur um uns dann höflich zu bitten, ihn selbst aufzuräumen. Cool.

    Und da ist genug Zucker in der Medizin: also, Leute, von den süchtig machenden Pop-Hooks des Albums in den Bann gezogen, umgarnt uns die Band mit cleverer Ironie und reichhaltiger musikalischer Bearbeitung, die uns so leicht nicht mehr loslässt. Während das Album seine Feinheiten preisgibt, wird deutlich, dass die Band exponentiell wächst. Und das anno 1999. Nachdem sie sich selbstbewusst von ihren alternativen Country-Geistern verabschiedet haben, ist Wilco zu einer Band geworden, von der wir alles und nichts erwarten können. Mit Summerteeth haben sie ein Album geschaffen, das so wunderbar doppeldeutig und ungewiss ist wie das Leben selbst. Einst schrieb mir Elizabeth Hand dazu:

    „Another album I must have listened to almost every day for a decade. I finally put it aside last year, and this morning found myself in the mood to dig it out again. Beautiful and eerie; the sunny “Pet Sounds” production belies the dark lyrics. You could write an entire essay about the influence of “Pet Sounds” on“Pieholden Suite,” though my favorite song is the alternate version of the brilliant “A Shot in the Arm,” a hidden track (along with “Candyfloss”) which gives “Sergeant Pepper” era John Lennon a run for his money in under four minutes. Gorgeous, desperate, and so dark it’s exquisitely painful to listen to. “Maybe all I need is a shot in the arm/Something in my veins, bloodier than blood.” An entire hidden thread of my life had this as its soundtrack (note: nothing to do with drugs). “You’ve changed: What you once were isn’t what you want to be anymore.”

    Es folgten bald darauf ihr zweitbestes Opus, das viele für reinen Sternenstaub und dunkelstes Gold halten, Yankee Hotel Foxtrot, und dann das überwältigende wie tollkühne Meisterwerk A Ghost Is Born. Unendlich sanfte und wilde Lieder kreuzen sich gnadenlos! Seit damals bin ich Fan und freue mich sie im Juni in meiner alten Heimat zu erleben. Übrigens mag ich alle ihre Alben seit diesen drei großen Würfen der frühen und dunklen Jahre.

    Auf jeden Album seitdem finde ich Juwelen und Songs, die den direkten Weg unter meine Haut einschlagen, und immer wieder mal ein neues Lieblingsalbum, das sich den drei Geniestreichen ebenbürtig erweist. Meistens Sky Blue Sky, betörend verstörend in seinem sanften Flowflow! Derzeit ist mein Album Nummer Vier The Whole Love, mit zahllosen Songs zum Versinken, allen voran der tiefgründige 12-Minuten-Schleicher „One Sunday Morning“, mit seiner Verschmelzung von Wehmut und Freude. Läuft in meinem spanischen Leihwagen in dieser Woche „on high rotation“! (Michael E.)

  • News from Makaronesien

    Auf der kleinsten kanarischen Insel El Hierro trafen sich jetzt grosse Schaffende von den glücklichen Inseln: Madeira, Azoren, Kapverden. Sie kamen zusammen, um sich über die Lage des Tourismus auf ihren jeweiligen Archipelen auszutauschen. Weil auf diesen atlantischen Meerinseln vorwiegend Portugiesisch gesprochen wird, hatte ich mir ein junges Englisch sprechendes chica organisiert zum Übersetzen.

    José Luis Rivero, Wirtschaftswissenschaftler von der Universität La Laguna/Teneriffa moderierte die spannende Runde – claro – auf Spanisch.

    Den für mich attraktivsten Auftritt bot Urbano Bettencourt Machado von den Azoren. Er ist Journalist und Schriftsteller, ein anerkannter Intellektueller, der viel für die Musik tut. Seine engagierte These lautet: gegen die Religionen kann nur die Liebe zur Musik als internationale Sprachen antreten. Er berichtete von Philharmonien, also grossen Orchestern, die unterwegs sind und Künstler wie Kurt Weil und Bertold Brecht im Programm haben. Mich fasziniert der Gedanke, dass unsere grosse Kultur bis in die kleinsten Archipele vordringt. Ich fragte ihn, wie es mit dem Jazz aussehe. Er erzählte mir, dass es eine amerikanische Airbase auf den Azoren gebe. Dort gibt es Jazzmusiker, die den an Jazz interessierten Einheimischen die Jazzmusik beibringen. Aber es sei ja klar, dass die afrikanische Musik den grösseren Einfluss habe. Ich fragte ihn auch nach grossen Dichtern auf den Azoren. Er nannte Antero de Quental mit Daten 1842-1891.

    Glückselig wer
    vorüberging am Weh
    Des Lebens und der Leiden-
    schaft Getose
    Unwissend wie
    vorübergeht die Rose
    Und flüchtig wie der
    Schatten ob der See

    Madeira war vertreten durch den Musiker, Journalist und Schriftsteller Juan Carlos de Abreu. Er verriet mir, dass das nächste Treffen seine grosse Stunde sei, das Thema wäre POESIE.

    Javier Morales Febles lehrt als Agraringenieur an den Unis in La Laguna/ Teneriffa und Las Palmas/ Gran Canaria. Ich glaube, er ist unser Vizepräsident, der sehr nah an seinem Inselvolk ist. Wo sieht man schon mal einen Wissenschaftler oder Politiker aktiv bei den lokalen Tänzen ‚mithupfen‘?

    Cabo Verde, der afrikanische Inselstaat mitten im Atlantik, erhielt meine grösste Aufmerksamkeit. Ich war sehr neugierig auf den Mann von den Kapverden. Leáo Lopes heisst er. Er ist Filmregisseur, Künstler, Professor, in seiner Zeit als Kultusminister gründete er das Institute of Art an der Universität von Mindalo. Er zeigte kleine touristische Bauprojekte und Märkte mit lokalen Produkten. Im gemeinsamen Gespräch nach seinem Vortrag fragte ich ihn nach interkulturellem Kulturaustausch, ob es Residenzen für Künstler gäbe. Er gab mir für meinen Künstlersohn seine Kontaktadresse.Leáo Lopes hatte zwei Künstler mitgebracht, einen Gitarrenspieler und Sänger und eine Tänzerin. Tiolino y Rosy Timas.

    Wie klingt der Sound von den Kapverden? Darauf war ich sehr gespannt. Vollkommen entspannt betrat ein junger hübscher Mann mit seiner Gitarre die Bühne und begann ein langes Lied zu singen. Man konnte ahnen worüber er sang, als die Tänzerin mit um den Bauch gebundenem Ball einen Geburtstanz hinlegte. Sehr graziös vollbrachte sie das Wunderereignis. Aufgrund der Tänze, die alle das Bild der Frau zum Thema hatten, konnte man die Songs gut einordnen. Rosy Timas ist einen begabte Choreografin, die verstand, eine Hausfrau, eine Braut, eine Büroangestellte oder eine verführerische Frivole zu tanzen.Die Rhythmen waren vielfältig : Mazurka, Chachacha hörte ich heraus. Tiolino sang ein Lied von Cesaria Evora, der wohl berühmtesten Sängerin von den Kapverden. Die Beiden bekamen viel Applaus- Ich sah einige Einheimische auf ihren Sitzen tanzen und klatschen zu den afrikanischen Klängen von einer der glücklichen Inseln in Makaronesien. Vamos!

  • Málaga dreaming

    Swimmingpools spielen eine rare Rolle, aber ich unterschlage Erinnerungen, würde ich den Serientraum aus Kindertagen aus dem Spiel lassen, das warme Wasser, in dem die Füße spielen, und die Magierin, die von hinten an mich herantritt. Im Süden Spaniens jetzt ein anderer Traum, und tatsächlich strömt in der Dämmerung, aus schwarzen Lautsprechern, die zweite Sologitarrenplatte von Bill Connors, mit ihrem Hauch von Latino, und einem dritten Swimmingpool (auf dem Cover), der nicht weniger zum Verweilen animiert als dieser hier, und jener aus den frühen Märchen aus 1001 Nacht. (m.e.)

  • Los Thuthanaka


    In den ersten Minuten dieses Albums der bolivianisch-amerikanischen Geschwister Chuquimamani Condori und Joshua Chuquimia Crampton, da glitzern die Gitarren wie Tempelglocken und bilden dämmernde Akkorde. Stürme von Geräuschen wehen hindurch, mal verblüffend in ihrem zischenden Rauschen, mal fremdartig in ihrem Glanz und Rauschen. In von menschlichen und maschinellen Effekten verfremdeten Klangfarben sprechen „Voiceovers“ einleitend und rückblickend über etwas, das wie Stereofelder von lokalen Radiosendungen klingt. It’s a strange world. Irgendetwas passiert hier. Aber was? Nun, wir haben eine interessante Interpretation der Andenmusik. Über Jahrzehnte haben die Musiker diesen Boden vorbereitet, alte Rhythmen von ihren Großeltern gelernt und an Klangzeremonien teilgenommen. Im Jahr 2023 haben sie ein kleines Fenster in die Welt von Los Thuthanaka für die Öffentlichkeit gebaut. In einer aufschlussreichen Ausstellung im MoMA boten sie den Besuchern Kopfhörer und einen Sitzplatz vor einer monumentalen Collage an. Zu den Bildern gehörten traditionelle Medizin und Tiere, die in den Erzählungen der Eingeborenen eine zentrale Rolle spielen. An anderer Stelle hockt ein Ahnenpaar mütterlicherseits zwischen einem monumentalen Soundsystem und schießt Glasscherben und Blitze in den Nachthimmel. Los Thuthanaka klingt so, wie man sich dieses Wandbild vorstellen könnte. Und das ist erst der Anfang.

  • “That childhood preference for a slow lifestyle“ – ein Interview mit Kevin Ayers

    Manchen mag Kevin Ayers bekannt sein, aus alten Hippietagen, von frühen Soft Machine-Alben, oder seinen Soloalben. Oder von seinem „Lampenfieber“. Er stand für fantasievolles, postiv versponnenes Liedergut, undals er einmal nach vielen Jahren der Stille anno 1992 mit einem feinen „Comeback“-Album daherkam, freuten sich die „alten Fans“, wie unverbraucht seine Stimme und sein Charme daherkamen.


    Michael Frank traf ihn damals in meiner alten Heimat in Dortmund zum Gespräch. Und Freunde seiner Musik werden HIER das eine und andere von Interesse finden, etwa seine Kindheitsvorliebe dafür, die Dinge des Lebens langsam anzugehen. „The Unfairground“ war sein letztes Werk – ich habe es in guter Erinnerung, und ganz sicher ein, zwei Songs daraus in den frühen Jahren der „Klanghorizonte“ gespielt. John Mulvey schrieb damals:

    „From what I can tell, Ayers seems to have been mooching about the south of France for an extraordinarily long time, probably doing not much more than some fairly concerted wine-tasting. We spent a while yesterday trying to work out what he lives on – does he have independent means, maybe? But Ayers always comes across as one of those charming, insouciant wasters who sort of glide through life untroubled by the dreary realities that trouble the rest of us. In fact, listening to „The Unfairground“, Ayers tackles angst, romantic mishaps and fear of ageing with a sort of rueful shrug.“

    Unser Interview mit Robert Fripp aus dem Jahre 1997 findet sich in diesem „Blogtagebuch“ am 28. März – unter dem Titel „Everything broken will flow“. m.e.)

  • monthly revelations (april)

    album: anouar brahem
    film: neil young coastal (april, 17, one evening, worldwide)
    prose: „und man hört sie doch.“ (hg: martina w.)
    talk: erik and jan on „manafon variations“
    radio: „playlist in motion“
    binge: „families like ours
    archive: joe henderson


    „Bei der Auswahl von Titeln für seine Kompositionen, die die palästinensische Erfahrung thematisieren, war Anouar Brahem nicht von einem didaktischen oder propagandistischen Ziel getrieben: Dies wären Ziele, die seiner feinfühligen (…) Sensibilität völlig fremd wären. Aber er konnte auch nicht den Eindruck erwecken, dass seine Musik von der Wut, der Trauer und dem Kummer, die Gaza in ihm auslöste, unberührt blieb. Es ist zu früh, um zu sagen, ob man sich an dieses „Quartett für das Ende der Zeit“ als Vorbote des Endes von Gaza erinnern wird, oder vielmehr als Vorbote des lang ersehnten Endes des Leidens in Gaza. Man kann jedoch sicher sein, dass dieses Album für immer die Spuren seiner Herkunft tragen wird. „Musik erinnert sich an uns“, schreibt Jeremy Eichler in Time’s Echo, seiner ergreifenden Studie über Musik, die nach der Shoah komponiert wurde. „Musik spiegelt die Menschen und Gesellschaften wider, die sie geschaffen haben, sie fängt etwas Wesentliches ein, das sie in die Zeit ihrer Entstehung zurückversetzt. Die Erinnerung wird von den Kadenzen, den Offenbarungen, den Trübungen und dem tragischen Pathos der Musik heimgesucht“.

    (aus den liner notes von Adam Shatz zu Anouar Brahems „After The Last Sky“, übersetzt aus einer französischen Vorlage mit deepl ins Deutsche, die Cd enthält die englische Fassung)

  • “Folk music, surrealism, the blues, the avant-garde, deep intelligence, primitive emotion.”


    In den letzten Tagen waren meine Erinnerungen ab und an unterwegs in einem Damals, das die erste Hälfte der Siebziger Jahre darstellt, mit einem Arsenal von Zeitreisetechniken: Alltagstrancen, Rumstöbern im Netz, „Köln 75“, der Film, das Wiederhören der langen ersten Seite von „The Köln Concert“, und, nicht zuletzt, das Versinken in der „Relativty Suite“ von Don Cherry nach Ewigkeiten… die Platte gehörte im Wintersemester 74/75 im Doppelzimmer 510 des „I-Hauses“ zur Grundausstattung der Musikversorgung von David Webster und mir.

    Ein zufällig zusammengewürfeltes Schicksalsduo für zwei Semester, David lernte den Free Jazz kennen, und ich drang tiefer denn je ins „Weisse Album“ der Beatles vor. Dank der Erinnerungen von Richard Williams öffnete sich jene Tür im fünften Stock wieder, als er zu seinen Don Cherry-Inselalben kam. Das Stichwort lieferte ein Satz von Ethan Iverson: “Folk music, surrealism, the blues, the avant-garde, deep intelligence, primitive emotion.” – es wae an Ornette Colemans Album „Science Fiction“ von 1972 gerichtet.

    „That’s good“, reagierte Richard darauf, und führte aus: „And, as much as I love Cherry’ work with Coleman, Albert Ayler and Gato Barbieri, my favourite Cherry albums are probably those that best encapsulate the full range of those qualities, and of his imagination. They would be Eternal Rhythm, Relativity Suite from 1973 (with the JCOA, never reissued in any form since its its first appearance on vinyl), and the wonderful Modern Art: Stockholm 1977, a concert at the city’s Museum of Modern Art, which appeared on the Mellotronen label in 2014.“

    Das „Modern Art“ Album von 1977 kenne ich gar nicht, aber die fast vergessene „Relativity Suite“ wurde flugs auf dem raren Markt vergrabener Schätze aufgetan, und voller Begeisterung neu gehört. Fast wie beim ersten Mal. Es ist der 13. Januar 1975, nasskaltes Januarwetter. Fünfundzwanzig sorgsam für die grosse Reise in die zweite Heimat ausgewählte Langspielplatten stehen, sorgsam im Schatten platziert, an der Wand, mit dabei „Diary“, „Lord of the Rings“, „Facing You“, und „Third“. Davids Kassettenrecorder gibt „Happiness is a warm gun“ von sich, John Lennon auf der Höhe seiner Kunst, und es ist schon später Abend, fast Nacht.

    Während das Album noch läuft, ist David schon eingeschlafen, ich lese bei spärlichem Licht noch ein Kapitel in Ralf Oerters „Entwicklungspsychologie“, auch ein gutes Einschlafmittel, und draussen, nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt, sitzt ein übermüdeter Musikproduzent am Steuer seines zitronengelben Renault und fährt einen unruhig schlafenen Keith Jarrett Richtung Köln. Sie fahren gerade an Würzburg vorbei, und der Produzent verwirft den Gedanken, hier auf einem Rastplatz ein wenig Schlaf nachzuholen. Ich bekomme von alldem natürlich nichts mit, hole am nöchsten Morgen die Post bei Herrn Kopka in der Pforte ab. Ein Päckchen von „Jazz by Post“ ist angekommen, mit Bennie Maupins „The Jewel In The Lotus“. Drei Wochen später verliebe ich mich im rumpeligen Fahrstuhl unseres Wohnheims. Das Leben nimmt einmal mehr volle Fahrt auf.

  • Ruperto

    Auf der linken Seite sitzen nur Männer und spielen Domino, vorne am grossen geöffneten Fenster spielen zwei Alte Gitarre. Jeden Abend kommen sie in die Bar und spielen ihre Lieder. Sie singen vom Heimweh nach Venezuela. Es sind Einheimische, Herreños, die wieder zurück auf ihre Geburtsinsel El Hierro gefunden haben, nachdem sie viele Jahre in Übersee waren. In der Bar herrscht eine düstere Stimmung, die Männer schweigen beim Hin und Herschieben der Steine, immer wieder fasziniert mich diese Stille beim Spiel.Es ist das Fremde, das mich beeindruckt, das Kommunizieren ohne Worte. Domingo Pio heisst der Mann an der kleinen Gitarre, der Timple. Ihm hat der beste Gitarrist der Insel, Ruperto, eine musikalische Hommage gewidmet. Mir gelang es, Ruperto zu einem kleinen Interview zu gewinnen:

    Ruperto, kommst du aus einer musikalischen Familie, sang deine Mutter, spielte dein Vater ein Instrument?

    Ja, mein Vater war Musiker, er spielte Geige, Temple, Gitarre und Banduria. Und meine Mutter sang sehr gerne.

    Wann hast du angefangen, Gitarre zu spielen?

    Mit 8 Jahren.

    Hast du dir das mehr oder weniger selber beigebracht?

    Ja habe ich- Wer hat dir deine erste Gitarre geschenkt?

    Mein Vater hatte eine zuhause.

    Hast du dann in einer Jugendband gespielt oder immer alleine?

    Mit einer Schülerband.

    Deine Frau und deine Söhne treten auch zusammen mit dir auf. Hast du deine Frau auf einem Konzert kennengelernt?

    Ja auch das ist richtig.

    Dir macht es auch viel Freude zu singen. Die Texte sind alle von dir, woher nimmst du die Inspiration für sie?

    Aus dem täglichen Geschehen, was ich so beobachte im Dorf und den Menschen hier.

    Spielst du am liebsten alleine oder in Gruppen?

    Ja vorzugsweise alleine.

    Vielen Dank Ruperto für das Interview.

    Mich interessieren in jedem Land die Interaktion zwischen Naturräumen oder auch Grossstädten und Tönen, Klängen. Wie kommt es, dass die Musik der Insel relativ gleich klingt, egal , ob es Kirchenlieder oder Folkloreanlässe oder gar Tangotakte sind. Ihre Pito, so heisst die einheimische Flöte hat, nur 8 Töne, genau wie die irische Pipe. Sie bringt aber erstaunlich vielfältigere Melodien hervor , man höre mal The Road to Kilkenny zum Vergleich. Die Einheimischen sind stille genossen. Sie führen ein hartes Leben in der kargen Wirtschaftswelt. Sie sind Fischer und Schäfer und romantisieren nicht das Meer, so wie es Rio Reiser in dem Lied „Übers Meer“ singt.Ruperto besingt in seinen Songs das stille Meer, Mar de las Calmas,die Erde, das Licht, die Frauen und die Freunde. Mehrere Texte gehen über die Bäume, die Pino Verde, den Wasserspenderbaum, über den Sabina, das Wahrzeichen von El Hierro. In seinen sehr langen Balladen ähnlichen Liedern singt er über die Verzweifelten, die Migrationsbewegungen über Familienbanden, und hebt immer wieder die Mutter hervor,“Madre del Herreño“ heisst mein Lieblingslied. Als ich ihn bat mir drei Texte von den Songs zu geben, die mir am besten gefallen, lacht er und sagt, das ist alles nur in meinem Kopf. Er kann auch keine Noten, er spielt alles aus dem Kopf. Diese einfachen Melodien haben einen gewinnenden Ausdruck von musikalischer Schönheit- Oder wie Joachim Ernst Berendt es besser sagt: Wenn Formen uns vertraut werde, brechen kulturelle Barrieren ein.

  • Hello, Macie!

    It is easy to get lost in the music of „When The Distance Is Blue“, cause, amongst other reasons, it kinds to rejects labeling, Brian Eno calls music like this „where am i“-music. Possibly you know some of the the albums  Mr. Eno had brought on the way as an executive producer and artistic director  in the mid-seventies.The series was called „Obscure Records“ and tried to make bold connections between experimental, new classical and the contemporary pop culture. Like Gavin Bryars“ The Sinking of the Titanic / Jesus Blood Never Failew Me Yet, Brian Eno‘s Discreet Music, the wonderful first album of The Penguin Cafe Orchestra… Your album – though much more great sounding than those old treasures, would have fit brilliantly into Obscure Records, because it serves, too,  as an invitation be seduced by strange atmospheres… What was the overall vision for this album (from start on or in retrospect)? Can it be perceived as an aural equivalent of Rebecca Solnit’s „A Field Guide To Getting Lost“, that book of essays (in a freewheelin‘ sense)? Best wishes, Michael!