In Kristiansand vor 10 Jahren


Vom 5. bis 7. September 2024 findet das Punktfestival in Kristiansand statt. Zum 20. Mal. Ich werde da sein. Vor ziemlich genau 10 Jahren schrieb ich, nach dem Ende der 10. Ausgabe dieser Veranstaltung, folgende Tagebuchnotiz.

Ich stand ziemlich früh auf und ging duschen. Auf Endlosschleife liess ich einen Song von The The laufen, „This Is The Day“ (kleiner Affirmationstrick). Ich duschte lange, und liess am Ende den Wasserstrahl eine Minute eiskalt sein Werk verrichten. Ich frühstückte mit Christoph Giese und Jan Bang, und wie immer, wenn wir drei zusammensitzen, gibt es gute Gespräche und viel zu lachen. Danach ein gutes, etwas ernsteres, Gespräch mit Henning.

Um 11 Uhr begann der Soundcheck für meine „Electronic Griot“-Performance damit, dass Tony Valbergs Tischlampe von 1953 einen Wackelkontakt hatte. Er besorgte eine Ersatzbirne. Der CD-Spieler mit den acht vorbereiteten Tracks spielte die Musik nicht ab, es musste ein Ersatzgerät herbeigeschafft werden. Ich wurde etwas nervös, aber schliesslich war alles geregelt, der Raum angenehm verdunkelt, wie nachts im Deutschlandfunk. In der Lounge sassen Fiona Talkington und Laurie Anderson, die ich begrüsste und an unsere zwei Begegnungen in den Neunzigern erinnerte. Sie freue sich auf meinen Vortrag, sagte sie, ich hatte sie im Vorfeld dazu eingeladen.

Mich überkam eine angenehme Ruhe, kein Anflug von Lampenfieber, ausser der latenten Furcht, Tonys Lampe aus dem letzten Jahrhundert würde mal zwischendurch den Blick auf meine Papiere verdunkeln, aber es gab ja eine zweite Glühbirne. Um 11.45 Uhr startete auf dem Schallplattenspieler das Ensemble Economique, und der Saal füllte sich. Um 12 Uhr ging ich zu meinem iPad in einer hinteren Ecke des Raums (mit dem tragbaren Mikrofon war ich mobil) und legte los, las die letzten zwei Abschnitte einer Short Story von Richard Brautigan. „I had never seen anybody set fire to a radio before.“ Und das Ende mit den brennenden Liedern.

Ich ging zu meinem gemütlichen Sitzplatz, der Raum war gut gefüllt. Ich war konzentriert und entspannt, einige meiner Geschichten verströmten einen Hauch von Melancholie, wie der Anblick von Herbstblumen, die ihre Köpfe hängen lassen. Die Zeit verging wie im Flug, die Zuhörer waren aufmerksam, lachten manchmal, und ich bekam einen herzlichen Applaus. Ich beantwortete noch ein paar Fragen. Wildfremde Menschen und einige gute Bekannte bedankten sich für meine Show. Beim Hinausgehen kam ein junger Mann zu mir, der mir verriet, er habe an zwei Stellen Tränen in den Augen gehabt. Eine Frau fragte mich, ob meine Nachtsendung in Köln genauso ablaufen würde, und ich sagte, ja, genau in der Art, ich würde nur das Wort „fuck“ weglassen. Laurie Anderson sah mich, kam zu mir und sagte, mein Vortrag habe ihr sehr gefallen. Und noch zwei schöne Sätze. Ich brachte meine Tinträger aufs Zimmer und kehrte in den Seminarraum zurück, wo Jana Winderen, eine Soundforscherin aus Oslo, die sich gern in der Nähe von Eisbergen rumtreibt, und Mike Harding vom englischen Label Touch ihren Vortrag hielten.

Danach betrat Laurie Anderson das Podium, und erzählte von dem Film über ihren erblindeten Hund, und wie er mit seinen Pfoten auf den Tasten eines Pianos zu einer besonderen „Hundemusik“ beitrug. Laurie versteckte sich nicht hinter ihren Geschichten, und erzählte sehr persönliche Dinge. Mit der Technik gab es einige Probleme, und auch sie hatte plötzlich, wie ich zuvor, eine hölzerne Stuhllehne in der Hand. Bei ihrer letzten Story war das Ende, mit ihrer unnachahmlichen Stimmmodulation, so sinnlich wie bitter, unvergesslich. Später ging ich mit Mike Harding und Jana Winderen zu Mother India. Irgendwann fiel ich totmüde ins Bett und träumte von den Beatles in Mono!

2 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    On Amelia, Laurie Anderson’s forthcoming album, she tells the story of Earhart’s life as she makes her fateful attempt, in 1937, to circumnavigate the world in a Lockheed Model 10-E Electra plane. It’s a riveting tale anyway, straight out of an Indiana Jones movie, but Anderson – who was first commissioned to work on this back in 2000 and has performed versions of it, on and off, since then – puts herself in Earhart’s position, right in the cockpit, so that we experience the journey as a daily diary inspired by Earhart’s own pilot entries. With Anderson at the controls, imagining what it’s like to fly, it flows as if in a dream state – part biography, part hallucinatory audiobook.

  • flowworker

    Pacific Radio Fire | Richard Brautigan

    The largest ocean in the world starts or ends at Monterey, California. It depends on what language you are speaking. My friend’s wife had just left him. She walked right out the door and didn’t even say good-bye. We went and got two fifths of port and headed for the Pacific.

    It’s an old song that’s been played on all the jukeboxes in America. The song has been around so long that it’s been recorded on the very dust of America and it has settled on everything and changed chairs and cars and toys and lamps and windows into billions of phonographs to play that song back into the ear of our broken heart.

    We sat down on a small corner-like beach surrounded by big granite rocks and the hugeness of the Pacific Ocean with all its vocabularies.

    We were listening to rock and roll on his transistor radio and somberly drinking port. We were both in despair. I didn’t know what he was going to do with the rest of his life either.

    I took another sip of port. The Beach Boys were singing a song about California girls on the radio. They liked them.

    His eyes were wet wounded rugs.

    Like some kind of strange vacuum cleaner I tried to console him. I recited the same old litanies that you say to people when you try to help their broken hearts, but words can’t help at all.

    It’s just the sound of another human voice that makes the only difference. There’s nothing you’re ever going to say that’s going to make anybody happy when they’re feeling shitty about losing somebody that they love.

    Finally he set fire to the radio. He piled some paper around it. He struck a match to the paper. We sat there watching it. I had never seen anybody set fire to a radio before.

    As the radio gently burned away, the flames began to affect the songs that we were listening to. A record that was #1 on the Top-40 suddenly dropped to #13 inside of itself. A song that was #9 became #27 in the middle of a chorus about loving somebody. They tumbled in popularity like broken birds. Then it was too late for all of them.

    ~
    From Revenge of the Lawn: Stories 1962-1970

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