Ein Meisterwerk von Jonathan Glazer (1/3)


„Ein Wort der Warnung. Es gibt Filme – und davon gibt es viele -, die beim ersten Anschauen beeindrucken, die aber in dem Moment, in dem man das Kino verlässt, wie eine Handvoll Sand versickern. Dann gibt es andere, weitaus weniger, die beim ersten Sehen wie ein Blitz einschlagen und bei Ihnen bleiben, sich in Ihre Psyche einnarben und Ihr Kinoparadigma subtil, aber dauerhaft um die eigene Achse drehen. Jonathan Glazers meisterhafter und abschreckender The Zone of Interest gehört für mich zur zweiten Gruppe. Ich verließ den Film erschüttert und betroffen; in den folgenden Monaten blieb er hartnäckig bei mir.“ (Wendy Ide, The Guardian)

Ich teile die Meinung von Wendy Ade über Jonathan Glazers Film „The Zone Of Interest“ – ein „long burner“, den man bei amazon prime kaufen kann, wenn man ihn im Kino verpasst hat. Fragte man mich nach solchen lang nachhallenden Filmerlebnissen, quer über die Jahrzehnte verstreut, fielen mir zuerst folgende ein, hin und her springend, und mit immenser „Affektladung“ (nicht immer würde der lang anhaltende Zauber von einst heute noch wirken): „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, „Amarcord“, „Die Mutter und die Hure“, „Paris, Texas“, „Celine und Julie fahren Boot“, „Absolute Giganten“, Donnie Darko“, „Blade Runner“, „Die 39 Stufen“, „Eine kurzer Film über die Liebe“, „Psycho“, „Jules und Jim“, „McCabe und Mrs. Miller“, „It Follows“, „Silverado“, „Tierra“, Diva“, „The Duke of Burgundy“, dieser Weihnachtsfilm mit James Stewart, „Blue Velvet“, „Der dünne Mann“, „The Big Sleep“, „Wer die Nachtigall stört“, undundund, und eben zuletzt „The Zone Of Interest“.

Ich empfehle, sich zwei ruhige Stunden einzurichten, wenn man sich das Anschauen zutraut, und die obige freundliche Warnung ernst nimmt. Bei der Oscarverliehung hielt Jonathang Glazer eine Rede, in der er unter anderem über den Angriff Israels auf Gaza sprach, die von jüdischer Seite für jede Menge Empörung, aber auch viel Zuspruch sorgte, nachzulesen im Wikipedia—Eintrag zu Jonathan Glazer. Ich teile seine Ansicht voll und ganz, auf jeden Fall zeigen die aktuellen „Wirkungstreffer“ und „Wirkungsgeschichten“ dieses Films (und um diesen Film herum), wie traurig brisant und aktuell dieser Film ist (die Markierungen einzelner Worte stammen von Wikipedia).

„Alle unsere [filmischen] Entscheidungen haben wir getroffen, um uns in der Gegenwart zum Nachdenken anzuregen, und nicht um zu sagen: »Seht, was sie damals getan haben«, sondern: »Seht, was wir heute tun.« Unser Film zeigt, wohin die Entmenschlichung in ihrer schlimmsten Form führt; sie hat unsere gesamte Vergangenheit und Gegenwart geprägt. Gerade jetzt stehen wir hier als Menschen, die es ablehnen, dass ihr Jüdischsein und der Holocaust von einer Besatzungsmacht gekapert wird, die so viele unschuldige Menschen in einen Konflikt gezogen hat. Ob die Opfer des 7. Oktober in Israel oder des andauernden Angriffs auf Gaza, alle Opfer dieser Entmenschlichung, wie können wir Widerstand leisten?

P.S. Weil mittlerweile so gut wie allen die Story des Films, das Thema, bekannt ist, wird Teil 2 eine Filmkritik in kurzen Absätzen und Sprüngen sein, und jeder, der will, kann sich, wenn er den Film gesehen hat, drauf einlassen, einen Abgleich mit eigenen Empfindungen anstellen, im besten Fall das eine oder andere Aha-Erlebnis haben, oder verwundert den Kopf schütteln. „Etwas besprechen“ also nicht, um den Schlaumeier zu mimen, sondern Ungefähres, Verschwommenes, Unklares auf den Punkt zu bringen, scharfzustellen, Scheinbar-Entferntes nah aneinander zu rücken. Und „etwas besprechen“ bedeutet auch, Ambivalenzen auszuhalten und sich nicht gleich in der Expertise zu verschanzen.

Teil 3 wird dann eine Art Kindheitsgeschichte sein, mehr short story als long story, und wohl auch eine fragmentierte Form annehmen, es geht da um ein paar Schatten aus der Nachkriegszeit. Alles im Vorübergehen notiert, flüchtig, wiederum ohne „grosse Töne“. Vielleicht auch nur ein Gedicht. A propos grosse Töne, kleine Töne. Die „Musik“ des Films stammt von Micachu aka Mica Levi. She wrote a score, most of which was ultimately cut as Glazer and Burn did not want to have the film sweetened or dramatized by it. The sound collages Levi wrote for the prologue and the epilogue remained, as did soundscapes created for the sequences involving the Polish girl. Aber damit bin ich schon mitten in Teil 2. Das hier ist ja nur das Vorgeplänkel.

Ein Kommentar

  • Olaf Westfeld

    Ich habe den Film vor knapp 2 Monaten – das kommt mir wie eine Unendlichkeit her vor, manchmal ist meine Wahrnehmung von Zeit komisch – mit ungefähr 20-25 Schüler*innen gesehen, aus den Klassen 11 und 12, die Jugendlichen sind in ihrer Freizeit mit mir da rein gegangen. Kollegen hatten mich tatsächlich gewarnt, das sei für die Jüngeren zu harter Tobak.
    Na ja, war es nicht. Jugendliche sind mehr gewohnt als mittelalte Waldorflehrer. Aber im Kino – wir stellten die Hälfte des Publikums – war es ziemlich still und hochkonzentriert. Alle waren danach ziemlich geplättet – alle, bis auf drei Mädchen. Denen war der Film zu wenig heftig, das war jedenfalls anschließend ihr Statement im Foyer. Sie hätten sich mehr Abschreckung gewünscht. Am nächsten morgen im Unterricht hat eine der drei das dann relativiert. Der Film sei doch ziemlich heftig gewesen, er habe eigentlich gar nicht aufgehört, sie müsse da immer noch dran denken. Im Grunde genau das, was die Rezensentin von Guardian beschrieben hat.

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