Vorstehende Bühnenkraft

Diese „vorstehende Bühnenkraft“ war ein gewisser John Lennon, eingestellt als „musician“ von einer „Manfred Weissleder KG“ in Hamburg-Altona. Später erfahren wir anhand des Bon-Buches, dass jener John gern mal einen Weinbrand zu sich nahm, während sein Mitstreiter Paul McCartney Fanta bevorzugte.

Es ist klar, hier geht es um den „Star-Club“. Es geht um die Frühzeit der Beatles in Hamburgs Rotlichtbezirk St. Pauli, wo sie, wie John zu sagen pflegte, „erwachsen geworden sind“.

Zunächst aber verrät das Buch des Musikjournalisten und Beatles-Kenners Nicola Bardola und dem langjährigen Betreiber des Rockmuseums im Münchner Olympiaturm, Herbert Hauke, wie sie in den Besitz zweier abgegriffener Leitz-Ordner gekommen sind: Ein anonym bleiben wollender Spender vertraute sie Hauke wie in einem Spionageroman nach vorsichtigen Vorgesprächen bei einem Treff an einer Autobahnraststätte an. Hauke wurde allerdings erst wirklich wach, als er beim oberflächlichen Durchblättern das Logo des Hamburger Star-Clubs entdeckte. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Die Ordner enthielten unglaubliche Schätzchen, von Taxiquittungen bis zu Künstlerverträgen, von hingekritzelten Notizzetteln bis zu Briefen an die „Bravo“-Redaktion. Horst Fascher, damals sogenannter „Booker“ und „Manager“ im Star-Club, dem Hauke die Ordner vorlegte, sagte dazu nur: „Steck das mal wieder weg, Junge. Das ist sehr, sehr viel Geld wert.“

Recht hat er. Und weil dieses gesammelte Material wirklich einmalig ist, gibt es das jetzt als großformatiges Buch. Und es sind nicht nur die Namen, die hier auftauchen, es ist die Perspektive, die den Reiz ausmacht. Natürlich weiß man es im Hinterkopf, aber hier kann man Seite für Seite konkret sehen, wie eine Legende wie der Star-Club hinter den Kulissen funktionierte. Auf der einen Seite steht das oft entfesselte Publikum, auf der anderen Seite existiert für jeden Doppelkorn ein handgeschriebener Buchungsbeleg zuzüglich 10% Bedienungszuschlag und inklusive Steueranteil. Die Weinkarte zeigt Liebfrauenmilch und Kröver Nacktarsch (was sonst), und ich habe sie sofort wiedererkannt, die schmalen Schreibblöcke mit der „Niebuhr“-Reklame, auf denen die Kellner die Bestellungen aufnahmen — ich hatte als Kind wohl ein halbes Dutzend dieser Dinger, die vermutlich mein Vater mal aus seiner Stammkneipe mitgebracht hatte. Mit Stempel und Unterschrift wurden die Taxiquittungen für den Transport der englischen Musiker zum Check durch die Fremdenpolizei (ja, die gab es damals noch) ebenso wie die ausgezahlten Gagen abgerechnet — Bill Haley dürfte mit 17.000 Mark der Rekordhalter sein. Und er trat nicht allein auf: Nicht weniger als elf weitere Bands spielten an dem Abend.

Star-Club-Boss Manfred Weissleder war äußerst gewissenhaft, was die Buchführung anging, die Gagen, die er zahlte, waren meist fair, er wusste aber auch genau, wo Geld zu holen war. Die Kellner waren „angehalten, auf den Pfennig abzurechnen“ und „sofort zu kassieren“, der Hausfotograf Günter Zint hatte 60 Mark im Monat zu zahlen, weil er einen der Schaukästen im Eingangsbereich nutzte, um seine Fotos zum Kauf anzubieten, und selbst die Toiletten waren vermietet; Frau Andresen hatte dafür 650 Mark im Monat hinzublättern. Und als die Beatles auf dem Hamburger Fischmarkt aus Jux ein lebendiges Schwein gekauft hatten, das sie durch die Straßen St. Paulis jagten, musste schlussendlich Horst Fascher sie vom Polizeirevier abholen — die 750 Mark Strafe zog ihnen Weissleder von der Gage ab. Hätte man dies alles damals schon elektronisch gemacht, wir würden heute nichts mehr davon wissen.

Wir erfahren auch, was vorher war: Bilder aus dem Liverpooler Cavern Club sind dabei, die Geschichten Pete Bests und Stu Sutcliffs, und nach der Star-Club-Ära geht es weiter bis zur Ordensverleihung durch die Queen. Auch die Fotografin Astrid Kirchherr wird nicht vergessen. Was wir nicht erfahren, ist das nicht so ganz erfreuliche weitere Schicksal Manfred Weissleders, der hier irgendwie verschwindet. Er wurde nur 52. Aber gut, dies ist kein Buch speziell über den Star-Club, sondern über die Beatles. Es ist ein rundum pures Lesevergnügen; auch hält sich der Text angenehm zurück von allzu nostalgischer Anekdotenhaftigkeit. Einziger kleiner Haken: Etliche der gezeigten Faksimiles sind so weit verkleinert, dass man im Grunde eine Lupe braucht, um sie noch lesen zu können, aber die Fülle des präsentierten Materials lässt keine andere Lösung zu.

Nicola Bardola & Herbert Hauke:
Vom Bambi-Kino in den Buckingham-Palast
Unveröffentlichtes, Raritäten und Stories aus der frühen Beatles-Ära
Verlag Andreas Reiffer, ISBN 978-3-910335-60-8
240 Seiten, 40 Euro

4 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Was für eine tolle Ostermorgenlektüre! Du warst aber noch zu jung, um wenigstens mal en passant den Beatles zu begegegnen, oder!?

    Ich las vor einiger Zeit das hervorragende Buch: 1,2,3,4…Die fabelhafte Welt der Beatles… in meiner Manafonistas Besprechung heisst es, u.a.:

    „Craig Brown hat ein trickreiches Verfahren entwickelt, uns die Geschichte der Beatles „very fresh“ zu erzählen: bei allen eingestreuten Zeitsprüngen, die wie so vieles andere, zur Auflockerung beitragen, folgt er der Chronologie der Ereignisse, wobei das Marginale (ein weiterer Trick der Auflockerung) genauso fesselnd hinzugezogen wird wie legendäre Schlüsselmomente (für die er auch manch neuen Dreh findet).

    Zudem ist hier ein Humorist am Werk, der es versteht, statt schwärmerisch eine Nummernrevue abzureissen, unter mancher Oberfläche des Schelmischen den einen und anderen Abgrund freizulegen.

    In des Ausdrucks freiester Auslegung, erzählt der gute Craig „mit vielen Zungen“, so gewitzt, oder, wie es die Engländer gerne sagen, „sophisticated“, dass es die Lust an der Lektüre nicht im geringsten mindert, wenn einem manches bekannt vorkommt – so unverbraucht ist dieses „story-telling“!

    Das Buch geht allen Fallen des Erinnerungsseligen aus dem Weg. Nicht mit Nüchternheit, sondern mit trockenem Humor. Beiläufigkeit. Nonchalance.“

    Soweit das remixte Selbstzitat. Und natürlich ist da auch die Hamburger Zeit eingefangen…zwei tolle Bücher also!!! Wir hatten die Stones, jetzt die Beatles, bald kommen bestimmt die Kinks🤣

    Bleibt nur die Frage, Jan: was passierte denn mit Manfred Weissleder?

  • Jan Reetze

    Den Beatles bin ich leider nie begegnet, dafür bin ich tatsächlich zu jung. Obwohl ich im Nachbarstadtteil lebte, habe ich St. Pauli erst ab etwa 1975 entdeckt, aber da war es bereits nur noch ein Touristenbums, als Hamburger ging man dort nicht mehr hin. Mit Günter Zint hatte ich mal Kontakt, ansonsten kenne ich vom Star-Club nur die ausgebrannte Ruine. Heute steht an der Stelle ein trostloses, rotgestrichenes Stundenhotel mit einer Bar im Erdgeschoss, die — glaube ich — Olivia Jones gehört, und im Paradieshof ist heute eine Karaokebar.

    Mit nur 32 gehörte Manfred Weissleder nach eigener Aussage „so ziemlich die linke Seite der Großen Freiheit“ und er galt als „König von St. Pauli“. Heute ist ja die Freie und Hansestadt wahnsinnig stolz darauf, einst den Star-Club beherbergt zu haben, damals aber hat man in typisch hanseatischer Manier ab spätestens 1964 versucht, ihn mit allen möglichen Hintertreppentricks aus dem Geschäft zu boxen. 1966 ist das dann mit einem Steuervorwurf und angeblichen Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz gelungen. Ihm wurde die Lizenz entzogen, er musste den Star-Club in andere Hände geben, und es kostete ihn zwei Jahre, die Konzession zurückzugewinnen. Aber nach zwei Jahren ist man auf St. Pauli raus aus dem Geschäft. Weissleder ist nicht verhungert, aber er verlor im Laufe der Zeit auch seine anderen Läden, bekam zunehmend Alkohol- und Tablettenprobleme und vereinsamte immer mehr. Zeitweilig konnte er seine Kontakte zu Bands und Agenturen noch für Radio Bremens “Beat-Club” nutzen, aber irgendwann wurde er dort auch nicht mehr gebraucht. Schließlich verschwand auch noch seine (dritte) Ehefrau mit dem Geld, das er fürs Alter zurückgelegt hatte. Er ist mit nur 52 Jahren gestorben. Der Mann war mit Sicherheit nicht unproblematisch, aber irgendwie hätte ich ihm doch ein besseres Ende gewünscht. — Ich habe das alles mal für den „Sound der Jahre“ recherchiert, dort hat der Star-Club ein eigenes Kapitel.

  • Dr.Axel Kern

    Bin schon sehr gespannt auf die
    Lesung nächste Woche in der
    Pasinger Fabrik.
    Ich hatte das Glück noch den Starclub
    persönlich zu besuchen.
    Auch Günter Zint durfte ich mehrmals
    treffen und mich mit ihm unterhalten.
    Befreundet bin ich auch mit einem
    ehemaligen Besitzer des Starclubs,
    Herbert Hildebrandt von den
    Rattles,mit dem ich schon sehr
    viele Stunden verbracht habe mit
    Gesprächen über den Starclub und
    Konzerten der damaligen Zeit.

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