Rock around the clock

Ich glaube an Nächte

Rainer Maria Rilke

Es gibt wenige Orte weltweit, die rund um die Uhr geöffnet sind.

Was waren das für cineastische Realitätsgänge ins „Seinfeld“, um Tom‘s Dinner zu bestellen, um dann eher schlecht gelaunt das konzeptionelle Schnitzel mit dem armen Nachbargast zu teilen. In New York hält man alles aus, weil die Nächte groß sind. Unvergesslich mein Kauf nach Mitternacht in einem Videoshop : Die 13 Filmcassettenbox von Edgar Reitz HEIMAT. Klar, Berlin schlief auch nie. Wir tingelten von Bowie‘s Nachbarcafé DAS ANDERE UFER hinüber nach Kreuzberg in die DESTILLE und vertrieben uns die Nacht, bis der Osten über dem Fernsehturm am Alex rot wurde. Wir waren im Geiste alle Geschwister und packten die Badehose ein und dann „nischt wie raus nach Wannsee.“

In meinen gegenwärtigen Gefilden gibt es einen Ort, den ich liebe. Das TEA auf Teneriffa. Dort gibt es eine Bibliothek, die Tag und Nacht geöffnet hat. Ein grandioser Spot für alle „nightowls“. Das Gebäude ist umwerfend geometrisch konzipiert, von den Schweizer Stararchitekten Meuron & Herzog. Die Bibliothek liegt etwas unterhalb einer Brücke und ist vollkommen transparent, also einsehbar. Sie ist auch nächtens gut besucht. Books never sleep. Mein liebenswerter Bibliothekar ist queer. Letztens saß er im lindgrünen Tüllpettycoat und hellbeigem Top hinter seinem Laptop und zwinkerte mir zu. Ich war wieder einmal überfällig mit der Rückgabe der CDs. Ich hatte mir von Neil Young Harvest , von der Steve Miller Band Fly like an eagle und von Keith Jarrett und Jan Gabarek Sleeper ausgeliehen. Ich nehme mir vor, dem wunderbaren Bibliothekar bei meinem nächsten Besuch eine Tüte buntester Marshmellows mitzubringen oder Vanilla Fudge.

Ein wirklich great place to spend the night together ist Stornoway auf den äußeren Hebriden. Besonders im Sommer, wenn das HebCelt Festival dort stattfindet. Vor einigen Jahren trat dort Van Morrison auf und yeah, he sang it! Mein Lieblingssong BROWN-EYED GIRL. …making love in the green grass behind the stadium… Danach trat Dougie Mac Lean auf und wer kennt es nicht …Caledonia you‘re calling me… Nach den Konzerten geht es zum Jammen und Whiskey trinken in die Bars, wo die Abwesenheit von Zeit keine Rolle spielt. Es herrscht ein seliger Musiktaumel, wie ich ihn nur dort erlebt habe. Dè an Gaol beatha… Was für eine Lebenslust.

6 Kommentare

  • Michael

    Jetzt gibt’s noch einen guten Grund, mal nach Teneriffa zu reisen. Jede kanarische Insel braucht kulturelle hot spots, und auf Lanzarote waren das für mich, neben den Klassikern, und dem Kreisverkehr, wo Pedro Almodovar es crashen liess, vor allem die Höhlenräume und -gänge von Jameos del Agua und Cuevos de los verdes. Dort erlebte ich Eberhard Weber und David Darling solo, der Milchkaffee im Bistro im ersten Höhlenraum sowieso unvergesslich, weil fast tagtäglich (als Höhlenbewohner). Und jeden Tag lief dort „Music For Airports“.

    Und immer diese „Synchros“, die gab es schon vor Tagen, als ich mit Brian Whistler mailte. Mein Kürzel für das leicht aufgeblasen klingende Wort „Synchronizitäten“. Meine Synchro also, als ich deinen Text las, dass hier gerade… with volume full on… Jan Garbareks Album Afric Pepperbird erschallte… in my electric cave… und zwar der erste Track von Seite 2… namens BLOW AWAY ZONE (übrigens auch ein ziemlich guter Blogtitel😉)…

    (Wer sich für die „reissue“ dieser ECM Platte in der Vinylserie „Luminessence“ inzeressiert, mehr dazu in der Kolumne seitlich, unter ARCHIVE. Der Sound ist überragend.)

  • flowworker

    Ich gehe gleich in den Film über Bob Marley: One Love. 13 Uhr Apollo. Und morgen in The Holdovers.

    Meine Aachener Kinotage. An zwei Tagen ins Kino, das hatte ich lange nicht mehr. Wenn du mal wieder auf Teneriffa bist, da laufen diese Filme sicher auch schon…

    Michael

  • Martina Weber

    Eine Bibliothek, die 24 Stunden geöffnet hat, wäre für mich ein magischer Ort, den ich sehr oft aufsuchen würde. Die Bilder des TEA auf Teneriffa transportieren eine wunderbare Atmosphäre. Die Schreibtische mit ihren Lampen, das Licht. Ich war schon sehr glücklich, als die Deutsche Nationalbibliothek vor einigen Jahren ihre Öffnungszeiten erweitert hat und nun wochentags bis 22 Uhr geöffnet hat. Während die Bibliotheksangestellten ab Viertel vor zehn schon mit schwer gewordenen Lidern kämpfen und die Securityleute die Scanner viel zu früh ausschalten, als ob ihre Arbeitszeit dann früher enden würde, bin ich topfit und wünschte immer, ich könnte länger bleiben.

    In amerikanischen Comics finden sich oft Cafés, Restaurants oder auch Buchhandlungen, die 24/7 offen sind, zum Beispiel in Sammlung des ungeschliffenen Frühwerks von Adrian Tomine: Optic Nerve. Vor fast vier Jahren schrieb ich auf unserem alten Blog, manafonistas, darüber, hier der Link:
    https://www.manafonistas.de/2020/04/28/der-spirit-des-ungeschliffenen/

    Orte, die 24 Stunden geöffnet sind, haben eine ganz besondere Atmosphäre. Es ist die Zeit, die dort verändert ist. In Darmstadt gibt es in der Kasinostraße ein türkisches Restaurant, der NAZAR, das 24 Stunden offen hat, jedenfalls war das vor Jahren so, als ich noch mein Dienstagsseminar leitete und wir nach Seminarende, ein schon herausgezögertes Ende, weil wir meist länger diskutierten, noch zum Nazar gingen, und dort gegen 23 Uhr gemeinsam aßen, aufputschenden Schwarztee tranken und uns erst nach ein Uhr voneinander verabschiedeten und uns auf dem Heimweg machten.

  • Lajla Nizinski

    Thank you Martina. That s the point “ magic places“. The cave on Lanzarote is another one. It would be nice to read about other magic places from the flowworkers here.

  • Olaf Westfeld

    Ja – magischer Text – diese Bibliothek würde ich jetzt auch gerne mal im echten Leben besuchen. Bestimmt mindestens fast so schön wie die Oodi in Helsinki.

  • Olaf Westfeld

    In der Destille in Kreuzberg war ich auch mehr als einmal. Leckeren Haselnuss Schnaps gibt es da.

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