Licht aus, Licht an

Beth Gibbons glänzt als Vokalistin, die auf jede Art von Glamour und Virtuosität verzichtet. Ihr Gesang klingt nie leicht und wendig. Oft werden die Stimmbänder forciert und strapaziert, so dass die brüchigen Melodien gerade noch hörbar bleiben über dem Kratzen des Kummers – ähnlich wie die schrillen Flageoletts der Geige, die die Metallsaiten in den höchsten Lagen freigeben. Aber Beth Gibbons’ prekäres Singen nimmt sich aus wie ein akustisches Stigma, das die Dringlichkeit ihrer Musik und ihrer Botschaften beglaubigt.

Und stets verzichtet sie auf das Rampenlicht. Ihr zurückhaltendes, schemenhaftes Auftreten erinnert bisweilen an eine Nonne, manchmal gar an einen Zombie. Mit gekrümmten Schultern, von Schatten umfangen, steht sie vor dem Mikrofon, an das sich ihre gefalteten Hände klammern. Die Strähnen fallen ihr so tief ins Gesicht, dass ihre Mimik verborgen bleibt. Nur selten scheint ihr ein Luftzug ein paar Lichtstrahlen ins Gesicht zu wehen, was ihr einen umso gespenstischeren Ausdruck verleiht.

Leidet Beth Gibbons tatsächlich?, mag man sich fragen. Ist die Frau, die während des Konzerts kein Wort ans Publikum verliert, tatsächlich depressiv und verzweifelt? Wenn das Publikum zuletzt aber begeistert applaudiert und das Licht angeht im Saal, verwandelt sich die 59-jährige Künstlerin in eine zufrieden lächelnde Frau, die zwar Bescheidenheit ausstrahlt, aber auch viel Selbstbewusstsein und Gelassenheit.

(aus einem Text über Beth Gibbons‘ Züricher Konzert)

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