Michael Franks Erinnerungen an drei frühe Kraftwerkkonzerte
1971, wenige Monate vor meinem 14. Geburtstag, habe ich im Audimax der Freiburger Universität während der Sommerferien mein allererstes Rock-Konzert besucht – in Obhut des knapp zwanzigjährigen Sohnes einer befreundeten Familie. Auch das werde ich ihm nie vergessen. Leider lebt er schon lange nicht mehr.
Die Wörter „Rock-Konzert“ und „Kraftwerk“ passen vermutlich in der heutigen Wahrnehmung der Band nicht mehr zusammen, aber 1971 war das, was Kraftwerk live ablieferten, ganz eindeutig Rockmusik. Und das lag nicht zuletzt an Drummer Klaus Dinger. Die Band trat damals als Trio auf, Gründungsmitglied Ralf Hütter war gerade mal nicht dabei, aber immerhin noch Florian Schneider-Esleben. Und Michael Rother spielte auf seiner Gibson Les Paul mitunter Riffs, die problemlos in Jam-Sessions diverser Rockbands passen würden. Aufgrund der ungewöhnlichen Klangfarben, die bei Kraftwerk 1971 zu hören waren, wurde daraus natürlich Rock der experimentelleren Sorte.
Ich nehme an, dass sich die meisten noch an „das erste Mal“ der Begegnung mit Rockmusik in voller Konzertlautstärke erinnern können – das Erlebnis, bestimmte Frequenzen nicht nur über die Ohren sondern im Körper wahrzunehmen, vor allem tiefe Töne direkt im Brustbein und oder Magen zu spüren, war für mich gleichzeitig leicht beunruhigend und euphorisierend. Letzteres Gefühl gewann im Sommer 1971 aber schnell die Oberhand.
Kraftwerk spielten vor allem Stücke von ihrer ersten LP, „Ruckzuck“ gab’s sogar zweimal. Beim Versuch, das Konzerterlebnis anhand der Debüt-LP zu wiederholen, fand ich die Studioversionen von „Stratovarius“ und „Vom Himmel hoch“ ein bisschen verhalten. Mir kam es so vor, als ob die Groove-Passagen der Nummern im Konzert länger und heftiger ausgekostet wurden. Trotzdem hörte ich mir die Platte oft und gern an. 1971 war das Trio auch in der TV-Sendung „Beat-Club“ von Radio Bremen mit einer Nummer zu sehen, allerdings im Vergleich zum Konzerterlebnis auch eher schaumgebremst. Näher an dem Live-Sound, den ich 1971 in Freiburg hörte, ist ein Mitschnitt von Radio Bremen aus dem Gondel-Kino vom 25.6.71. Er kursiert seit mehreren Jahren in LP und CD-Form und auf youtube.
Knapp zwei Jahre später, im Mai 1973, habe ich ein Konzert von Hütter und Schneider-Esleben im damaligen Kunstverein am Kölner Neumarkt besucht. Sie spielten in einem kleinen Raum, der wie ein mittelgroßes Büro- oder Ausstellungszimmer wirkte. Sie firmierten damals, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, als „Ralf und Florian“. Das war ein gutes halbes Jahr bevor die gleichnamige LP erschien. Ob ihre Single „Kohoutek-Kometenmelodie“ schon erschienen war, konnte ich bisher nicht herausfinden.
In den kurzen Notizen, die ich mir damals zu dem Konzert gemacht habe, steht, dass sich ihre Musik zu deutlich ruhigeren und entspannteren Stücken hin entwickelt hatte. Heute würde ich das wohl als eine leicht zugängliche Art von Minimal Music bezeichnen. In Erinnerung blieb mir auch, dass Florian Schneider-Esleben vor dem Konzert mit seinem Campingstuhl rückwärts umkippte. Eine unbeabsichtigte Slapstick-Einlage, die er ohne Blessuren überstand.
Am 22. März 1975, einem Samstag, traten Kraftwerk in der Sendereihe „Nachtmusik“ im großen Sendesaal des WDR in Köln auf. Das war knapp ein halbes Jahr nach Veröffentlichung ihrer LP „Autobahn“. Karten gab’s umsonst, wenn man sich rechtzeitig drum kümmerte. Moderiert wurde der Abend von Winfried Trenkler, dessen Sendungen „Pro Pop Music Shop“ oder „Rock In“ ich und viele andere eine Menge musikalische Anregungen verdanken.
Kraftwerk traten an dem Abend zu viert auf, neben Hütter und Schneider-Esleben waren Karl Bartos und Wolfgang Flühr auf der Bühne. Flühr und Bartos trommelten mit ihren Drum-Sticks auf kleinen Pads und triggerten so elektronische Perkussionklänge. Hatte ich vorher noch nicht gesehen/gehört. Mit Kraftwerk anno 1970/71hatte das natürlich nichts mehr zu tun, weder optisch noch klanglich. Der Schwenk zu schlichten Spieluhr-Melodien und Akkordfolgen war endgültig vollzogen worden. In der damaligen Zeit von Progrock- und Hardrock-Mainstream hatte das einen ganz eigenen Charme. Die Band spielte an diesem Abend Stücke von allen bis dahin erschienenen LPs:
„Kling-Klang“, „Tanzmusik“, „Kohoutek-Kometenmelodie“,„Ruckzuck“, „Autobahn“ und nach Sendeschluss um 24 Uhr noch die Zugabe „Kristallo“. Zumindest „Kohoutek-Kometenmelodie“ ist von diesem Konzert auf youtube überliefert.
2 Kommentare
flowworker
When I found the two first Kraftwerk albums some years ago in a vinyl record store in Berlin two days ago, I immediately bought them. I wanted to get hold of these highly acclaimed works for a very long time, the one with the red pylon, the other with the green – ready to wait for the real thing, not updating my memory with youtube. Fact is I only heard them two or three times in my teenager days, and missed the copies when a very limited, officially blessed, number of vinyl reissues had been published in the 90’s.
Fact is, too, I only have a pale memory, and the guys from Kraftwerk didn’t care for these objects of desire very much. Kan Reetze writes about this, too, in his book. It was a delight to hear that both the test of my ears (and time😉).
Ich ärgere mich noch heute, dass ich, ungefähr 16-jährig, Kraftwerk im Westfalenpark verpasste. Dann hätte ich sie wenigstens einmal live gesehen. Oder fiel das Konzert kurzfristig aus? Distant and vague memories… ihr wart immer dabei – chapeau!
Michael (von einem alten Manafonistas Text, remixed)
Jan Reetze
Ich war mir schon lange nicht mehr sicher, wann ich Kraftwerk zum ersten Mal gesehen habe. Aber wenn der Auftritt mit Michael Rother und Klaus Dinger und ohne Ralf Hütter 1971 war, dann war das ein Doppelkonzert im Hamburger Audimax; als zweite Band spielte Cluster. Mein erster Kraftwerkbesuch muss dann 1972 gewesen sein. Der war in der Fabrik in Hamburg, es spielten Ralf Hütter, Florian Schneider und noch jemand, den ich nicht mehr erinnere. Es waren wohl so circa 50 oder 60 Leute da, die Band musste ihr Equipment noch selbst aufbauen.