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15 Talk Talk – Spirit Of Eden
Zwischen 10 – 15 erweitert sich mein Radius. Kommt vorher die Musik entweder durch meine Eltern, meine große Schwester oder das Radio in mein Kinderzimmer (bzw. durch den Fernseher ins Wohnzimmer), werden die Tore zur Welt immer größer, zahlreicher, die Möglichkeiten Musik zu hören auch. Aus dem Kinderzimmer ist ein größeres Jugendzimmer geworden, ein Auslandsaufenthalt meiner Schwester löst innerhalb des Hauses einen Raumtausch aus. Und der Radiorekorder wird durch eine gebrauchte Kompaktanlage von Schneider abgelöst.
In der mittelgroßen niedersächsischen Stadt gibt es allein in der Fußgängerzone 5 Läden (mit Namen wie Record Corner, Brinkmann, Montanus Aktuell oder Radio Deutsch), die mindestens eine große Abteilung für Schallplatten, Kassetten und die neuen, funkelnden CDs haben.
Dann gibt es da noch eine wunderbare Institution: die Musikbibliothek. Die ist in einem spätmittelalterlichen Gebäude mitten in der Stadt ansässig und hat zwei Besonderheiten. Zum einen den großen Saal (die Decken müssen mindestens 4 m hoch sein) mit Hörplätzen. Ich kann also im Katalog nachschauen, was ich hören will, der Bibliothekar (ein sehr freundlicher Mensch) sucht mir den Tonträger aus dem Archiv und macht ihn an. Ich bin an meinen zugewiesenen Platz, setze die Kopfhörer auf und tauche in die Musik ein. Etwas später gibt es dann dort die Möglichkeit, sich CDs auszuleihen. Es ist natürlich streng verboten, die dann auf eine Leerkassette aufzunehmen, aber daran hat sich auch damals niemand gehalten. Wobei ich mir einbilde, dass meine Eltern ziemlich streng gucken.
Mit 12 oder so beginne ich dann außerdem regelmäßig „Musik Express / Sounds“ zu lesen. Im ersten gekauften Heft ist „Gracelands“ von Paul Simon die Platte des Monats, die dann auch gleich gekauft wird – immer noch ein schönes Album mit einigen tollen Songs. Auch ansonsten ist mein Musikgeschmack nicht sonderlich ausgefallen: U2, Supertramp, Queen, Dire Straits, The Housemartins, David Bowie, Die Toten Hosen, Rolling Stones, Marius Müller-Westernhagen, The Cure, immer noch The Beatles und etwas später kommen dann The Doors oder Pink Floyd dazu. Schlussendlich spiele ich zwei, drei Jahre E-Bass und komme in Kontakt zu der Jazz Musik von Weather Report oder Chick Corea.
Eines Tages lese ich im „Musik Express / Sounds“ die Besprechung einer Platte des Monats: Spirit Of Eden von Talk Talk. Der Rezensent ist schwer begeistert, die Beschreibung der Musik klingt interessant, ungewöhnlich, das Cover sieht wunderschön aus. Und als ich am Freitag derselben Woche meine Runde in die Musikbibliothek mache, hat der freundliche Bibliothekar gerade die neuen Erwerbungen einsortiert, darunter eben die neue Talk Talk, die ich mitnehme, genau so wie „The Whole Story“, eine Greatest Hits Compilation von Kate Bush.
Nach dem ersten Hören habe ich Kopfschmerzen, so etwas habe ich noch nie gehört. Was ist das für Musik – ist es überhaupt Musik? Die CD läuft das ganze Wochenende, meine Familie ist genervt (‚kannst Du nicht wenigstens mal etwas anderes anmachen?). Für mich ist die Musik wie ein Rätsel, das ich ergründen möchte. Ich nehme sie auch auf Kassette auf, „The Whole Story“ kommt auf die Rückseite. An dem Wochenende ist in der Tageszeitung ein Gemälde von Dalí in schwarz-weiß abgedruckt, das ich ausschneide und als Cover benutze.
Und ich kaufe mir „Sketches Of Spain“ von Miles Davis als meine erste eigene CD überhaupt. Im Musik Express stand, dass das ein Lieblingsalbum von Mark Hollis sei.
Insgesamt läuft in der Zeit „Spirit Of Eden“ sicher nicht so oft wie „Damenwahl“ von den Toten Hosen. Aber ich habe seither das Talk Talk Album sehr viel häufiger gehört, es hat mich musikalisch geprägt, hat Türen in unterschiedliche Richtungen geöffnet – Jazz, Avantgarde, Psychedelia, Blues – und mich die Schönheit von Klängen gelehrt.