Neue Herumtreiber und ein dicker Hund – eine kleine Geschichte voller Seitensprünge zu den frühen Jahren des American Analog Set
„What a fucked-up city. Imagine how many people out there are fuckin‘ right now man, just goin‘ at it? (Slater, looking at the panoroma of Austin at night, in Dazed and Confused)
No, they certainly do not rock. One listen to The American Analog Set’s debut, The Fun of Watching Fireworks, released last year on Trance Syndicate/Emperor Jones confirms that loud and… well, not so loud — but clear. Like a whisper in a hushed room. And if you’ve ever seen the local quartet live, whether crammed into the corner at the Blue Flamingo, or under the neon lava glow of the Electric Lounge sign, hushed is the atmosphere you’ll find — where every beer bottle dropped into a garbage breaks the mood like a telephone call during sex. (Austin Chronicle, 1997)
Selbst damals in den Neunzigern waren die Republikaner, die Rednecks, ziemlich präsent in Austin, Texas. Lucinda Williams kannte dennoch ein paar nette Menschen dort. Wie dem auch sei, zu all den Orten, zu denen ich gerne via Zeitmaschine reisen würde, zählt, in milder Rückschau, neben London 1965, Santa Monica 1967, seit kurzem auch, Austin, Texas, 1996. So etwas passiert Musikjournalisten eigentlich nur, im puren Spiel der Fantasie, wenn sie in den Sog einer Kulturszene geraten wollen, die mal grosse Wellen geschlagen hat. Und glauben Sie mir: grosse Wellen hat vor der Jahrtausendwende in Austin gar nichts geschlagen. 1993 wurde dort Linklaters Coming-of-age-Streifen „Dazed and Confused“ gedreht, eine Zeitreise ins Jahr 1973, so beknackt, dass sie fast schon liebenswert rüberkommt. Aber ein Auslandsjahr dort in Austin, bei einem lokalen Radiosender, und ich hätte mich wahrscheinlich in Lisa Roschmann verliebt.
Und was hörte man so in der Independant-Szene, damals, in Austin? Stereolab waren gesagt, dann extraordinaire Band mit Baritonsaxofon, auch ein paar lokale Helden, und, die unangestrengtesten von allen, The American Analog Seit. Als zu Beginn dieses Jahres die Archivmeister der Numero Group auf fünf fabelhaft editierten und anzuschauenden Langspielplatten den Output der Analogen unter dem Titel „New Drifters“ veröffentlichte, war das Echo, wie zu erwarten, nicht riesig, aber voll des Lobes, in einschlägigen Magazinen und Blogs. Das beiliegende grossformatige Heft füttert uns mit Schwarzweissfotos aus den „salad days“ dieser jungen Band, in deren Musik ich ohne Anlauf versank, seltsam aufgehoben, aufgelöst.
Sie waren mir komplett entgangen, sonst hätten die playlists meiner Radiosendungen damals ein wenig anders ausgesehen. Immerhin hatte ich die samtweiche Nachtmusik von Morphine im Programm. Über die Seiten des tollen Beihefts verstreut, neben den Bildern, viele „lyrics“, durchweg handgeschrieben, manchmal unscharf, voller durchgestrichener Linien – perfekt in die Fotosammlung jener verschwundenen Jahre eingearbeitet. Zwei aus der Band waren ein Liebespaar, und es gab Gründe, dass Lisa ausstieg, die mit E-Piano, Flöte, Orgel, Stimme, zum Zauber einer Band nicht unwesentlich beigetragen hatte, der man Unrecht tut, wenn man sagt, sie würden alle, und das höre man auch, Galaxie 500 kennen und die Velvet Underground. Da war mehr im Spiel als irgendjemandes Urklang, und fremdes Fahrwasser.
Ab einem bestimmten Alter kommt es eher selten vor, dass man einen Narren frisst an einer Band, aber mir ist das hier passiert. Wie damals, 1980, als ich eine andere Gruppe mit einer verhuschten Mädchenstimme erstmals hörte, Young Marble Giants. Ich bin ziemlich sicher, Lisa liebt „Colossal Youth“. Ich möchte mich dem Ende dieser kleinen Abhandlung – und ein „dicker Hund“ kommt noch – nähern mit ein paar Zeilen aus „New Drifters“, ich versuche es mal mit reinem Zufall: „…the girls will get reports on the hour / from boys on the catwalk by the tower / don‘t fret (?) the kids down at the record shop …“ Das ist jetzt nichts, was den Atem stocken lässt, eine flimmernde Tagebuchnotiz. Das Unheimlich-Flüchtige ist auf diesen fünf Schallplatten stets präsent eingesponnen in Ohrwürmer, stillstehende Zeit, Klangexperimente der sanften Art, melancholisches Verschwinden (exquisit hypnotisch) – und ein paar ernsthafte Gedanken über das Mysterium der Freude an Feuerwerken.
TIME MACHINE….MARGINAL MEMORIES…. SPOKEN OUT BY ANDREW KENNY FROM AMERICAN ANALOG SET…. SPRING 2002…. „The word on the street is that Lisa was married recently. Funny that. I guess my invitation was lost in the mail… I’m not lamenting her marriage so much. It’s more a feeling that I missed a golden opportunity to be so drunk at her wedding. Slurring and stumbling through an uncomfortable toast. Being vaguely disrespectful, calling her father by his first name. Spilling cheap Merlot on the carpet at some country club I’ll never be invited back to. Having her brother and a host of faceless groomsmen toss me out of the reception. Sitting at home after, letting the sharp yet harmless click of an empty revolver being dry-fired into my midsection over and over lull me into a deep, troubled sleep. These opportunities only come calling a scant few times in life. Carpe diem and all that.“
(der Text wird weiter bearbeitet und ergänzt, und dann im November gepostet in unserer Rubrik „Poetry“ mit dem Ober- oder Untertitel „Poetry In Sound“.)
Ten years ago: Praia de la Costelejo
Die Praia de la Costelejo (so ähnlich heisst sie, im Moment steht mir nicht der Sinn nach Reiseführern) erklärte ich rasch zu meinem Lieblingsstrand. Mit der ausgebauten Strasse von Bispo leicht zu erreichen. Gestern schon zum zweiten Mal dagewesen, im Discman lief, zwischen zwei Gängen zu den Wellen (eine sehr kräftige Brandung!), „Cease To Matter“ von Burnt Friedman und Daniel Dodd-Ellis. Diese Musik unterläuft mit ihrer schrägen Beats die 4/4-Motorik von Techno, und es passieren bei Burnt Friedman sowieso überraschende Dinge: nichts zirkuliert so lange, dass man sich von einem Loop gefangen fühlt. „I’m wearing my coffin over my head, wrapped in linnen when I’m dead“: solche Zeilen geistern durch dieses spoken-word-Electronica-Album. Der Blick auf die Wellen, und diese Musik – Stoff zum Einssein mit dem Strand (nein, auf keinen Fall was fürs CT, Wolfram!).
Ich schaute mir die Bucht lange an. Vorgestern, gestern, heute. Es gibt drei „Wellenzonen“. Auf die erste triffst du schon früh, wenn du ins Wasser geht. Eine ungeschickte Bewegung, und du landest auf dem Sandboden. Nicht weit rechts und links von dir hockt unangehmes Felsgestein im Wasser, da hältst du dich besser fern. Dir gefällt die Zone zwischen der ersten und zweiten Wellendünung besonders gut. Da musst du mächtig hochspringen, wenn sich die Gischt bricht, sonst wirst du mit Wucht überspült, und rappelst dich wieder hoch. Du achtest darauf, nie tiefer als bis zur Hüft- oder Schulterhöhe im Meer zu sein. Die dritte Zone: faszinierend hoch, da siehst du nur Surfer. Als reiner Schwimmer ohne Flossen, ohne Brett: gute Nacht.
Ich wundere mich, wie wenig Menschen hier baden. Morgens um 11 ist es noch recht leer, Surfer, ein paar Sonnenanbeter, und ich bin rasch wieder hinter der ersten „Zone“: in meinem Element, denke ich. Ich bemerke nicht, wie ich von einer Seitwärtsströmung in einen anderen Raum getrieben werde, mit jedem Sprung über die Gischt etwas mehr, ich vergesse zurückzuschauen, und will nun, die Brandung wird kurztaktiger, was ist hier los, zurück ans Ufer.
Beim Rückwärtsgehen gerate ich in eine Untiefe (es muss doch eigentlich Tiefe heissen), verliere den Boden unter den Füssen. Als ich auftauche, trifft mich eine weisse Gischt, ich bin nicht mehr in meinem Element, und ich werde weiter seitwärts gerissen, schlage auf einem Felsen auf, ich finde keinen Halt, es ist glitschig, die nächste „Tiefe“, ich reisse eine Hand hoch und rufe in den folgenden Sekunden, die bald eine ewige Minute währen, um Hilfe, wie noch nie in meinem Leben!
Ich schlage mich wiederholt an spitzem Fels, rutsche unter die Brandung, schlucke das Meerwasser. Aus den Augenwinkeln sehe ich niemanden kommen. Todesangst. Die nächste Welle erwischt mich und wirbelt mich Richtung Ufernähe. Der Atem rast. Aber ich spüre den Sand unter meinen Füssen. Bleibe eine Weile so stehen, krümme mich, um etwas Atem zu holen, und blute wie Sau. Der „Life Guard“ ist mittlerweile da, mit radebrechendem Englisch begleitet er mich zu seinem Kabuff, und sprüht Desinfektionsmittel über die Wunden. Ich sei schon gestern, sagt er mir, zu weit gegangen.
The shit I was falling through“ – ein paar Gedanken zu einem Phänomen namens „Tindersticks“ und ihrem neuen Album „Soft Tissue“
„Falling, the light on Neals Yard / Falling, the light on Cold harbour lane / Falling, the light on your hand in mine / Falling, the light on a secret shared“ Ich war am Freitag bei einem wunderbaren Flutlichtspiel im Westfalenstadion, unserem 4:2 gegen Heidenheim. Lange war ich nicht mehr bei einem Spiel – beim Abschied von Marco Reus trafen wir uns nebenan im „Strobels“ mit Freunden und bejubelten Marcos Kunstschuss auf der grossen Mattscheibe. Das Live-Erlebnis fehlte mir. Wie früher liebe ich es einfach, in die Menge einzutauchen, beim Überqueren der Brücke über die A40. Die früher die B1 war. Oder das Aufbrausen des Torjubels: kein Privileg der Gelben Wand. Ich spüre die Verbindung zu Wildfremden wie zu alten Gesichtern, meine Spielart von „spirituellem“ Agnostizismus. Man kann viele Kopfhörer so einstellen, dass das Ambiente der Erwartung und Vorfreude hörbar bleibt, und sich mit der Musik meiner absoluten Zuneigung mischt. „Soft Tissue“ heisst das neue Opus der Tindersticks, dem ich auf dem Weg lauschte. Ein paar Leute wollten schon von mir wissen, in den letzten 30 Jahren, was ich an diesen Melancholikern aus Nottingham so schätze, aber letztlich hat sich nie einer beschwert, dass ich seit 1995 jedes Album von Ihnen (und ich meine jedes!) nachts in den Klanghorizonten im Deutschlandfunk spielte. Nachts stellen sich solche Fragen auch nicht, denn Tindersticks machen Musik, die in der Nacht tendenziell undwiderstehlich ist. Hier nun die Gedanken von Alex Petridis aus dem Guardian.
Es ist leicht, den Anfang der Karriere der Tindersticks als verpasste Chance zu betrachten. Es gab einen kurzen Moment, etwa zur Zeit ihres gleichnamigen Albums von 1995 und seines Nachfolgersl „Curtains“, in dem es so aussah, als ob die üppig instrumentierten, gefühlvollen Songs der Band aus Nottingham ein breites Publikum finden könnten: ersteres erreichte kurzzeitig die Top 20, letzteres verhalf ihnen zu einem Major-Label-Vertrag. Aber sie waren dazu verdammt, ein von der Kritik gefeierter Kultbetrieb zu bleiben, der in Kontinentaleuropa größer war als in ihrer Heimat. Sie waren eine Band, die etwas aus der Reihe tanzte, zu spröde und eigenwillig für eine Ära, in der der britische Alternative Rock zu grellen Primärfarben und Mitsing-Kommerz neigte, ihr Image zu abgehoben und ihre Stimmung zu niedergeschlagen, ihre Musik eher zur Untermalung der anspruchsvollen Filme der französischen Regisseurin Claire Denis geeignet als zum Torjubel bei Match of the Day.
Doch man spürt, dass der Kultstatus ihnen in ihrem zweiten Akt gut getan hat. Tindersticks traten 2008 nach einer fünfjährigen Pause und ohne die Hälfte der ursprünglichen Mitglieder wieder in Erscheinung. Die meisten Bands, die sich neu formieren, sind, ob sie es zugeben oder nicht, der Nostalgie und den damit verbundenen Erwartungen verfallen: Ihr neues Material ist bestenfalls eine faire Fälschung alter Alben, die jeder kennt, um den Platz in der Setlist zwischen den großen Hits zu füllen, für die jeder bezahlt hat.
Aber die verjüngten Tindersticks wurden nicht von ihrer eigenen Vergangenheit eingeengt oder von dem Bedürfnis angetrieben, frühere kommerzielle Erfolge wieder aufleben zu lassen. Sie haben die letzten 16 Jahre damit verbracht, leise nach vorne zu drängen und äußerst beeindruckende Alben zu machen. Ihre bemerkenswerte qualitative Beständigkeit wird durch die Tatsache verstärkt, dass sie sich ihres Publikums sicher genug sind, um ihm gelegentlich einen Kurvenball zu verpassen, wie auf „Distractions“ von 2021: Das Album wurde während eines Lockdowns aus der Ferne aufgenommen und handelte mit Samples, Loops und Geräuschausbrüchen und wies so spärliche Arrangements auf, dass die Musik hinter der Stimme von Frontmann Stuart Staples gelegentlich kaum vorhanden zu sein schien.
Der Nachfolger könnte nicht unterschiedlicher sein. Die Musik auf „Soft Tissue“ ist zurückhaltend und leise genug, um das Gefühl zu erwecken, dass das Ganze irgendwo bei gedämpftem Licht in den frühen Morgenstunden aufgenommen wurde, aber sie fühlt sich auch warm und befriedigend an und ist stellenweise im Soul der 70er verwurzelt.
Die Bläser und das E-Piano des Openers New World haben einen deutlichen Memphis-Flair – und die Drum-Machine, die den Song untermalt, erinnert ein wenig an Timmy Thomas‘ „Why Can’t We Live Together“.
Streicher, die irgendwo zwischen einem Blaxploitation-Soundtrack und einem dramatischen Disco-Arrangement liegen, sind auf „Don’t Walk, Run“ zu hören. Eine sparsame, hypnotische Basslinie treibt „Turned My Back“ in einem gemächlichen Tempo voran. Anderswo gibt es einen schwachen lateinamerikanischen Einfluss im Rhythmus von „Nancy“, insofern er wie die „Bossa Nova“-Einstellung einer primitiven Drum-Maschine klingt, und ein faszinierendes Wechselspiel zwischen Staples‘ Bryan Ferry-artigem Drawl und dem schärferen und geradlinigen, souligen Ton seiner Gesangsdame Gina Foster.Die Stimmung ist oft so düster wie immer. „Nancy“ bittet um Vergebung, aber man ahnt, dass sie damit auf taube Ohren stößt; die leidenschaftliche Liebe, die auf „Always a Stranger“ „in flames“ ist, scheint trotz des streicherlastigen Arrangements unerwidert zu bleiben. Der Erzähler von New World beklagt „the shit that I was falling through“: Der wiederholte Refrain von „I won’t let my love become my weakness“ klingt mitreißend, bis man merkt, wie zweideutig die Zeile ist.
Aber die Verzweiflung ist nicht die ganze Geschichte. Im Zentrum des Albums steht „Falling, the Light“, das auf einer unglaublich hübschen Gitarrenfigur und einem seltsam klimpernden Rhythmus aufbaut. Der Text ist abwechselnd von der Schönheit Südlondons im Sonnenschein und von Erinnerungen an Hochzeitstage und gemeinsame Geheimnisse geprägt. Das abschließende „Soon to Be April“ ist traumhaft, besitzt eine wunderbare, lange instrumentale Coda und findet echten Optimismus im Vergehen der Jahreszeiten. Wenn es bei der Gesamtbotschaft darum geht, die Schönheit der kleinen Dinge als Bollwerk gegen die Grausamkeit des Lebens im 21. Jahrhundert zu erkennen, dann spiegelt sich das auch im Sound des Albums wider, der reich an schönen, subtilen Details ist: das schimmernde Keyboard, das sich tief in „Don’t Walk, Run“ verbirgt, die zarten Geigenverläufe um Staples‘ Gesang in „The Secret of Breathing“.
Es spricht viel für eine Band, die es schafft, ihre Identität auf zwei so scheinbar ungleiche Alben wie „Soft Tissue“ und seinen Vorgänger zu übertragen. Vielleicht liegt das daran, dass die Tindersticks in ihrer eigenen Welt leben, unbehelligt von den Launen der Musikmode und losgelöst von allem anderen. Das war schon immer so: Man hat Mühe, einen zeitgenössischen Künstler zu finden, mit dem man die Tindersticks im Jahr 2024 vergleichen kann, aber damals war es auch schwer zu erkennen, wo sie vor 30 Jahren hingehörten. Sie scheinen sich damit zufrieden zu geben, einen ruhigen Ort abseits des Geschehens zu bewohnen, und das ist auch verständlich: Es ist ein Ort, den zu besuchen ein Vergnügen ist.
Rarities of Sky
I remember the seaside, smoking
a pipe while reading a paperbook
about how to smoke a pipe.
I stranded, the tongue too hot, that
Scottish Blend a festival of fragrances,
under the palms of Paignton,
hunting for words, rhyming plums
and rums in 1971. All from my picture book,
in which all, there is, is
vanishing. Clouds playing
solitaire in the rarities of sky,
far away, too, the sounds of
a gambling hall with that song
I love so much, on tip of the tongue.(Im Umfeld der Aufnahmen zu seinem letztjährigen Album, das ich für eines seiner schönsten halte, enstanden auch die acht Stücke von „the skies: rarities“. Rund 30 Minuten ist dieses Minialbum lang, und es umfängt mich genauso wie der grosse „Vorgänger“. „Above and Below“ ist für mich ein „instant classic“, die Solopianoversion von „Through The Blue“ ein mit Understatement gespielter Evergreen, der Lust bereitet, wieder sein Debut „Voices“ aus dem Regal zu holen, das einst Bruder Brian mit Dan Lanois in Hamilton, Ontario, produzierte. Übrigens zähle ich das auch zu seinen schönsten Alben. Das kleine Gelegenheitsgedicht schrieb ich, und feilte daran, während das Album dreimal von vorne bis hinten lief. Roger Eno ist ein grosser Wanderer an den Küsten von Suffolk, und ich mischte da eine ferne Erinnerung auf, an einen unvergesslichen Nachmittag an der Küste von Paignton, an dem, bis auf mein Abenteuer mit der Pfeife, rein gar nichts passierte. Ich war 16, und die Baskenmütze auf meinem Kopf habe ich verschwiegen, es wäre auch zu peinlich 😂…)
The Flying Building Blocks Of A Radio Hour in March 2025
Je perfekter das „sequencing“ einer Ausgabe der „Klanghorizonte“ ist, desto leichter das Schreiben der Texte. Unbewusst liegen sie dann schon vor, es geht nur um das Ausformulieren, und ein Quantum Storytelling. Und somit ist es eine schöne Sache, ab heute mit den „fliegenden Bausteinen“ zu hantieren. Eigentlich kam mir die Idee gestern, als ich mit Marjan im Wartezimmer ihrer Zahnärztin sass und ein paar Gedanken zu „Amelia“ notierte.
Es schien auf Anhieb eine perfekte Abfolge zu sein: ein Track aus Laurie Andersons neuem Album, mit den Flügelschlägen einiger von Dennis Russell Davies arrangierter Violinen und Violas, gefolgt von dem berühmten „Cantus (In Memory of Benjamin Britten)“ aus Arvo Pärts Klassiker „Tabula rasa“, bei dem ein gewisser Dennis Russell Davies mitwirkte, und einer alten englischen Folkmelodie, traumhaft drageboten vom Danish String Quartet und ihrer neuen Arbeit „Keel Road“. Jetzt denke ich noch einmal darüber noch, und ersetze dann doch, wegen des allzugrossen Bekannheitsgrades, Arvo durch Annette, bei der das Cicada String Quartet amwesend war – und die Abfolge lautet, im Zentrum der „Klanghorizonte“ am 25. März um 21.05 Uhr:
Laurie Anderson: Amelia
OTON (Danish String Quartet)
Danish String Quartet: Keel Road
OTON (Danish String Quartet)
Annette Peacock: An Acrobat‘s HeartAnnettes einziges Songalbum für ECM kommt in Kürze als Schallplatte heraus. Nun, bis dahin ist es noch eine Weile, und entweder sammeln sich hier, neben der dann real herausspringenden, auch noch ein paar imaginäre Radiostunden, wer weiss?! Leicht liesse sich diese Stunde hieb- und stichfest machen, aber das widerspräche der Grundidee der „flying building blocks“. Trauen Sie also Ihren Augen besser nicht! Wie bringe ich eine Episode aus Joe Boyds „And The Rhythm Will Remain“ in der Stunde unter, und zu welcher Musik? Wo landet der erste Auftritt des „American Analog Set“ in der Geschichte der Klanghorizonte?
… beware now, it is friday 13th, and my fantasy get further shapes, „overnite sensations“…though one thing is clear, we will see so much musical brilliance til March 25 that this sequence will definitely get a lot of workover, maybe some basic ideas stay. Fact is, this sequence now seems close to perfect, full of horizons, symmetries, the old and the new, and, quite imaginary … with these boxsets and albums at hand, winter can come …
The American Analog Set
Joni Mitchell Archives, Vol 4: The Asylum Years (1976–1980) *
Henriksen / Bang / Kleive: Chiaroscuro (the album)
A track based on chapter 2 of Joe Boyd‘s book
Laurie Anderson: Amelia
Danish String Quartet: Keel Road
Annette Peacock: An Acrobat‘s Heart
A second track based on chapter 2 of Joe Boyd‘s book
Chiaroscuro: the 20th anniversary concert
Shane Parish: Repertoire (Probably „Europe Endless“)
Nala Sinephro: Endlessness*The lost highways of Joni’s 1970s odyssey, mapped and charted across six astonishing discs. Joni Mitchell seemed to know exactly where she was going. At the end of 1975, as her contemporaries gave up the ghost or were laid waste by punk, she was embarking on one of the most extraordinary artistic solo odysseys of the 20th century. Far from Saskatoon, Laurel Canyon, Canada and the United States, beyond folk, rock, jazz and blues, she was out on her own strange adventures into the wild blue yonder.
Ein paar Geschichten rund um Tabula Rasa (1)
In der Vinyl-Serie „Luminessence“ von ECM ist nun, zum 40-jährigen Bestehen der „New Series“, das erste Werk dieser Reihe für notierte Musik als Schallplatte mit Gatefold-Cover wiederveröffentlicht worden. Zu einem stolzen Liebhaberpreis knapp unter 50 Euro. HIER ein zehn Jahre altes Gespräch mit dem Produzenten Manfred Eicher darüber. Es folgt, bis Monatsende, ein kleiner launiger Text zu diesem aussergewöhnlichen Werk. Vielleicht haben ein paar Leser dieser Zeilen Lust, sich das Album erst einmal (wieder) daheim anzuhören (auf Cd, einer etwas älteren Schallplatte, oder als Download) und ihren eigenen Erinnerungen und Empfindungen nachzuspüren. Wer mir seine kleine „Hörgeschichte“ mit „Tabula Rasa“ erzählen möchte, schreibe diese bitte, egal wie kurz oder lang, an micha.engelbrecht@gmx.de
„Jazz im Deutschlandfunk“
(JazzFacts, Deutschlandfunk, September 5, incl. the talking voices of Søren Skov, Frode Haltli, Bill Frisell, Kit Downes, Florian Weber, Miles Okazaki, Johannes Ludwig – and Wayne Shorter‘s take on a beloved movie tune from the 80‘s, „The Edge Of The World“) … on amazon prime: Zero Gravity – The life and times of Wayne Shorter in three parts. Thinktank and inspirations by Brian Whistler.
Søren Skov Orbit: Adrift (Frederiksberg)
Frisell / Cyrille / Downes: Breaking The Shell (Red Hook)
feature 1: Miles Okazaki: Miniature America (Karl Lippegaus)
feature 2: Florian Weber: Imaginary Cycle (Niklas Wandt)
feature 3: Nano Brothers: Ascend Flowers (Odilo Clausnitzer)
Trygve Seim / Frode Haltli: Our Time (ECM)
Wayne Shorter Quartet: Celebration, Vol. 1 (Blue Note)„Celebration, Vol. 1“ simmers and stews with creative possibilities. And hey, I even recognized Orbits! The lovely Edge of the World by film composer Arthur Rubinstein totally floored me. And following it, Lotus was equally stunning. I didn’t hear anything in this rendition of She Moves Through the Fair that particularly reminded me of the original recording – the main theme is nonexistent, but it was a hell of a strong free group improvisation to end the record with. Perez is almost psychic here. He’s the glue that makes it really come together. He’s the net under the constantly transforming textures and sonic explorations. But of course, each player is integral in keeping the kinetic sound sculptures from collapsing. Brilliant stuff.“ (Brian Whistler).
Ein Dank auch an Ingo J. Biermann für die Bereitstellung seiner Gespräche mit Kit Downes und Bill Frisell. Zur Veröffentlichung wird sein kleiner „Film zum Album“ bei youtube zu sehen sein.
Des weiteren hatte ich das Glück, dass Jens Müller der Techniker bei dieser Produktion war. Man kann hören, wie wunderbar die Mischung aus Klang und Wort geworden ist. Und wir mussten beide schmunzeln, dass am Ende der Stunde Wayne Shorters „Edge of the World“ noch gute fünf Minuten zu hören war – der perfekte Ausklang einer Sendung, welche, in Form und Sequencing, einem „imaginary cycle“ nahekommt.
„From Strawberry Hotel to Keel Road (and the jukeboxes in between)“
„Wo der Geier gleitet, absteigend
Auf einer Asphaltautobahn, die sich
Durch Bibliotheken und Museen, Galaxien und Sterne
Die windigen Hallen der Freundschaft hinunter
Zu der Rose, die von der Peitsche gestutzt wird
Das Motel der verlorenen Gefährten
Wartet mit beheiztem Pool, beheizter Bar“
There will come, in October and November, some promising albums (possibly mixing up the places 2 to 10 in Olaf’s and my „Nikolausliste“:)), and this is the cover of one of them, „Strawberry Hotel“. Underworld‘s last effort, „Drift“, was an artistic success all the way through (in my ears), the short version and especially the long epic edition. It was music to sink in, and as i was never much into techno (except some of it I preferred to listen to while sitting, not raving. I even danced to „Drift“ in my electric cave, and normally only dance here when listening to Marc Bolan‘s best song).I had my Underworld days long after their early milestones (two of them were classics, „Beaucoup Fish“ not that strong). Later came the „Barbara“ album that didn‘t impress me too much, but „Drift“ was and is killer, always only a look and a dance and a deep listen away. I love to listen to „Drift“ in the dark, with the mini-movies or without. I love the way Karl Hyde let his lyrics and diary notes enter the tracks. His way of delivering words. Now one of the songs you can listen to HERE from the forthcoming album, reminds me of his first collaboration with Eno (my interview is HERE, and now ten years old), and i could imagine Brian‘s voice from 2014 joining Karl‘s verses, but that‘s just my imagination running away with me. (You know this classic? Who doesn‘t. When I heard it in the radio back in 1971 for the first time, I was literally floored. Buyed the single. Played it again and again. Til I was inside. Time capsules. Like THIS one.
Back to Underworld. I just have preordered this double album in vinyl, in a rush with the moving pictures Brian, The Whistler, recently wrote about, „Music For Black Pigeons“. A gift now for soul mates. A propos Jakob Bro who is a central figure in that documentary : i will see the Danish guitarero on one of his concerts in December, it may be December 04 at the Domicil in Dortmund, or at a festival in Palma de Mallorca three days later. At his side Arve Henriksen and Jorge Rossy. Speaking of Bro, immediately brings to mind his fantastic 2023 live album with Mikkelborg and Mazur (now available on vinyl, too), the nothing less than awesome debut of the Danish Søren Skov Orbit (Olaf, Norbert and me now are close to open up an internarional fanclub).
Seriously, I had the fantasy of a three record box of SSO and sent Manfred Eicher a message to keep an ear on this heavenly music corporation. Now my story with telling Manfred about artists he should work with, is (over the decades) thankfully very short – and reads itself like this: The Necks, Tigran Hamasyan, Thomas Köner, and SSO. And now, the icing – and the strawberry – on the cake: another Danish record you may fall in love with: „Keel Road“. Take your time listnening to this: „Once A Shoemaker“. And, speaking of ECM, „Keel Road“, and a somewhat older album (with the Cicada String Quartet, and the voice of Annette), „An Acrobat‘s Heart“, will get their vinyl appearance a few weeks from now, in September and October.
Assoziationen zu der Erinnerung eines anderen (Teil 1)
„Die Kombination des Schlagzeugers Pete La Roca und des Bassisten Steve Swallow auf Paul Bleys Footloose hatte mir sehr gut gefallen, und auf Basra (1965) kamen Pete und Steve wieder zusammen, um eine offenere Musik zu erkunden, begleitet von dem stets inspirierenden Steve Kuhn am Klavier und Joe Henderson am Tenor. Unter den vielen Blue Notes mit Henderson sticht diese Aufnahme wegen ihres Geistes und ihrer Energie hervor. La Roca verschwand für lange Zeit von der Bildfläche, um Jura zu studieren und dann zu praktizieren. Nach seiner Rückkehr spielte er mit John Abercrombie, und eine Zeit lang war ein Aufnahmeprojekt mit Pete, John und Kenny Wheeler im Gespräch – das leider nicht realisiert wurde.“
Das erzählte Manfred Eicher vor Jahren, als er nach seinen Favoriten bei Blue Note gefragt wurde. Wer vertraut ist mit ECM-Alben der genannten Musiker, kann sich ganz gut den Sound und die Atmosphäte dieses imaginären Trios im Geiste vorstellen. Einige Assoziationenen zu den Protagonisten dieser Erinnerung…Pete La Roca: Vielleicht habe ich eine Blue-Note-Platte, bei der er Sideman war, aber ansonsten keine greifbare Erinnerung. Vielleicht kennt ein Leser Basra, es wurde, lese ich, 2020 remastert, und erneut auf Vinyl herausgebracht.
Steve Swallow: Der Bassist begegnete mir erstmals zu einer Zeit, als er schon vom akustischen zum elektrischen Bass gewechselt war: in Dortmund kaufte ich mir, frisch zum Erscheinungsdatum zwei Lp‘s, die in einer Hülle zusammen verkauft wurden, Steves Duos mit Gary Burton und Ralph Towner – traumhaft! Meine Frage war, beim Betrachten des eines Covers: Wo ist das „Hotel Hello“, da will ich hin!
Paul Bley: Paul Bley haute mich um mit seinem ECM-Soloalbum „Open, To Love“. Der Sound war speziell, und anders als die ebenfalls damals in Oslo aufgenommenen Solowerke von Keith Jarrett („Facing You“) und Chick Corea (Piano Improvisations, Vol. 1 und 2), die mich nicht weniger umhauten und das heute noch schaffen, hatte „Open, to Love“ einen eigenartig-dünnen, spinnwebenhaften, auch kühlen Sound. Wieso habe ihn damals, als ich Mr Bley in Bremen interviewte (und er mir mein vielgerühntes, mittlerweile historisches, Sennheiser-Kondensator-Mikrofon abkaufte), nicht danach gefragt? Ein unbeabsichtigter Effekt der Aufnahme, oder kalkuliert, weil er beim Spiel die Hüllkurven früher Synthesizer nachempfinden wollte?
(Teil 2 findet sich am 2. September)
Der Klang von Tintagel (John Surman zum 80. Geburtstag, mit etwas Verspätung)
“My Room Is Full Of Boxes Of Loose Threads“
(Ingo‘s interview video)
Polperro / Tintagel / Trethevy Quoit / Rame Head / Mevagissey / Lostwithiel / Perranporth / Bodmin Moor / Kelly Bray / Piperspool / Marazion ./ Bedruthan Steps. Etliche dieser Orte wirst du heutzutage leicht ansteuern können. Damals, auf einer Reise nach Cornwall, noch im letzten Jahrhundert, in der Woche, als Bob Dylans „Time Out Of Mind“ erschien, 1998 oder 1997, brauchten wir noch Landkarten.
Ich hatte, in einer Besprechung von „Road To St. Ives“ (Jazzthetik), dem Fremdenverkehrsverein von Cornwall empfohlen, mit diesem Soloalbum von John Surman Werbung zu betreiben. Tatsächlich machen die Namen neugierig, Orte, die in historischen Roman auftauchen, Geschichten von Liebe, Tod, Wahnsinn, Hexerei sowie Legenden, die in unseren Hinterköpfen rumschwirren, von König Artus bis zu den Nebeln von Avalon. Es war später Sommer, als John Surmans Platte (und Dylans melancholisches Album) zum Soundtrack unserer Reise wurden.
Wir schliefen in dem Haus, und dem Himmelbett, in dem Daphne de Mauriers Schreibzimmer unversehrt erhalten war: hier hatte sie den berühmten Piratenroman geschrieben, den Hitchcock später verfilmte, oder war es nur „Rebecca“? Wir gingen durch den kleinen Ort mit dem wundervollen Namen Tintagel, ich erinnere mich an das Backsteinpflaster, die Ruhe am Meer, einen Fish’n’Chips-Laden, aus dem tatsächlich Scarborough Fair in der Version von Simon & Garfunkel ertönte.
Wir wanderten lange Tage auf dem Coastal Path, von Klippe zu Klippe. Wir brachen auf zu Trethevy Quoit. Die Sonne stach vom Himmel, schließlich kamen wir dort an. Ein oller Steinhaufen, dem man nur mit viel Phantasie etwas Pittoreskes abgewinnen konnte. Ein Hund schlug an der Kette, neben dem keltischen Ort der Kraft hingen weisse Bettlaken im müden Wind. Der Ort hatte allen Zauber eingebüßt. Eine Ruine ohne Strahlkraft.
Das entsprechende Stück von John Surman ist sehr kurz, ein Furor mehrerer übereinander geschichteter Saxofone. Ich spielte es öfter in den Klanghorizonten, als akustischen Koffein-Booster, und habe John Surman später einmal gefragt, wie er auf die Namen dieser Kompositionen gekommen sei. Ich glaube, er hatte einfach Namen genommen, die er mit Reisen in seiner Kindheit verband, oder solche, deren Klang ihm gefiel. Anouar Brahem liebte das Album. John Surman ist in diesem Jahr 80 geworden, wie ich gerade bei Ingo gelesen habe. Ich sah ihn nur einmal live, in Münster 1974, mit S.O.S., viele Jahre späte sprachen wir über „Thimar“ sprachen, das Trio mit Anouar Brahem und Dave Holland.
Über die Jahrzehnte landeten all seine Soloalben bei mir, auch seine Duos mit Jack DeJohnette. Jedes Werk garantierte mindestens einen Ohrwurm (wie etwa „Nestor’s Saga“), und ich bekomme gerade beim Schreiben Lust auf das zweite Album jenes Paul Bley Quartetts, bei dem neben John Surman auch Bill Frisell und, ich glaube, Paul Motian dabei waren. Es hiess schlicht und ergreifend „The Paul Bley Quartet“.