Christmas in Scotland (in the 1970s)

In ihrem Kurzfilm Gasman zieht uns Lynne Ramsay mit den ersten Einstellungen ganz in die häusliche Szenerie und Unruhe einer Familie im Aufbruch. Schwarze Lederschuhe, von einem Mann im Unterhemd geputzt, werden scharfgestellt. Die Stimme der Mutter mahnt zur Eile. Jemand streut weißen Zucker in ein Spielzeugauto. Das Bügelbrett steht in der Küche. Das Mädchen ist noch nicht umgezogen. Innerhalb von Minuten erinnert sich der Körper daran, wie es war, eine Baumwollstrumpfhose anzuziehen, wie es war, wenn die Mutter dabei half, ein Kleid über den Kopf und über den Körper zu streifen. Der Film fängt die Atmosphäre der 70er Jahre in Schottland durch alle Sinne ein und es fällt nicht auf, dass er erst Ende der 90er gedreht wurde. Die Kleidung und die Musik sind das eine, vor allem aber ist es die soziale Atmosphäre, der Umgang mit Kindern, und man fragt sich, wie sie mit der Gewalterfahrung weiterleben. Auch dafür gibt es erste Antworten. Die Spannung funktioniert untergründig. Die Bildsprache ist kunstvoll und raffiniert; gesprochen wird eher wenig. Umso aussagekräftiger sind Gesten und kleine Handlungen, die sich wiederholen. Und die Gesichter. Immer wieder war ich erstaunt darüber, was in einem Bildrahmen gezeigt und was weggelassen wird. Lynne Ramsay zählt schon seit ihren ersten Filmen zu der von der Kritik gefeierten Independentszene in Schottland. Zwei ihrer Langfilme habe ich schon bestellt: Ratcatcher und Morvern Callar. Der Soundtrack von Morvern Callar liest sich wie ein Wunsch-Mixtape: Aphex Twins, Can, the Mamas & the Papas und sogar Boards of Canada ist dabei. Hier ist der Link zu Gasman (ca. 15 Minuten). Für mich ist Lynne Ramsay eine Entdeckung.

5 Kommentare

  • Lajla Nizinski

    Tolles Foto Martina, dieses gleissende Licht.
    Das ist ein Kurzfilm, den ich sicher bei meinen Filmvorführungen auf der Insel im Vorprogramm zeigen werde. Danke!

  • Martina Weber

    Michael, Lajla hatte mir von ihren Plänen erzählt, damals in dem Restaurant in Düsseldort am Rhein.

    Wie schön, Lajla, dass du mit „Gasman“ einen würdigen Vorfilm gefunden hast. Ich wäre gespannt, wie dir und/oder anderen hier der Film gefällt. Eine junge Filmemacherin hatte mich neulich auf Lynne Ramsay aufmerksam gemacht. Ich brachte einen Kurzfilm auf einer Videokassette mit und sie hat „Gasman“ vorgestellt. Auch eine kleine Film-AG.

  • Martina Weber

    Oh ja!
    (Vor einer halben Stunde habe ich das Manuskript für meine Anthologie an den Verlag geschickt.)

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