Amelia

„Die Leute haben geklatscht, wie man das halt so macht. Aber ich wäre am liebsten im Boden versunken. Eine sinfonische Komposition war ein Novum für mich. Ich hatte keine Ahnung, wie man so was macht. Nie wieder, sagte ich mir.“

Laurie Anderson in einem NZZ-Interview über die Premiere von Amelia im Jahr 2000. Aber der Dirigent des Werkes, Dennis Russell Davies, sah die Sache offenbar nicht ganz so katastrophal und behielt das Stück im Kopf. Einige Jahre später schlug er Laurie vor, es ein zweites Mal zu riskieren, diesmal aber mit auf die Streicher reduziertem Orchester. Das gefiel ihr schon besser.

Es dauerte dann nochmals einige Jahre, bis Davies, der inzwischen Chefdirigent der Philharmonie Brünn geworden war, ihr vorschlug, das Werk nochmals auf die Bühne zu stellen. Den Mitschnitt dieser Version bearbeitete Laurie nach: Mit allerlei elektronischen Tricks aus ihrer eigenen Werkstatt und einigen Mitteln, die man aus der Hörspielproduktion kennt, veränderte sie Teile ihrer Sprechstimme (tatsächlich sind es wohl um die zehn verschiedene Stimmen, die sie so erzeugte), fügte Perkussionsinstrumente hinzu und heuerte als ergänzende Vokalistin die Künstlerin Anohni an. Das Ergebnis gibt es nun als Platte. 

Als ich meiner Liebsten erzählte, von Laurie Anderson sei eine Platte über Amelia Earhart zu erwarten, war ihre Reaktion, ob man denn da nichts Interessanteres hätte finden können. Ich wusste nicht, dass die amerikanischen Kinder mit der Geschichte dieser Flugpionierin schon in der Schule zugeschüttet werden. Insofern war ich ein bisschen skeptisch, was da wohl kommen würde.

Das Resultat ist trotz des recht sanften Gesamteindrucks kein Easy Listening. Es ist, soweit ich erinnere, das erste Mal, dass Laurie Anderson eine durchgehende, in sich geschlossene Geschichte erzählt, und die Platte erzeugt ein irgendwie ungutes Gefühl; man weiß ja, wie sie enden wird. Schockmomente gibt es aber nur selten, und selbst sie sind eher relativ. Das ist einerseits ein bisschen verblüffend, denn immerhin geht es um die versuchte Weltumrundung, die Amelia Earhart 1937 als erste Pilotin startete und die für sie und ihren Co-Piloten tödlich endete. Andererseits aber würden solche Ausbrüche wohl nicht mehr zu Lauries inzwischen doch sehr gereifter Stimme passen. Insgesamt ist das Werk eher harmonisch gehalten, verfügt aber dennoch über die Anderson-typische Intensität, die man von ihr kennt. Und die hält bis zum Ende, das nach 34 Minuten eher angedeutet als ausgespielt wird.

Wir folgen dem Flug, bis über dem Pazifik der Funkkontakt abbricht. Es gab später mehrere Suchaktionen, aber bis heute sind die Trümmer der Maschine nicht gefunden worden. Laurie verwendet unter anderem Texte, die auf Protokollen des Funkverkehrs, auf Interviews während Zwischenlandungen und Flugtagebüchern basieren. Der vollständige Text liegt der LP bzw. der CD bei; man muss ihn mitlesen, weil die Dramaturgie der Aufnahme einige Passagen fast unkenntlich macht.

Als nächstes soll dann wohl entweder United States, Part V folgen (für mein Gefühl vielleicht nicht unbedingt die beste Idee), oder, so ließ Laurie in einem „Guardian“-Interview verlauten, „von einem Schiff namens Arche.“ Warten wir’s ab.

Frühbesteller des Albums Amelia erhielten zusätzlich eine signierte Druckgrafik im LP-Format. Sie zeigt ein seltenes, Fliegern aber bekanntes Phänomen: einen ringförmigen Regenbogen, der den Schatten des Flugzeuges auf der Regenwand umschließt. Ein passendes Bild.

3 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Aud diese Rezi habe ich gewartet, bevor ich die Reise antrete. Scheint auch das Prädikat headphone album zu verdienen 😉

    Hatte in den letzten zwei, drei Wochen soviel Jazz in den Ohren, mir war ja auch bewusst, dass es das letzte Magazin war. Nun nur noch der Rückblick aufs Jazzjahr mit zwei Kollegen und dann im nächste Jahr noch mal vier Klanghorizonte am Stück, ab März, glaube ich, und ein Porträt meiner Wahl. Dann geht auch eine Reise zuende…

    Damals, früh in den 90ern, hiessen die JazzFacts noch Studiozeit, und da machte ich auch ein Laurie Anderson Porträt. Das war spannend, und ihrerseits eine Lektion in Storytelling. Die Sache mit Amelia war uns im Westen ja eher vertraut durch den Joni Mitchell Song gleichen Namens, hinreissend wie das ganze Album Hejira.

    Irgendwann hatte es sich da rumgesprochen, dass Laurie und Lou ein Paar waren, die beiden Namen klingen fast filmreif. Deswegen fällt mir immer der Name Laurie ein, wenn ich, was selten genug vorkommt, eine Platte von Lou in der Hand habe…wie vor einiger Zeit eine meiner liebsten, meinst du, ich komme jetzt ohne googeln niccht auf den Namen, The Blue Irgendwas, mit dem tollen Robert Quine an der Gitarre…

    Als The Blue Irgendwas rauskam, waren wir noch recht junge Hüpfer, und Platten hatten oft auch einen Aspekt, unsere Zukunft mitzusddhreiben… den Soundtrack für unsere Vorstlelungen von Zukunft zu mitzuliefern…..

    (.. es ist hier früh am Morgen, unsere Pflegtochter kommt gleich zum Früühstück, hat endlich den blauen Pass, darf jetzt in 111 Länder reisen, und war am Wochenende schon ausgiebig in Belgien bei Bekannte der Familie, die immer noch in A. auf Binnenflucht ist. Wir begleitem hier eine Weile und hoffen das Beste….)

    Jetzt begegnen uns viele Alterswerke von Künstlern, die damals unsere Jugend mitbefeuerten. Es tut gut, mir das bewusst zu machen. Neil Young and his endless archive, das sind auch immer Trips in andere Lebensabschnitte. Und jetzt kommt mit bald zum Besprechen in FLOWWORKER eine Live Platte von King Crimson von 1982 in den Briefkasten… wenige Wochen später sah ich sie….THAT S THE DIFFERENCEV. Und Pink Floyds David Gilmour, nun meine Story mit Pink Floyd war recht früh zuende, so mit Meddle und einer Seite von Dark Side Of The Moon, unvergesslich, ich hörte dieese Seite in einem Programmkino in Münster 1973/74, zu Godards Weekend, unvergesslich…

    Nun denn, nun kommt, ich konnte der Surroundversin nicht widerstehe, LUCK AND STRANGE ins Haus, und das ist wohl das definitive Alterswerk von David Gilmour… Robert Wyatt schwärmte mir gegenüber mal von dessen wunderbar transparentem Gitarrenspiel, und das soll ja hier nun voll zur Geltung kommen, in einem angeblich ganz würdevollen „Alterswerk“….:) so, das war der kleine Bewusstseinsstrom am frühen Morgen…

    ach, eine Idee habe ich auch noch für 2025: ein letztes Songalbum von Brian Eno….immerhin nicht ganz unmöglich, denn in einer Email schrieb er, es würden nach dem einen neuen Song für die Doc weitere folgen. Jetzt ist aber gut, bevor ich noch Old Man von Neil Young verlinke…😉🥁

  • Michael

    Genau
    Jan erinnerte
    Mich daran

    The Blue Mask

    So radauig wie er habe ich es gar nicht in Erinnerung… longtime ago 1982 oder so …

  • Michael

    Großes Kino
    Tolles Hörerlebnis
    Hoher Flow und Fly away Faktor
    Streichersötze: beeindruckend
    Filed recordings: sehr fein
    Stimme und Gesang: vielfältig
    Durchweg fesselnd

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