There‘s Something In A Sunday
Ein alter Freund von mir, der Anwalt für Konzernrecht war, ein mir völlig fremdes Terrain, und mittlerweile den Planeten gewechselt hat, hatte früh in den Neunziger Jahren in San Francisco eine recht kurzzeitige, aber erfüllte Beziehung mit einer Frau, die das Vorbild war für Sharon McCone, eine literarische Figur im Werk von Marcia Muller. Er war auch grosser Bob Dylan-Fan, und zeigte mir einmal seine signierte Erstausgabe von „Blonde On Blonde“. Da er viel in San Francisco zu tun hatte, war ich stets neugierig auf seine Stadtgeschichten (er war, was man bei seinem Job nicht unbedingt erwartet, mit Gary Duncan gut befreundet, einem Mitglied des Quicksilver Messenger Service), und ich mache es mir noch heute zum Vorwurf, nie nach San Francisco gereist zu sein. Aus Filmen ist mir die Stadt so vertraut wie der Central Park in New York, den ich auch nur einmal, und dann noch kränkelnd, unter dem Einfluss von Montezumas Rache, erlebte. Lajlas San Francisco-Stories würde ich auch gerne einmal hören.
Auf jeden Fall brachte mir David einmal aus seinem Lieblingsbuchladen in San Fran einen brandneuen Roman von Marcia Muller mit, die er auch damals durch Eve kennenlernte, 1989, in einem Cafe in Ashbury Heights, das den Wirren der Hippie-Ära getrotzt hat. Der Titel: There‘s Something In A Sunday. Und so landete ich, mitten im Leben und neunten Roman rund um Sharon, in San Francisco, der Anwaltskanzlei All Souls, und einem Mordfall. Marcia Muller versteht es brilliant, die Historie der Stadt in lebendigen Schilderungen aufleben zu lassen, stets konkret festgemacht mit dem Auf und Ab eines Krminalfalls, ihres Berufs- und Liebeslebens, und dem ihrer Kollegen und Freunde.
Sharon war eine der ersten Detektivinnen, die sich ihren männlichen Kollegen zugesellte, eine kluge Frau, die mehr auf Köpfchen als auf Karate setzt, dem Leben als sehr sinnliche Veranstaltung begegnet, und in diesem wirklich tollen, im besten Sinne traditionell geschriebenen Roman (der, wie viele andere dieser Reihe, antiquarisch zu finden ist, als Fischer-Taschenbuch) gleich zu Beginn, einen Sonntag lang, kreuz und quer durch ihre Stadt fährt, um den seltsamen Wegen eines gewissen Frank Wilkonson von Blumenladen zu Blumenladen zu folgen, durch zahllose Gartencenter und tropische Gewächshäuser am Golden Gate Park. Man könnte an Alfred Hitchcocks wunderbare Kamerafahrten aus Vertigo denken, auf den Spuren von James Stewart. Aber die Story entwickelt sich ganz anders, und als professionelle Beschattungskünstlerin hat Shar, wie ihre Freunde sie liebevoll nennen, am Ende des Sonntags ein halbes Gartensortiment in ihrem Auto verstaut. Mit grossem Vergnügen und leichter Wehmt lese ich den Roman gerade, nach Ewigkeiten, zum zweiten Mal (während wir abends John Sugar in der tollen Detektivserie auf Disney + durch die Strassen von Los Angeles folgen). Leider fand Marcia Muller hier in Deutschland nur eine kleine Leserschar, in den USA hat sie gerade ihren neuesten Roman rausgebracht, und Jan R. hat vielleicht vor kurzem in der New York Times die sehr positive Besprechung gelesen. Sharon McCone is still alive and kicking. (m.e.)