It’s not a bug, it’s a feature

Manchmal denke ich: wie schade, dass ich nie irgendwo auch mal Filmeinführungen machen darf, wie das viele Kollegen in Kinos bei Vor-, Neu- oder Wiederaufführungen machen (und dann sogar noch dafür bezahlt werden). Ein Film, der mir vorab gar nicht danach aussah, nach dem ersten Schauen dafür umso mehr für eine persönliche Einführung meinerseits, wäre dieses neue, wohl erste „Biopic“ über eine bestimmte Phase und einen Wendepunkt in der Laufbahn von Bruce Springsteen.

Der Titel kommt (im Film selbst) in einem sehr springsteen-typischen Schriftzug in großen, amerikanisch designten Lettern daher: SPRINGSTEEN – ergänzt um den Untertitel „Deliver me from Nowhere“, was ebenso gut der Name eines seiner Alben hätte sein könnte. Die Besprechungen zum Film sind zumeist recht verhalten, und so hatte ich nicht viel erwartet. Allerdings musste ich dann feststellen, dass der Film aus anderen Gründen verhalten aufgenommen wird, als ich dachte. Hier ein Beispieltext, in dem einiges als kritisch vermerkt wird, was doch letztlich positiv zu verbuchen ist – wenn man eben nicht das Konventionelle und Erwartbare im Kino will.

Ich habe mir den Film also angesehen, mit verhaltenen Erwartungen. Und obwohl die verlinkte Analyse irgendwie schon richtig ist, finde ich es seltsam, dass diese Punkte als „Fehler” dargestellt werden, obwohl sie offensichtlich alle beabsichtigt waren. Wenn man sich den Film ansieht, merkt man, dass er sicherlich nicht für ein möglichst großes Publikum gedacht ist wie Bohemian Rhapsody oder Rocketman. It’s not a bug, it’s a feature. Ich war tatsächlich überrascht, dass der Film viel subtiler und interessanter war, als ich erwartet hatte. Gerechnet hatte ich mit einem okayen Film im typischen Arthouse-Mainstream-Stil. Geboten bekam ich aber eine klug gedachte und fein inszenierte Geschichte über künstlerische Schaffensprozesse, über Depression und darüber, wie das Macho-Image, das Springsteen schon damals zugeschrieben wurde, so gar nicht zu seinen eigenen Ansichten, Ansprüchen und Ambitionen als Mann und Künstler passte. „Deliver me from Nowhere“ erzählt eine wirklich ehrliche und offene Geschichte darüber, sich selbst treu zu bleiben, gegen alle inneren und äußeren Kräfte. Und damit kann ich sehr viel anfangen. 

Teils kann man wohl einwenden, dass es teils ein wenig unentschieden ist zwischen fein und leise erzähltem Autorenfilm und typischem Arthaus-Mainstream; so ist die Filmmusik an zwei, drei Stellen etwas emotionalisierend, die Auflösung der Vatergeschichte schrammt auch am Kitsch, und ein bis zwei zentrale Nebenfiguren sind vom Drehbuch sehr stark als Erklär-Bären eingesetzt, gerade so, als wären es die „O-Töne“ oder „Talking Heads“, die die nachgestellten, fast dokumentarisch gemeinten Szenen des persönlichen und kreativen Ringens im Rückblick noch einmal für alle im Publikum sauber erklären. Aber diese – sicher auch nachvollziehbare – Unschlüssigkeit hält sich dann doch in Grenzen. Und so möchte ich fast sagen, in dem Film verbirgt oder versteckt sich eigentlich ein anderer. 

Dramaturgisches Gerüst im Zentrum der Geschichte ist eine ganz interessante, auch ungewohnt –aufrichtig und ernst – erzählte Männerfreundschaft. Auch darüber hinaus scheint mir sehr interessant, wie dieser Film von Männerbildern und Männerrollen erzählt. Es geht ja, wie man aus dem Trailer und der ersten Szene im Film sofort erkennt, um Bruce Springsteens Beziehung zu seinem Vater — und darum, wie die Erziehung, die Kindheit und in diesem Fall im Besonderen das Verhältnis zum Vater einen Mann prägt, und was man daraus macht, zum einen als Künstler, in einer künstlerischen Form, zum anderen was man biografisch daraus macht, in seinem Leben. Für sich genommen ein alter Hut.

Auf der erzählerischen Oberfläche geht es somit um künstlerische, kreative Prozesse und um den Schaffensprozess hinter dem Album „Nebraska“, und das macht der Film schon ganz gut und überzeugend: Man glaubt sofort, dass es wirklich so gewesen sein könnte, approved by Bruce Springsteen. Es geht darüber hinaus aber vielmehr um das Ringen der Hauptfigur mit bestimmten Fragen, die in eine recht lose, fast dürftige Story mit eher unspektakulären Konflikten eingebettet sind. Und so habe ich mich beim Schauen gefragt, wie es Leuten wohl geht, die mit Springsteens Werk und Biografie nicht so wirklich vertraut sind. Zuerst dachte ich, der Film müsste in diesem Fall total langweilig sein, weil sonst ja eigentlich nichts Sehenswertes erzählt wird. Zum einen haben Leute, die Springsteen kennen und den Film deshalb sehen wollen, sicher eine bestimmte Erwartungshaltung — auch wenn man gerade seit der Veröffentlichung seiner dicken Autobiografie und vielen anschließenden Interviews um seine Depression weiß und um sein Ringen um Selbstbild und dem Star-Image, für das er viele Jahrzehnte lang stand.

Doch was die Depressionen mit ihm gemacht haben, gerade auch im Kontrast zu dem markigen, männlichen Image, das er so lange verkörpert hat, hat Springsteen seither offen berichtet, ist daher für jene, die sich in den letzten Jahren einmal mit seiner Biografie befasst haben, keine Neuigkeit, Und doch finde ich bemerkenswert, wie dieser Film davon und von Männerfiguren in Amerika erzählt – und das auch unerwartet unaufdringlich tut. Dass der Film mit dem Versprechen, dass man jetzt ein – vom Protagonisten selbst autorisiertes – Biopic zu sehen bekommt, wirbt, aber uns dann letztlich einen Film über Männerbilder – auch über die Generationen und Zeiten hinweg sozusagen – und über einen „starken“ Mann, der sich eine Depression eingestehen muss, bietet, fand ich unerwartet. Und offenbar nicht nur ich, denn dieser sehr ruhige, ja bedrückte Film war kein Erfolg an den Kinokassen. Denn wer sollte ihn auch schauen? Für viele Springsteen-Fans ist all das kaum attraktiv für einen Kinobesuch, denn der Film bedient so gar nicht die „Big Star“- und „American Hero“-Geschichte; und Leute, die für Springsteen aufgrund seines Images ohnehin nicht gerade viel Interesse übrig haben, ja auch nicht. Beide würden eben einen anderen Film erwarten.

Daher ist es eben vielleicht gerade ein Film für jene, die mit derlei Erwartungshaltung gar nicht erst vorbelastet sind. Letztlich ist es ein viel kleinerer „Indie“-Film, als man erwartet, gerade auch im Zuge der vielen (sehr erfolgreichen und groß angelegten) Biopics über andere Stars der populären Musikwelt in den letzten Jahren, die stets klangvoll damit enden, dass der Star am Ende mit dem großen Erfolg aus der Krise hervorgeht. Wie es 1984 mit Springsteen weiterging, das wissen wir; der Film erzählt es aber nicht.

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