In Atmosphären leben
Dass der Kinostart von „The Mastermind“ mit einem Kunstdiebstahl aus dem Louvre zusammentreffen würde, ist eine bemerkenswerte Synchronizität, mit der die Regisseurin Kelly Reichardt ganz sicher nichts zu tun hat. Irgendwo habe ich eine Überschrift aufgeschnappt, in der es hieß, die öffentlichen Museen seien generell nicht besonders gut gesichert. In „The Mastermind“ steht der Fluchtwagen an einem Wochentag um die Mittagszeit direkt vor dem Museumseingang. Die angeheuerten, eher zweifelhaften Profis schauen sich erst auf der Fahrt die Fotos von vier abstrakten Gemälden von Arthur Dove an, um sich die geplante Beute einzuprägen. Sie stülpen sich Damen-Feinstrumpfhosen über die Köpfe und rennen etwas später mit den Bildern die Treppe herunter und direkt durch die Ausgangstür, vor der nur ein einziger uniformierter Aufpasser steht, der dem Schwung der beiden Männer nichts entgegensetzen kann. In einer Wohnung hängt ein Wandkalender. Der Film spielt im Jahr 1970, zunächst in Massachusetts. Der Zeitkolorit ist fast überdeutlich: Die Autos, deren Motoren damals deutlich lauter dröhnten als heute, die Inneneinrichtung der Wohnungen und Hotels, die Kleidung, die Telefone, dazu ein neues Selbstbewusstsein von Frauen und der Vietnamkrieg. Kelly Reichards große Stärke liegt darin, Atmosphären spürbar zu machen. Dafür braucht es Zeit und in all ihren Filmen stellt Reichardt ihren Figuren diese Zeit zur Verfügung. Dieses Empfinden überträgt sich beim Zuschauen. Weitere zentrale Themen sind feine Beobachtungen von Menschen; oft sind die Frauen die stärkeren und die Männer verstecken ihre Unsicherheit hinter einer geschäftigen Fassade. Einsam wirken sie letztlich alle, auch die Kinder. In Reichardts Filmen rückt der Plot eher in den Hintergrund. Was die Regisseurin zeigt, das sind die Beobachtungen ihrer Figuren, das Empfinden, und vor allem das, was in den sozialen Beziehungen spürbar wird, ohne dass es verbalisiert wird. Beim Zuschauen geht es darum, sich das Ungesagte bewusst zu machen. Eine Eigenleistung, an die man sich erinnert. In „Meek’s Cutoff“ aus dem Jahr 2010 hat der ins Unendliche reichende Raum der Prärie, durch den ein Track von drei Familien Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Rocky Mountains Richtung Westen zieht, die starke Präsenz einer Hauptfigur. „Certain Women“ beschäftigt sich mit dem Leben dreier Frauen, die ihre ganze Kraft darauf aufwenden, sich im ländlichen Westen der USA zu behaupten; manchmal möchte man nicht glauben, dass dieser Film im Jahr 2016 spielt. Die schönste Szene des Films: Zwei Frauen sitzen spät am Abend auf dem Rücken eines Pferdes, das im Schritt eine kleine Strecke Weg in einer Ortschaft zurücklegt. Alles ist dunkel, nur ein paar Lichter und die Illusion einer Gemeinschaft.
17 Kommentare
Michael Engelbrecht
Gibt es irgendwo eine Kelly Reichardt Rertrospektive, ist das alle aus youtube, oder bist du eine Sammerin rarer Schätze? Scheint die Ruhe wegzuhaben, die Lady! Und der Soundtrack des „Räuberfilms“ – from the 70s?
Ich musst ewig warten, bis ich Robert Altmans „California Split“ wieder sehen konnte, abseits einer immens teuren DVD – auf youtube stellte diesen kleinen feinen Film endlich jemand rein und ich trat eine Zeitreise in meine späten Teenagerjahre an: es ist unendlich fesselnd, einem Film, der einen einst völlig verzauberte, nach Ewigkeiten wiederzuehen. Diesmal keine Enttäuschung!
Michael Engelbrecht
Sowohl Reichards Film wie California Split sind wohl „lowkey“😉
„Lowkey“ bedeutet in der Jugendsprache je nach Kontext „ein bisschen“, „unterschwellig“, „unauffällig“ oder „entspannt“. Es kann auch „insgeheim“ oder „heimlich“ bedeuten, um etwas zurückhaltend auszudrücken, das man nicht allzu laut sagen will. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Fotografie, wo „low-key“ Bilder mit dunklen, zurückhaltenden Farben beschreibt. (Sagt google)
Martina Weber
Für mich ist dieser Blog und früher manafonistas genau das: eine Möglichkeit, über das, was mich an künstlerischen Arbeiten fasziniert und interessiert, zu schreiben. Beyond Mainstream, you know? Wie kannst du nur denken, dass sich mein Text auf einen anderen Text oder gar auf ein youtubevideo bezieht? 2006 und 2008 kamen zwei Filme von Kelly Reichard in die Kinos, die ich hier im malsehnkino gesehen habe: „Old Joy“ und „Wendy and Lucy“. Eine ehemalige Teilnehmerin meiner Literaturwerkstatt, die auch in meiner Anthologie vertreten ist, ist große Cineastin und inzwischen Filmemacherin: Angela Regius. Sie hat mich vor eineinhalb Jahren auf Kelly Reichardt aufmerksam gemacht, so dass ich wieder den Bogen zu dieser Regisseurin gefunden habe. „Meek’s Cutoff“ und „Certain Women“ kenne ich also schon länger. „The Mastermind“ läuft hier im malsehnkino, ein typischer Malsehnkinofilm. Ich glaube eher nicht, dass Kelly Reichardts Filme deinen Geschmack treffen. In „The Mastermind“ könnte dich allenfalls der 1970er Charme begeistern. Ansonsten würdest du dem Film keine 3 Punkte geben, von fünf. Vielleicht würde dir die Musik gefallen. Ich weiß nicht, ob sie aus der Zeit war. Mich hat die Musik fast immer gestört. War auch viel zu laut. (Und, ich habe hier natürlich noch so einige Raritäten, über die ich noch schreiben werde, die garantiert niemand oder kaum jemand von euch kennt.)
Michael Engelbrecht
The art of misunderstanding …
die Frage war, ob du den Film aif youtube gesehen hast, was ja völlig legitim ist, so wie man ein Album beurteilen kann, ob man es auf youtube hört oder als audiophile lp besitzt…. so war es gemeint😉
„ist das alles aus youtube“ – dieser Satz macht zwar missverständnisse möglich, aber – – Klärung kommt jetzt — „alles“ bezog sich auf die Filme der Lady. Ich entdeckte ja auch California Split auf youtube… Wieso sollte ich, ausser volltrunken, nachfragen, ob du dich auf einen youtube Text beziehst😂
Aber zur Sache eine Frage: hat dich die Musik in „The Mastermind“ tatsächlich gestört? Zu viel und zu laut?! Ein Film, der „in Atmosphären lebt“, kann dies eigentlich auch und sehr gut mit Musik. Aber in diesem Falle war das für dich ein „Atmosphärenstörer“, right?!
flowworker
Mein schönstes Kinoerlebnis der jüngsten Zeit war
MEMOIRS NO. 3
Anders als der von mir als Vollflop empfundene Vorgänger ROTER HIMMEL (hat in der Zwischenzeit noch einen Stern verloren **), ist dieser Film von Christian Petzoldt auch in meinen Augen ein „Gedicht“, mit – deshalb fällt mir das hier ein – genialem Soundtrack, der wahrlich den Film noch mehr in seine Atmosphären eintauchen lässt! (m.e.)
Martina Weber
Ah, verstehe das Missverständnis. Wenn ein Film gerade anläuft, gibt es ihn aber erstmal nur im Kino und glücklicherweise nicht im Netz.
Ich habe geschrieben, dass mich die Musik fast immer gestört hat, weil mich die Musik fast immer gestört hat. Natürlich kann Musik auch Atmosphäre schaffen und das hat die Musik sicherlich auch getan, aber für mich hat es nicht funktioniert. Ich achte im Unterschied zu dir auch viel weniger auf die Musik und wenn ich Filme gesehen habe, kann ich mich danach selten zur Musik qualifiziert äußern. Ich achte eher auf die Geräusche, die das Filmgeschehen vermittelt. Das Zuschlagen von Autotüren war sehr präsent, aber am liebsten höre ich, wie jemand auf einem Weg geht, der kein asphaltierter ist. Das Knirschen der feinen Steine, das Öffnen einer Tür, you know?
Vom neuen Petzoldtfilm hattest du schon geschrieben; ich habe ihn noch nicht gesehen.
flowworker
Aber es gibt auch Filme und Serien, in denen du die Musik liebst, sonst würde ich erstaunt sein! Und ich bin gerne erstaunt.
Das Unbewusste etwa kann die Misik lieben, ohne dass das Bewusste viel oder ünerhaupt was von ihr mitkriegt.
Twin Peaks hingegen kann man gar nicht lieben, ohne die Musik in grossen Zeilen ganz bewusst in sich aufzunehmen.
m.e.
Lajla
Der Text über den Film endet mit einem dichten Bild, allein schon deswegen würde ich diesen Film gerne sehen.
Anonym
Ich könnte mir vorstellen, dass dir Martina, der Fotograf Ruben van Luijk gefällt.
Martina Weber
Lajla, das Bild mit dem Pferd stammt aus dem Film „Certain Women“ und nicht aus „The Mastermind“. Ich kann deinen Geschmack nicht so einschätzen, kann mir aber vorstellen, dass du in „The Mastermind“ die 70er Ästhetik schätzt, während „Certain Women“ dich vom Thema her sicherlich mehr berührt.
@ Anonymus (oder auch Lajla): Der Maler wird u.a. mit Satanismus in Verbindung gebracht, wenn ich das richtig recherchiert habe. Das ist nicht so meins.
ijb
Ah, The Mastermind … obwohl ich sonst großer Freund von Kelly Reichardts Werk bin (mein Co-Autor und ich sprechen ganz oft über ihre Filme, ihre Erzählweise und Inszenierung), fand ich den leider weniger stark als ihre letzten Filme. Und das, obwohl der ja streckenweise ja doch recht unterhaltsam und witzig war bzw. ist. Aber in der zweiten Hälfte verlor das deutlich an Dichte. Irgendwie muss ich wohl sagen, dass ich das vom Kopf her wohl besser fand als dem Herzen nach.
Ich kann aber offenbar auch mit diesem Josh O’Connor so gar nichts anfangen, verstehe auch diesmal wieder nicht, warum die Leute auf den und seinen Schluffi-Style so abfahren. Da geht’s mir dann wohl ein bisschen wie Michael mit seiner Abneigung gegen Roter Himmel und dessen Protagonist. Denn natürlich ist Miroirs No. 3 keineswegs viel besser als Roter Himmel – oder andersrum der vorige Film ein Totalflop, der neue eine Rückkehr zu alter Stärke; die Filme haben weit mehr gemein, als sie trennt, bis hin zu Motiven, Szenen, Dialogen und Besetzung. Mir hat der auch gut gefallen, und auch wenn Mathias Brandt und Barbara Auer ganz toll sind und eine ganz wunderbare Chemie miteinander haben, ist die Figur, die Brandt spielt, natürlich viel zu vergeistigt für einen authentischen Automechaniker, und Auers und Beers Figuren ebenfalls nicht weniger filmgedichtig, vom Realismus entrückt als die Figuren in Roter Himmel. Sehr interessant aber, wie sehr Petzold über die Jahrzehnte seine Filme mittlerweile extrem entschleunigt und von immer mehr Plot befreit hat, bis sie ihren etwas philosophischen Versuchsanordnungscharakter gar nicht mehr verheimlichen.
Aber nochmal zu The Mastermind: Die Musik hat mir echt gut gefallen. Es ist Rob Mazurek, bekannt von International Anthem, und seine Musik trägt ja doch sehr zum Zeitkolorik bei, in dem Sinne, dass sie eine sehr heitere, luftige altmodische Qualität hat und den Film im Jahr 1970 verankert – und auch zu einer gewissen Unterhaltsamkeit beiträgt. Ich kann allerdings auch nachvollziehen, warum sie dir weniger zusagt. Ich fand schon auch, dass sie leider ab der Hälfte des Films ein bisschen langatmig wird, weil sie sich dann doch auch wiederholt und in der Tat vielleicht eine Spur zu häufig auf die gleiche Weise eingesetzt ist (was aber wiederum auch genau so gedacht sein kann).
Nur Kelly Reichardts vorige Filme, Showing up und Night Moves und Certain Women (wo im Vergleich dann doch auch echt wenig „passiert“), fand ich alle irgendwie besser und dichter und überzeugender. Hier kann ich gut drüber nachdenken und kann auch den vielen sehr positiven Rezensionen vom Kopf her gut zustimmen, aber sowohl ich als auch meine „bessere Hälfte“ fanden es an dem Tag doch streckenweise einfach zu lang(sam) und die Zielrichtung irgendwie unentschieden.
Letztens war die Regisseurin hier zum Gespräch, aber ich habe keine Karte bekommen, habe aber mehrere Interview mit ihr zum Film gelesen (der Film hat ja ungemein viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, viel mehr als ihre Filme sonst, vermutlich wegen Josh O’Connor, aber sicherlich werden die meisten im regulären Publikum sich mit dieser sehr starken Langsamkeit und zunehmenden Handlungsarmut schwer tun), die ich empfehlen kann. Das eine ist in EPD Film; das andere fällt mir grad nicht ein. Aber im Film-Dienst ist ein kleiner Beitrag zu der genannten Veranstaltung, zu der ich keine Karte bekommen habe.
Sehr empfehlen möchte ich hier noch Marc Marons Gespräch mit Kelly Reichardt über ihre Biografie und Karriere; das war 2023. Ich habe das schon zwei Mal angehört. Viele spannende Gedanken und Erzählungen, auch über ihre langjährige Beziehung/Freundschaft mit Todd Haynes. (Kann man hier direkt als mp3 herunterladen.)
Lajla
Martina, Van Luik ist auch Religionswissenschaftler, er hat über dieses Thema promoviert. Mich interessiert das auch nicht. Aber seine Fotografische Leistung ist bemerkenswert. Er fiel mir auch wegen deines Titels ein. Er fotografiert “ atmosphärisch“.
flowworker
@ BINGO: der Soundtrack vertieft den Zauber vn Miroirs No. 3. , von Ravels titelgebendem Zauberstück ganz abgesehen.
Ganz herrlich die Sequenzen mit den „Pop-Songs“ von Mathilde Santing und diesem Schmalzrocker zum Ende des Films hin. Da musste ich öfter gleichzeitg schmunzen und eine gewisse Gänsehaut als Begleitphänmen schönen Erschauerns wahrnehmen.
Es gibt übrigens auch vergeistigte Handwerker, Ingo😉, im Leben, aber auch in der Literatur: ich erinnere an „Nachmittag eines Fliesenlegers“ von Lars Gustafsson.
Kleine Abschweigung: gestern die Necks (das tollste Konzert, das ich je in Aachen sah. Das gilt auch für meinen Sitznachbarn Olaf West 😉 …
Und sehr nette humans kennengelernt, ein Paar aus Düsseldorf und einen mir bislang unbekannten Hörer meiner Sendungen über die Jahre namens Bernhard: letzterer wird für den Blog angeworben. Olaf und ich haben wunderbare Musikerlebnisse von ihm erzählt bekommen. 😅
ijb
Hier gestern magisches Konzert mit Wadada und Vijay. Ausgezeichnete Musikkunst. Sehr intensiver und ruhiger Abschluss des ersten JazzFest-Abends. Vielleicht zu ruhig und für manche Leute, die leider früh (und teils unsensibel krachmachend) gegangen sind, anscheinend nicht „jazzig“ genug. Es war toll, die beiden noch einmal wiederzusehen, und hat mich dazu inspiriert, das zweite Duo-Album mit „neuen Ohren“ anzuhören.
Martina Weber
@ Ingo, ich fand „The Mastermind“ auch schwächer als andere Filme von Kelly Reichardt. Vielleicht war der Film gerade wegen seiner witzigen Passagen mehr für ein größeres Publikum gedacht? In einer Rezensionen unter deinen Links, die vor dem Louvre-Diebstahl geschrieben wurde, stand, dass ein solcher Kunstdiebstahl oder Raub heutzutage undenkbar sei 😉
Stark fand ich Elemente, die ich in meinem Text eher allgemein auf Kelly-Reichardt-Filme bezogen habe, also Gefühlswelten die unter den Bildern spürbar werden zu lassen. Beispielsweise als die Hauptfigur einen verheirateten Freund besucht und wie sich die Dynamik bis zu seiner Abreise entwickelt.
Interessante Links!
Inzwischen habe ich mir den ersten Film von Kelly Reichardt bestellt: River of Grass. Vielleicht erzähle ich hier davon.
@ Lajla: Hast du einen Link oder Buchtipp zu Van Luik?
@ Michael: Natürlich gibt es Filme, deren Musik ich mag. Zwei Beispiele:
Young Adam (mit Musik von David Byrne) – übrigens deine Empfehlung aus einer Klanghorizonte-Sendung über Filmmusik
Morvern Callar – über Buch und Film schrieb ich hier: https://flowworker.org/2025/02/11/morvern-callar-die-musik-treibt-sie-immer-weiter/
ijb
River of Glass habe ich noch nie gesehen, aber ich erinnere mich, wie sie ausführlich in einem Gespräch davon erzählt hat – und das, gerade auch für mich als jüngeren Filmemacher sehr interessant war. Ich bin ziemlich sicher (aber kann nicht drauf schwören), das war (bzw. ist) in dem erwähnten Gespräch mit Marc Maron ein Thema. Marc Maron hat in seinen zahlreichen Künstler/innen-Gesprächen ja sehr oft den Fokus auf die jeweiligen beruflichen, kreativen und persönlichen Lebensläufe seiner Gäste, und nicht selten geht es dann auch um die früheren Jahre, in denen die Leute den richtigen bzw. den ihnen eigenen Weg gesucht und gefunden haben, und um die Rückschläge und Scheiterungserfahrungen jener Jahre.
Das sprach mich bei Kelly Reichardt, auch an anderen Aspekten des Gesprächs und ihrer Arbeit, sehr an.
Die Sequenz mit dem Paar war in der Tat, wie überhaupt natürlich sehr vieles in dem Film, durchaus hervorragend und sehr versiert geschrieben und inszeniert. Da können nicht viele der Regisseurin das Wasser reichen; gerade auch, weil sie das immer auf ihre ziemlich eigene Weise macht und sich nicht verbiegt zugunsten einer besseren, breiteren Verdaulichkeit.
Ich musste letzte Woche auch nochmal drüber nachdenken, wie breit und in allen Zeitungen/Zeitschriften „The Mastermind“ rezipiert und rezensiert wurde. Das ist schon ein enormer Unterschied zu ihren letzten Filmen, die nahezu gar nicht wahrgenommen und besprochen wurden, allenfalls in ganz kleinen Cineastenkreisen. „First Cow“ habe ich selbst verpasst, weil er nur ganz kurz in einem Kino lief, und „Showing Up“ hatte jahrelang nicht einmal eine Auswertung hierzulande; ich sah ihn in einer Sondervorstellung im Arsenal-Kino.
Ich musste daran erst am Wochenende nochmal denken, als ein Freund von mir sagte, er habe „den neuen „Julia-Roberts-Film“ gesehen. In meinem Umfeld bzw. in Filmliebhaberkreisen wird der Film als „der neue Guadanigno“ wahrgenommen und wurde als solcher heiß erwartet; das Julia Roberts mitspielt, spielt für die Leute da eine untergeordnete Rolle – aber beim breiteren Publikum ist das natürlich der entscheidendere Faktor, weshalb Leute dann auch in den Film gehen, die die früheren Filme des Regisseurs gar nicht erst wahrgenommen haben, etwa „Bones and all“ oder „Suspiria“ und „Queer“ auch nur, wenn man James Bond gerne mal als William Burroughs auf der Suche nach jungen attraktiven Männern sehen wollte…
Ähnlich ist jetzt natürlich Josh O’Connor für einen entscheidenden Teil des Kinopublikums der Faktor, nicht Kelly Reichardt. Das war allerdings auch ein (Neben-)Aspekt, der mich ein bisschen gestört hat – nicht nur hier zugegeben: Dass heute diese Figuren in historischen Filmen, die in den Sechzigern, Siebzigern oder auch in noch viel fernerer Vergangenheit spielen, und sonst viel Wert auf realistischen Zeitkolorit legen, dann so perfekt trainierte, muskulöse Fitnesscenter-Figuren haben, was eigentlich gar nicht zu der Figur passt, die sie da spielen – Josh O’Connor in „The Mastermind“ als prägnantes Beispiel unter vielen anderen –, das finde ich dann schon ein bisschen unglaubwürdig und auch irritierend. Dann sollte er sich halt vielleicht besser nicht ausziehen in der Geschichte, wenn der von Kraftraining gezeichnete Körper so offensichtlich nicht zu der schluffigen Figur passt, die er spielt. Ich müsste kurz nach weiteren Beispielen überlegen, aber das ist mir in den letzten Jahren häufiger aufgefallen. In Filmen vor 10 oder 15 war das noch nicht so deutlich.
Martina Weber
Dass die Körper nicht zu den Figuren, die dargestellt werden sollen, passen, ist eine interessante Beobachtung, Ingo.
Ich selbst gehe eher selten ins Kino und schaue die Filme am liebsten zu Hause auf DVD. Erst jetzt habe ich „Night Moves“ gesehen und bin total begeistert davon. Ab der zweiten Hälfte wird der Film immer intensiver. Die Schlusseinstellung (Blick in einen Hohlspiegel – damit verrate ich nicht zuviel) ist sehr gut gewählt und damit ist das Ende offen. „Night Moves“ – das ist ein ganz ruhiges Independentkino, nichts fürs große Publikum. Man muss das Schweigen aushalten können, und einen längeren Blick ins Dunkle.
„River of Grass“ ist noch unterwegs.