Bericht aus Mainz

Als ich meine Karte in einer Kneipe in der Nähe des Stadions abholte, wurde klar, dass ich doch nicht auf der Pressetribüne landete, aber einen formidablen Sitzplatz in Höhe des Mittelkreises bekam. Allerbeste Sicht, und kein Sardinendosenbüchsenfeeling wie in der Woche zuvor in der Gelben Wand! Ein grundsolider Auswärtssieg mit magischen Momenten!

Hier waren keine Klassenunterschiede zu sehen, vielmehr die Kleinigkeiten, die Spiele entscheiden. Ein dezentes Übergewicht individueller Qualität. Nach dem Spiel und nach fünf Spieltagen gibt es nur eine Antwort auf das unausweichliche Thema: es gibt keinen echten „Bayern Jäger“, und spätestens zu Weihnachten wird das Thema ad acta gelegt sein, weil München viel zu souverän agiert, und es bei einem Rennen der üblichen Verdächtigen um die Championleagueplätze 2-4 bleiben wird. Der BVB spielte das Spiel „seriös nach Hause“ mit zwei toll herausgespielten Toren, bei denen mein persönlicher Lieblingsspieler Jule Brandt (grosser Freund von Anime-Filmen und sowieso ein intelligenter Bursche) zu glänzen wusste.

Zum Aktuellen Sportstudio war ich zurück und bekam unterwegs noch die Radioreportage von dem verrückten 4:6 von Gladbach gegen Frankfurt mit. Ich freue mich natürlich, wenn ein Dortmunder im Sportstudio gastiert, aber das Interview von Katrin Müller-Hohenstein mit Sebastian Kehl hätte ich auch vorher schriftlich „erfinden“ können, so vorhersehbar und hübsch nichtssagend war es. Ein typisches Kehl-Interview im Manager-Sprech: der gute Sebastian ist stets kontrolliert, lässt sich nicht locken, und die gute Katrin ist die personifizierte Gute-Laune-Korrektheit ohne Überraschungswert. Sind ja auch landesübliche alte Hüte, die da Woche für Woche verbraten werden, wie die Frage – gähn, gähn! – nach dem „Bayern-Jäger“.

Bei dem Spiel gestern kam es nur zu Kurzeinsätzen der Neuen. Ich habe, vom Gefühl her, grosse Hoffnungen, was Fabio Silva angeht, der viel von Europa gesehen hat als Leihspieler der „Wolves“, und zuletzt bei Mallorca seine spielerische Klasse bewies, mit Toren und technischer Rafinesse. Vielleicht wird er bei „uns“ endlich heimisch. Anselmino zwickt es noch in der Wade, und auch bei diesem Neuen mache ich mir keine Sorgen. Er zeigte bei seinem bislang einzigen Auftritt allerfeinste Grätschen, wie man sie von ambitionierten argentinischen Innenverteidigern kennt. Leider ist seine Leihe am Ende der Saison beendet, und er wird zu Chelseas Spielerbasar zurückkehren.

Chukwuemeka hat alles drauf, was ihn in meinen Augen zu meinem nächsten „favourite player“ machen könnte: einen Blick für die Tiefe des Raumes, spieltaktisches Knowhow und geniale Einfälle. Leider ist seine Vita von permanenten Verletzungen begleitet, deren Ursache man im weiten Feld von „Wachstumsstörungen“ ausmachte. In seinen wenigen Einsätzen konnte man ahnen – und sehen, was in ihm steckt.

Geduld ist das Zauberwort bei Jobe Bellingham. In einer souveränen Pressekonferenz vor Saisonbeginn zeigte er sich so klug wie selbstbewusst und tat kund, er wolle einer der besten Mittelfeldspieler Europas werden. Derzeit kommt er nicht einmal an Sabitzer und dem leider politisch komplett verpeilten Mnecha vorbei. „Erst kürzlich war der 24-Jährige auf einem Tiktok-Video mit einem Buch vor sich zu sehen, in dem ein evangelikalen Prediger über die Rolle der Frau, wie sie Gott ihr angeblich zugedacht hat, schreibt. Es ist – wenig überraschend – eine untergeordnete Rolle“ (taz)- Frau Hohenstein, da hätten sie mal nachharken können! Ich schweife ab: Jobe und Jude. Ich bezweifle, dass Jobe wie Bruder Jude beim BVB gross Geschichte schreiben wird (und das war ja auch nur eine Kurzgeschichte). Im Moment sehe ich in ihm das Potential eines guten Box-To-Box-Spielers, der in diesem Jahr wohl kein einziges Mal eine 1 oder 1,5 vom „Kicker“ bekommen wird.

Es hatte jedenfalls riesig Spass gemacht, mal wieder bei einem BVB-Spiel auswärts dabei zu sein. Auf der Rückfahrt, nach gewohnt langer Stauzeit bei solchen „events“ , lief neben den Live-Schaltungen aus Gladbach auch die dritte der drei CDs von Jeff Tweedys zauberhaftem „Twilight Override“. Dreissig Songs – nur einer gefällt mir gar nicht, mit einer kleinen Überdosis Chorgesang. Selten höre ich in Stadien gute Musik – da gibt die übliche Folklore den Ton der „Stimmungsmusik“ an. Unvergesslich jene fünf Minuten vor Jahrzehnten, in denen einst im Westfalenstadion ein Song erschallte, der uns allen etwas über das Leben mitteilt, und damals dermassen in die Bein ging, dass ich nur zu gern dazu getanzt hätte: „Road To Nowhere“ von den Talking Heads. Jetzt gegen Bilbao und Leipzig zwei anspruchsvolle Heimspiele, und dann zu den Bayern. Danach ist wohl erst mal Schluss mit dem „Jägerlatein“ – leider, sagt der Fan in mir!


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