Noch mehr Tibbetts
Ich habe die Musik von Steve Tibbetts erst in diesem Jahrzehnt wirklich für mich entdeckt und besitze inzwischen seine fünf auf ECM erschienenen LPs – Platten, die hier immer wieder gerne aufgelegt werden. In letzter Zeit sogar häufiger; sicher auch deshalb, weil Michaels Texte Lust darauf machen. Vor zwei Monaten habe ich außerdem – angestoßen durch eine Begegnung mit der Musik von John Fahey – gefühlt alle Gitarrenalben aus meiner Sammlung hervorgeholt, um mich wieder einmal von diesen Klangkörpern umschließen zu lassen.
Zwar ist über Steve Tibbetts hier in jüngster Zeit schon einiges geschrieben worden; doch gute Musik kann man nicht oft genug preisen. Deshalb nun auch von mir, in loser Folge, ein paar Worte zu seinen fünf auf Vinyl erhältlichen Platten.
Yr ist die älteste Aufnahme und wurde von ECM 1988 wiederveröffentlicht (ursprünglich wurde Yr 1980 veröffentlicht). Alles ist extrem sorgfältig aufgenommen, jeder Ton fein ziseliert. Die Möglichkeiten des Studios werden mit spürbarer Lust ausgereizt: Stereoeffekte, die Dynamik zwischen laut und leise – und vor allem: Klang, jede Menge Klang. Mit dem berühmten ECM-Motto „the most beautiful sound next to silence“ hat das wenig zu tun. Warum nur eine Gitarre aufnehmen, wenn man mehrere Spuren nutzen kann? Dazu kommen Percussion, Synthesizer – doch nie wirkt es überladen. Alles ist wohlabgewogen, wahrscheinlich in mühevoller, zeitintensiver Kleinarbeit erarbeitet. Und die Musik selbst? Vielleicht noch psychedelischer und zugleich zugänglicher als auf den späteren Tibbetts-Alben – trippy, ein smoker’s delight.
Auf Yr gibt es viel zu hören: Klänge und Töne von links und rechts, große Dynamik. Auf dem Nachfolger – zugleich Tibbetts’ ECM-Debüt – Northern Song (1982) wirkt die Musik dagegen über weite Strecken so, als ob Klang und Stille einander gegenseitig konturierten. Sie ist der Stille abgerungen – und umgekehrt. Die Besetzung ist sparsamer: Gitarre, meist akustisch, dazu Percussion. Das Ergebnis ist fast mehr Ambient als Jazz – eine konzentrierte Klangwelt, ein Substrat, eine Essenz. Mehr als Musik.
4 Kommentare
flowworker
Das, lieber Olaf, sind jetzt die Tibbetts-Wochen. Ich habe auch mit einer Retrospektive begonnen, abe die wird gebündelt über kurz oder lang unter den monthly revelations in der Abteilung ARCHIVE auftauchen.
Der äussere Anlass war natürlich die erste Begegnung mit CLOSE, die all das angestellt hat mit mir, was Alben anrichten, die uns völlig in ihren Bann ziehen. Und umhauen, umwerfen, schocken, alles.
HIER mein kleiner Text zu YR, so eine Collage aus eigenen Sätzen und Fragmenten alter Rezis.
Also, ich liefere deinen kleinen Anmerkungen zu den 5 Platten kleine Echos hinterher. Freu dich auf Steve, den Storytellern, in den Klanghorizonten. Keiner seiner Geschichten und Gedanken wurde hier zuvor gepostet:)
flowworker
Rob Caldwell schrieb über Northern Song eine feinen kleinen Text, in AllAboutJazz:
Song titles such as „The Big Wind,“ „Form,“ „Walking,“ and „Aerial View“ convey a marriage of sound and word. The strong Asian influence present in much of Tibbetts‘ music is less obvious on „Northern Song“, but an openness to non-western music, as well as a reverence for the natural world and big landscapes still prevails.
The songs sound like music for a locale defined by the elements and surrounded by a lot of primeval space. Space and sky, time and wind, rock and earth. More accurately, it’s the music of a rich wild nothingness. A wild nothingness sometimes dark, occasionally lonely, but just as often warm, intimate and inviting.
P.S. no one sings, but they ARE songs (m.e.)
Olaf Westfeld
Ja – hatte sowieso aufm Zettel irgendwann was über diese Alben von Herrn Tibbetts zu schreiben, habe wohl von kaum einem Künstler in den letzten 2-3 Jahren mehr Musik gehört.
Es müsste nur mehr Langspielplatten von ihm geben 🙏
Martina Weber
Northern Song habe ich vor etwa zehn Jahren entdeckt, und ich glaube, es ist mein Lieblingsalbum von Tibbetts, na ja, ich muss mich ja nicht entscheiden. Jedenfalls habe ich vor zehn Jahren auf manafonistas ein fiktives Interview mit Steve Tibbetts über die Entstehung des Covers von Norhern Song geführt, eine Mischung aus Fakten und Fantasie, hier der Link:
https://www.manafonistas.de/2015/05/03/the-story-behind-one-of-the-most-famous-ecm-covers/