Musik aus der Zukunft

Am 19. März 2022 lief im Deutschlandfunk die dreistündige Sendung „Aus den Trümmern zu den Sternen. Eine lange Nacht über elektronische Musik aus Deutschland“, von Steffen Irlinger und Tom Noga. Ich habe meine Aufnahme neulich wiedergehört. Das Fazit der Sendung war, wie uns allen bekannt, dass die Impulse der elektronischen Musik aus Deutschland von Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre, aber auch darüber hinaus, in der Musikgeschichte bis heute nachwirkt und noch Jahrhunderte nachwirken wird.

Am meisten begeistert an der Aufnahme hat mich ein Auszug aus dem Album, das für Tangerine Dream zum größten Erfolg wurde: Phaedra (1974). (Das Album würde ich auf die Liste der Musik aufnehmen, die zu meinem musikalischen Archetyp gehört, über den ich einmal in einem Text auf manafonistas schrieb.) Phaedra entstand aus Material, das beim Herumprobieren an einem neuen elektronischen Gerät in einem Londoner Studio aufgenommen wurde. Zum 50-jährigen Jubiläum erschien eine sechsteilige Box, mit Outtakes und anderem.

Weitere ausgewählte in der Sendung an- oder ausgespielte Alben und Titel:

Neu! (ohne Titel, 1972)

Kraftwerk: Autobahn (1974): Langfassung von ca. 22 Minuten und Kurzfassung von ca. drei Minuten, zu der es kam, nachdem ein US-amerikanischer Musikmanager mit der Band Kontakt aufgenommen hatte. (Der Erfolg des Songs während der Tournee durch die USA hatte auch damit zu tun, dass die Worte „fahrn, fahrn, fahrn“ an den Song „Fun Fun Fun“ von The Beach Boys erinnerte.)

Kraftwerk: Das Model

Kraftwerk: Radio Activity

(Bemerkenswert bei beiden Songs, dass sie inhaltlich keine angreifbare Position beziehen, sondern beliebig interpretierbar sind).

Ash Ra Tempel: Ash Ra Tempel (1971)

Ash Ra Tempel: Seven up (1973), mit Timothy Leary

Manuel Göttsching: E2 – E4 (1984) (Wurde in den 90er Jahren von DJs gespielt und remixt)

Harmonia: Tracks & Traces (1996 veröffentlicht, aber 20 Jahre früher aufgenommen, mit Brian Eno, Roedelius, Möbius und Michael Rother)

Cluster & Eno (1977)

Eno, Möbius, Rodelius: After The Heat (1978)

David Bowie: In dem Track „Warszawa“ aus dem Album „Low“ (1977) ist der Einfluss der deutschen elektronischen Musik klar erkennbar. Bowie bezeichnete die während seiner Zeit in Berlin entwickelte Arbeitsweise als „Teil seiner DNA“.

Tangerine Dream: Electronic Meditation (1971)

Tangerine Dream: Alpha Centauri (1971)

Tangerine Dream: Atem (1973)

Klaus Schulze: Irrlicht (1971)

Klaus Schulze: Cyborg (1973)

Ich habe alle erwähnten Titel und Tracks mit Youtube verlinkt.

15 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Mit manchen dieser Alben / Stücke bin ich gross geworden, anderes blieb am Rande liegen, wie Tangerine Dream. Ich hatt einmal 1975 oder so ZEIT gehört und es hat ohne Drogen nicht gewirkt:) – dann kamen bei VIRGIN REC. pulsierendere Töne raus von Tangerine Dream. Abwr tatsächlich habe ich Phaedra erst in diesem Jahr einmal richtig gehört, von vorne bis hinten – wäre damals in Würzburg wohl öfter gelaufen, wenn wenn wenn. Wer Phaedra mag, mag meist auch Rubicon aus dem Jahre 1975.

    In Jan Reetzes Buch DER SOUND DER JAHRE kommt die von dir gelistete Musik natürlich greosenteils auch vor – das Buch ist, unter den Sachbüchern, meine Lieblingszeitreise in die alte BRD geworden, neben Ronald Rengs SPIELTAGE – Die andere Geschichte der Bundesliga. Zu letzterem braucht man ein Fussball Gen in der DNA:)

  • Martina Weber

    Ich wäre auch gern mit dieser Musik aufgewachsen. Natürlich kannte ich einiges aus der Radiosendung schon (ich habe die Sendung ja auch schonmal gehört), und ich habe auch ein paar Alben hier, aber ich habe noch Entdeckungen gemacht. Interessant waren auch die Moderationstexte und die vielen O-Töne, zum Beispiel von Söhnen zentraler Gestalten. Ich wollte hier natürlich kein Referat halten, sondern habe mich auf eine Auswahl von Titeln konzentriert. In der ersten Stunde der Radiosendung ging es nur um die technischen Voraussetzungen für die elektronische Musik und um Wegbereiter wie Stockhausen und Oskar Sala. Phaedra jedenfalls habe ich mir erst neulich gekauft und schon oft gehört.

  • Lajla

    Danke für s Verlinken Martina. Das hat den Wert von einer kleinen Jukebox für mich.
    Hier läuft gerade das größte Musikereignis des Jahres. Mein Freund Torsten de Winkel richtet es seit 20 Jahren aus. Jetzt hat er junge Musiker eingeladen, die die traditionelle Musik mit elektronischer fusionieren. Das klingt toll. Die Gruppe nennt sich Anibal y Llarena.

  • Michael Engelbrecht

    Martinas Tracks kommen plus Text ins ARCHIVE der monatlichen Offenbarungen im September ….🪘🪘🪘

    Lajla, auf dem Festland träumen wir nur von desert island music, du hast sie frei Haus, sehr schön!

  • Martina Weber

    Gern mit der Rubrik „Archive“ für September verlinken, Michael.
    Lajla, klasse, dass es bei euch diese Festivals gibt.

  • Michael Engelbrecht

    Ich höre gerade Modern Lovers 88, und Jonahan singt gerade von einer durchtanzten Nacht. Und im nöchsten Lied fragt er Harpo Marx, wo er den wundersamen Harfensound her habe, und bittet ihn es noch einmal zu machen.
    Herrlich.

    Ich oute mich: ich bin ab jetzt Jonathan Richman Fan. Und ich schicke ihm das Gedicht, Martina. Es wird ihn freuen, wetten?!

  • Michael Engelbrecht

    „The aforementioned “Dancin’ Late at Night” chugs along like a blend of Buddy Holly, Chuck Berry, and the Ventures. “Circle I” goes full-on surf rock in its description of what is apparently a nudist agricultural cooperative ranch. And why not? Richman’s raspy saxophone punctuates the festive “California Desert Party,” creating a similar mood to those beach party movies taking place an hour or so west during the ‘60s. Rather than sounding empty, the lack of bass guitar in the arrangements makes these songs sound primal and alive. Richman gently sings a wordless lullaby during “The Theme from Moulin Rouge,” bringing Modern Lovers 88 to an unexpectedly wistful conclusion. (CraftRecordings.com)“

  • Martina Weber

    Na klar wird sich Jonathan Richman über dein Gedicht freuen. So wie sich jeder Kunstschaffende freut, wenn jemand anderes die eigene Arbeit versteht und künstlerisch darauf reagiert. Sehr nice.

  • Martina Weber

    Super! Danke, Lorenz. Wenn ich das früher gewusst hätte … Ich habe so einige Seiten handschriftlich mitgeschrieben und meine beiden Kassetten immer wieder zurückgespult.

  • Jan Reetze

    Ich erinnere dunkel, die Sendung wohl gehört zu haben. Der Titel von NEU! dürfte mit ziemlicher Sicherheit „Hallogallo“ gewesen sein. Gern wüsste ich, weshalb eigentlich NEU! und CAN immer als Elektronik-Bands dargestellt werden, aber das ist offenkundig nicht mehr aus der Welt zu bringen. NEU! hat überhaupt keine elektronischen Instrumente verwendet, und auch bei CAN ging es nicht über das hinaus, was jedes normale Studio anbieten konnte und was folglich jede Band hätte einsetzen können.

    Eine interessante Playlist ansonsten. Nicht alles darauf ist wirklich wichtig — Tangerine Dreams „Electronic Meditation“ und „Atem“ etwa sind wirklich nur noch von historischem Interesse; es sind Demo-Aufnahmen, die Rolf-Ulrich Kaiser in die Hände fielen, und er fand, das müsse veröffentlicht werden. „Alpha Centauri“ hat ihren Reiz, aber die wirkliche Bedeutung der Band begann, als sie sich von Kaiser getrennt hatte, mit Virgins Hilfe einen Big Moog erstand und in Virgins eigenem Studio tagelang herumexprimentieren konnte. Das Resultat war dann „Phaedra“, in der Tat ein Klassiker.

    Wirklich schön finde ich die beiden Cluster & Eno-Scheiben, wobei ich immer wieder schmunzeln muss, dass eines der markantesten Stücke auf „Cluster & Eno“ weder von Cluster noch von Eno ist, sondern von Asmus Tietchens und Okko Bekker. Sie waren nach einem Notruf von Roedelius eingesprungen, weil das mit Eno eingespielte Material nicht für ein Album reichte. Dass Tietchens das Stück dann „One“ genannt hat (= Eno rückwärts), passt. Genau sein Humor.

    Interessant ist auch die „E2 – E4“, denn Manuel Göttsching hat die in einem einzigen Durchgang völlig spontan genau so eingespielt, wie sie jetzt zu hören ist. Er hatte Glück, es war spät nachts, und der Nachbar schlief. Wenn der sonst nämlich das Licht einschaltete, krachte es in Manuels Mischpult.

    Lorenz, danke für die Webpage. Und übrigens, ganz unten auf der Site findet man einen Link zum kompletten Manuskript.

  • flowworker

    @ Martina: habe das Cover einer Ausgabe von Electronic Sound „eingefügt“. Wenn es dir njcht gefällt, nehme ich es wieder raus. Finde es aber sehr angenehm zur Auflockerung! 😉

  • Olaf Westfeld

    Fun Fact: Die Nacht, in der der Nachbar von Markus Göttsching schlief und dieser deswegen E2-E4 aufnehmen konnte, war an meinem 8. Geburtstag. Sehr gutes Album, das ich dann erst mit 45 oder so erstmals gehört habe.
    Scheint eine schöne Sendung gewesen zu sein!

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