Don’t Forget To Dance

„No, no, don’t forget to smile.“ Es ist das Lächeln, das hier auf der Insel etwas rar ist. Eine Woche Thailand wäre ein prima Update diesbezüglich.

Nun gab es zu meiner grossen Freude als Tanzfan eine dreitägige MOVE Veranstaltung. Die besten Tänzer trafen sich auf El Hierro. Natürlich bin ich als Düsseldorferin von Martin Schläpfer verwöhnt worden. Natürlich ist die fein ausgesuchte Begleitmusik hier nicht erwartbar. Aber, um es vorwegzunehmen, das Festival hatte Augenblicke von seiner Qualität. Mich hat zum Beispiel bei dem ersten Auftritt die Musik so gepackt, dass ich gleich zum Mischpult ging, um zu fragen, ob die Musik von David Sylvain sei. Fast. Der wunderbare Song I FOLLOW RIVERS ist von Silvain Chauveaux. Die Musik rettet das Tanzstück „Von Blütenblatt zu Blütenblatt“.

Wie wichtig bzw. attraktiv Requisiten sein sollten, zeigte sich bei diesem Tänzer, Daniel Morales. Eine alte Tasche, gefüllt mit Rosenblättern, reicht nicht aus. Noch augenscheinlicher fiel mir das bei Carmen Marias auf, die mit einem 50er Jahre-Outfit und einem alten Garderobenständer nicht glänzte, aber durchaus eine gute Choreografie zeigte und dein Spannungsbogen von Rückzug und Bühne gut darstellte.

Ganz ohne Requisiten kam die ELELEI Kompanie aus. Mit ihrer lockeren entspannten Art interagierte die Tänzerin von Anbeginn mit dem Publikum. Habt Ihr Robert gesehen, fragte sie und wann. Durch diese Interaktion, die natürlich nur auf solch einem Platz, der grosse Nähe zum Publikum erlaubt, gewann sie sofort meine Aufmerksamkeit. Der Plot ist schnell erzählt. Es geht ums Verlassenwerden, um grosses Leid, das bis zum Erblinden führt. Sie braucht Hilfe, ihr Tanzpartner führt sie bravourös durch die Wirrnis der Welt. Das Stück heisst: BLINDLINGS. Robert, sagt die Tänzerin zuletzt, nach dieser hervorragenden und risikoreichen Performance. Jeder falsche Schritt hätte auf diesem harten Boden Frakturen mitsichgebracht. Die laute Trommelmusik, der dräuende Himmel über dem Tanzplatz vor der schönen Kirche unserer Hauptstadt, all brachte zusätzlich eine dramatische Wucht in die grossartige Vorstellung. Für mich war es die beste Tanzperformance seit langem. Nur eine Handvoll Zuschauer hatten das Glück, diese talentierten Tänzer mitzuerleben. ELELEI. Great.

Auch die nächste Gruppe DANZA TTACK hatte Glück mit dem Wetter, das für eine düstere unheilvolle Atmosphäre sorgte. Gestalten in gummiartigen Anzügen kriechen von ausserhalb des Platzes bei lauter Wassermusik ins Zentrum des Geschehens. An diesem Abend waren wir zehn Zuschauer. Die beiden Tänzer, ein Pärchen, versuchen alles, um sich einander zu nähern. Ihr Tanz ist hart, aggressiv, aber sie erreichen die optimale Harmonie am Ende. Das war ein schweres Stück Arbeit, wie im richtigen Leben. Die Ächzlaute aus den Speakern überhöhten diese Schweissarbeit.

Ein ganz anderes Thema zeigten die beiden Ukrainerinnen am letzten Tanzabend. Sie waren von der Gemeinde eingeladen worden, wie sie mir erzählten. Wegen des Kriegs in der Ukraine leben sie in Polen, dort arbeiten sie als Tanzlehrerinnen und natürlich als Tänzerinnen. Sie treten häufig im TV auf. Hier durften sie in der Kirche tanzen. Ich fragte sie, ob sie Pussy Riots kennen würden, die seien ja auch in Moskau in der Kirche aufgetreten. Sie sagten, sie kennen die nicht oder besser gesagt, sie gaben vor, sie nicht zu kenne, – über Feinde spricht man nicht. Mir hat an ihrer Performance besonders gefallen, dass sie ein aktuelles Thema CHATJPT in ihre Choreografie einbauen.

Die beiden Frauen in feinen Bodys, schwarzen Shorts und schwarzen Seidenkniestrümpfen mit streng gescheiteltem Haar hinter dem Kopf a la Pina Bausch bewegen sich zwar wie Robots, das Weibliche beherrscht aber den Maschinenraum. Zunächst ist ihr Tanz aggressiv, sie schlagen sich, zerschlagen sich, um sich dann wieder zusammenzusetzen. Und diese Umkehrung „Roboter setzt den Menschen wieder zusammen“, ist ihnen sehr gut gelungen. Den Übergang von KI zum Gefühl zeigen sie in der Stagnation des Parallelltanzes. Am Schluss stehen sie engumschlungen und verhalten, erinnert an den gemalten Kuss von Picasso. Und dann lösen sie sich, kommen zu uns und umarmen jeden Einzelnen. Getanzt wurde auf dem Marktplatz . Die Marktfrauen kommen mit Schalen voller Früchte zu den Ukrainerinnen, der Kartoffelbauer, der die Silbiosprache beherrscht, pfeift ihnen einen Willkommensgruss. Besser geht Performance nicht. (L. N.)

Ein Kommentar

  • flowworker

    Spannend. Regt die Fantasie an. Und das Wetter wird auf El Hierro langsam besser. Jetzt sieben Tage konstant 20 Grad! Immerhin😉 (Michael)

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