Die Verweigerung des amerikanischen Traums (Teil 1)
Ende der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre durchlebte das Kino der USA eine Umbruchsphase, und dazu gehörten Filme, die von europäischen Einflüssen wie der Nouvelle vague geprägt waren, und die auch die politisch-gesellschaftliche Stimmung in den USA spürbar machten, darunter den Vietnamkrieg. Einige junge Regisseure erhielten von den Studios die Freiheit, mit ihren eigenen Ideen zu experimentieren, und sie entschieden sich für Figuren, die sich dem amerikanischen Traum vom Erfolg durch konsequentes Erbringen von Leistung verweigerten. Diese Nische wird auch als eine Art US-amerikanisches Autorenkino bezeichnet.

Two-Lane Blacktop (1971; deutscher Titel: Asphaltrennen) von Monte Hellman ist von den Filmen, die ich hier in einer kleinen Serie vorstelle, der mit der umfassendsten Verweigerung. Das fängt schon damit an, dass es gar nicht so einfach ist, zu erklären, worum es geht. Da sind zwei Autos, ein 55er Chevy und ein 1970 Pontiac, deren Fahrer sich ein Wettrennen von West nach Ost liefern; das Ziel wird geradezu unmotiviert und willkürlich dahingeworfen: Washington D.C. Insofern könnte man die Autos auch als Protagonisten des Films ansehen. So wichtig sind diese Autos aber wiederum auch nicht. Die Fahrer liefern sich auch nicht wirklich ein Autorennen, obwohl dem Gewinner die Papiere für den anderen Wagen winken. Sie haben es nicht eilig, sie machen ausgiebige gemeinsame Pausen an Tankstellen und Straßenrestaurants und die Crew des Chevy unterstützt den Fahrer des Pontiac sogar bei einer Panne. Der Film hat keine nennenswerte Story; die Dialoge bringen keine Handlung, wie man sie in einer Geschichte erwarten würde, in Gang. Wie „Easy Rider“ zeigt „Two-Lane-Blacktop“ atemberaubende Landschaften, Wolkenformationen und Horizonte; insofern fungiert die Landschaft als Protagonist. Der größte Teil des Filmes spielt sich, wie bei einer sehr guten Kurzgeschichte, unterhalb der Oberfläche ab, so wie bei einem Eisberg der größte Teil der Masse unter Wasser liegt. Der Roadtrip ist eine Metapher für das Leben, für ein Lebensgefühl. Dies auf sich wirken zu lassen, ist geradezu meditativ. Am stärksten ist in diesem Film also die Atmosphäre, besonders die Ausstrahlung der drei Personen, die, jedenfalls zeitweise – es ist alles ein bisschen launisch – gemeinsam im Chevy sitzen. Der Fahrer wird dargestellt von dem Sänger James Taylor, sein Mechaniker von Beach Boy Dennis Wilson, und die junge Anhalterin spielt Laurie Bird, über deren Hintergrund Monte Hellman in der Dokumentation, die sich auf der DVD findet, Beeindruckendes erzählt, was zu einer besonderen Tiefe ihrer Persönlichkeit geführt hat. Alle drei sind keine ausgebildeten Schauspieler; es gibt auch zahlreiche Kurzauftritte weiterer, sagen wir: echter Personen wie dem Verkäufer von Autoersatzteilen, jungen Männern einer Gaststätte, Leuten beim Start von Autorennen sowie ganz normalen Menschen an einer Bushaltestelle, die gar nicht wussten, dass hier gedreht wurde, was dem Film einen dokumentarischen Touch verleiht.

Der Fahrer des Pontiac, dargestellt von Warren Oats, nimmt immer wieder Anhalter mit, um ihnen etwas aus dem Leben einer seiner fantasierten Parallelwelten zu erzählen. Einmal steigen eine ältere Frau und ein kleines Mädchen ins Auto ein. In der Dokumentation 34 Jahre nach dem Dreh, erzählt Melissa Hellman, die Tochter des Regisseurs, die im Film das kleine Mädchen spielte, dass sie den Film wahrscheinlich hunderte Mal gesehen hat, und dann drückt sie es so aus: „It sucks me in again, every single time I watch it. I think about things while I was there or about my life now and it’s just all related to each other.“ Das trifft es, auch wenn man nicht bei dem Film mitgespielt hat. Two-Lane-Blacktop handelt von Einsamkeit, von Begegnung, von gemeinsamen Zielen und vom Verlust dieser Ziele, von der Flüchtigkeit der Liebe, von der Schönheit der Natur und der Unberechenbarkeit der Technik. Am Ende reißt einfach der Film, und fängt an, durchzubrennen. Auch das ein Subtext. Two-Lane Blacktop wurde zum Kultfilm der Gegenkultur. Das Drehbuch hat Rudy Wurlitzer geschrieben. Monte Hellman hatte auf Empfehlung von jemandem dessen Roman „Nod“ aus dem Jahr 1968 gelesen, und er sagte darüber, he was really impressed with his kind of wierd, but really brilliant view of the humal condition. So eine Formulierung ist für mich trotz ihrer Schwammigkeit ein klarer Auslöser, in das Buch hineinzulesen. Über diesen Link konnte ich das erste Kapitel von „Nog“ lesen, mich hat die Crazyness begeistert, und habe mir daraufhin das Buch gekauft, ein immer wieder neu veröffentlichtes Kultbuch, das in verschiedenen Coverversionen erschienen ist, zum Beispiel in dieser psychodelischen Variante:

12 Kommentare
Michael Engelbrecht
DER James Taylor?
Statt deinen Text zu lesen, habe ich mir den Film, der an mir damals vorübergegangen ist, als Dvd bestellt. Heisst auf deutsch „Asphaltrennen“:)
Ich werde berichten…die Dvd kommt Montag!
Martina Weber
Fast ein parallel watching also 🙂
Montag ist Feiertag, da wirst du den Film nicht erhalten.
Ich hoffe, du liest meinen Text aber noch irgendwann.
Bin gespannt auf deine Eindrücke zum Film. Ja, und den deutschen Titel kenne ich. Und ja, es ist DER James Taylor.
flowworker
Ich bekomme den Film schon heute. Also Saturday.
Und schreibe mein Echo vor der Lektüre deines Textes, und eine zweiten nach der Lektüre deines Textes.
Olaf Westfeld
Ich hatte mal ein Buch von Peter Biskind: „Easy Riders, Raging Bulls“. In meiner Erinnerung war das eine recht „juicy“ erzählte Geschichte vom New Hollywood zwischen – puh – ich glaube 1968 – 1975 – oder so. Der erwähnte Film kam da glaube ich auch drin vor – habe ich aber auch nie gesehen.
Martina Weber
1968 bis 1975, das sind auch die Zahlen, die Thomas Elsässer nannte, in seinem Buch „Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino“ (2009). Das Buch brachte mich auf den Film (und auf einige andere, die in meiner kleinen Serie auftauchen). In meinem Text wollte ich es nicht ganz so wissenschaftlich exakt mit den Zahlen handhaben. Schwierig, „Two-Lane-Blacktop“ mit „Easy Rider“ zu vergleichen. „Two-Lane-Blacktop“ finde ich raffinierter und indirekter, also vielschichtiger; sowas mag ich.
flowworker
Habe den Film gesehen jetzt, und nur die comments gelesen, also noch nicht deinen Text.
Also, es war interessant, den Film aus einer hostorischen Perspektive zu sehen.
Ich war nie ein Fan oder Bewunderer von Easy Rider, der mir, glaube ich, zu plakativ war. Viel kann ich mit Two Lane Blacktop nicht anfangen. Die Geschichte einiger lost souls, die etwas obsessiv das schnelle Fahren und tolle Autos fetischisieren, um eigenen Leerräume zu übertünchen. Undergrround oder no underground, ist mir egal.
Aber es hatte was, die Schauspieler auf mich wirken zu lassen. Gute zehn Jahre waren bis auf James Taylor alle tot. Dennis Wilson ertrank, und die durchweg verloren wirkende Laurie Bird hat sich vielleicht selbst gespielt, sie wurde Jahre später die Freundin von Art Garfunkel und hat sich in seine Wohnung das Leben genommen. So schrecklich verloren kamen mir das Quartett im Film vor, nur James Taylor ist bis heute unverwüstlich….
Aber dieser Film, mhmm.., nun, ich vermute, du magst ihn, Quentin Tarrantino mag ihn, ich empfinde ihn so, als würde er die damals herumgeisternden Sinnfragen a la Wer bin ich, Was will ich usw. in grossen Auspuffdämpfen pulverisieren. Trotzdem war es anregend, ein Gefühl für die damalige Zeit zu gewinnen, und natürlich lief ich selbst damals auch fragend und träumend durch die Welt.
Wie der Driver mit dem Girl umgeht, lässt mich ratlos zurück. Die berühmte „Sprachlosigkeit“ … naja…
Den Schmuck und das grosse Melodrama und die Geigen über Hollywood wegzulassen, macht noch keinen guten Film. (m.e.)
flowworker
Nach dem Lesen deines Textes:
Das ist wie der Neckar’sche Kippwürfel in der Wahrnehmungspsychologie, man kann den Film so, aber auch so sehen 😉
Hätt ich ihn nicht gesehen, hätte mich dein Text neugierig gemacht auf den Film.
Ihn historisch zu sehen, die vielen Extras der DVD und BLU RAY KISTE sind bestimmt spannend – ich möchte auch mehr über die reale Laurie Bird erfahren.
Es ist immer sehr interessant, was uns wirklich anspricht, und was nicht.
Martina Weber
Der Audiokommentar und die Dokumentation, in der Monte Mellman mit ein paar seiner Studenten und seiner Tochter an die Drehorte fuhr, haben mich sehr begeistert und mich mehr sehen lassen, auch da, wo es in einer Filmszene nur geregnet hat. Monte Hellman selbst kommt sehr sympathisch rüber. Ja, und mir genügt es, in einem Film an Atmosphären (und hier auch am Zeitgeist) teilzuhaben. Ich brauche keine Storys, jedenfalls nicht immer.
1979 hat sich Laurie Bird in Art Garfunkels Wohnung umgebracht. 1980 spielt Art Garfunkel in Nicolas Roegs Film „Bad Timing“ eine Hauptrolle, einen Psychoanalytiker, der eine Liebesbeziehung mit einer seltsamen, schwierigen jungen Frau hat. Der Film spielt in Wien zur Zeit des Eisernen Vorhangs, als Wien im Zonenrandgebiet lag und richtig düster war, und entwickelt sich von einer Liebesgeschichte zu einem Krimi. Es gibt hier, wie auch in anderen Filmen von Roeg, mindestens eine Szene, die sehr schwer erträglich ist.
flowworker
Bei rotten tomatoes finden sich in massiver Mehrheit positive Besprechungen.
Dass ich dem Gilm 2 1/2 Sterne geben würde, ist also alles andere als Konsens. Icb stelle mal ein Lob und eine Kritik aus rottentomatoes gegenüber
– Was Two-Lane Blacktop in seinen Bildern, begrenzten Dialogen und absichtlich unterentwickelten Charakteren verkündet, bleibt weitgehend oberflächlich, doch sein Schweigen und seine Geduld deuten auf viel Tiefe hin.
– Heilmans Helden bleiben durch ihr eigenes Versagen zu fühlen von uns isoliert. Wir sind Teil der Welt, durch die sie unsichtbar gehen – und so bleiben sie so fremd und undurchsichtig wie immer.
So besonders undurchsichtig finde ich die Charaktere nicht. Die positive Besprechung weist auf die Tiefe hin, die die die stillen Momente des Films, und die ruhige Inszenierung produzieren. Solche Momente erlebe ich zu selten, da können auch die Landschaften und alten Orte des Films nichts mehr retten.
Ich weiss, wie toll dieses EXTRAS oft sein können, ich habe in meiner Box ne Menge davon, Audiokommentare, Interviews etc. Und ich bin sicher, diese stories from the background würde ich auch sehr gerne sehen, aber den Film könnten sie für mich nicht gross retten, bestimmt aber in ein weicheres Licht tauchen.
Ich würde sagen: this movie has its moments, but not so much more. Im Grunde sind die vier Protagonisten nicht fähig, irgendeinen neuen Horizont zu erkunden, ausser denen, die ihnen die Strasse bietet. Das spiegelt aber die Aussen- nie die Innenwelt oder leuchtet sie aus!
Es gibt wunderbare Filme mit viel Atmosphäre und ohne grosse oder kleine Handlung, diesen zähle ich nicht dazu. (m.e.)
Martina Weber
Nun, ich habe mir gedacht, dass das nicht dein cup of thrills ist. Ich würde nicht sagen, dass es mein absoluter Lieblingsfilm ist, aber ich stehe hinter meinem Text. Für mich liegt der Fokus auf dem Prozess zwischen dem ersten Anschauen des Films und meinem Text: was da mit mir passiert, das interessiert mich. Für mich gibt es überhaupt nichts dagegen einzuwenden, durch Filmkommentare, Dokumentationen und auch durch Filmbesprechungen und sehr gern auch durch Bücher über Filme mehr zu erkennen. Im Gegenteil ist es genau das, was mir gefällt. Damit ist meine Art, mit Filmen umzugehen, sicherlich ganz anders als deine Art.
Noch dazu hat mich Monte Hellman zu Rudy Wurlitzers Roman „Nog“ geführt, und ich freue mich darauf, das Buch zu lesen, wenn das Cover auch nicht so cool ist wie das psychedelische am Ende meines Beitrags.
Die anderen Filme meiner Serie „Die Verweigerung des amerikanischen Traums“ sind dann wahrscheinlich auch nichts für dich.
flowworker
Da wäre ich nicht so sicher: ich verweigere ja auch den amerikanischen Traum.
Ein paar Lieblingsfilme aus meinem „New Hollywood“
California Split
McCabe und Mrs. Miller
Medium Cool
A Woman Under The Influence
Da kommen schon 20 bis 24 von 25 Sternen zusammen😉
Und ein paar andere erinnere ich gut, aber nicht die Titel
Martina Weber
Auch ich verweigere mich dem amerikanischen Traum. Kannst deine New Hollywood Favourites vielleicht mal vorstellen. Vielleicht schaue ich auch mal. Ich habe andere Filme geplant. Heute geht’s weiter mit Teil 2.