Jonas Engelmann: Gesellschaftstanz

Sein Interesse gilt den Außenseitern des Musikgeschäfts. Denen widmet sich Jonas Engelmann mit viel Kenntnis und Sympathie. Dabei geht es ihm nie nur um Musik, sondern immer auch um ihre Einordnung in soziale, politische und wirtschaftliche Hintergründe. 

Ein Beispiel gefällig? Ich habe bislang immer geglaubt, in einem Musikstück ein Sample einer anderen Platte unterzubringen, sei eine Art Statement: Das Sample soll wiedererkannt werden und dient so dazu, dass der Künstler X seine Verehrung für den Künstler Y zum Ausdruck bringt, oder — die spannendere Variante — sich ein Statement Ys zu eigen macht, im Sinne von: Ich, X, teile das, wofür Y steht.

So war das wohl auch mal. Aber wussten Sie, dass Sampling mittlerweile zu einem blühenden Geschäftszweig geworden ist? Dass es sich für Plattenfirmen mittlerweile lohnt, Leute speziell fürs „Clearing“ von Samples zu beschäftigen, um ihren Einsatz rechtlich und kaufmännisch korrekt abzuwickeln? Dass für ein Sample berühmter Künstler, etwa James Brown, Marvin Gaye, Otis Redding oder auch Barry White (richtig, dem „Walrus of Love“) fünf- bis sechsstellige Dollarbeträge über den Tisch gereicht werden?

So krass war mir das nicht bekannt. Mir scheint mit dem Sample-Handel inzwischen eine Form der Zweitauswertung entstanden zu sein, die oft schon mehr Umsatz generieren dürfte als der Verkauf der ursprünglichen Platte (wobei das Sampling natürlich auch zur Vermarktung des Originals beiträgt).

Was tut sich da für ein merkwürdiger Widerspruch auf zwischen einerseits einem sozialen oder politischen Anliegen der Künstler und andererseits ungebremstem Kapitalismus? Oder ist es gar kein Widerspruch? Man schätzt da vieles falsch ein. Denn war nicht der ungebremste Kapitalismus schon immer Teil der Szene? Sollte jemand gedacht haben, ein Grandmaster Flash sei mal aus irgendeinem armen New Yorker Schwarzenghetto hervorgegangen, so entspricht das sicherlich dem damals in den Medien vermittelten Image. Weiß man jedoch, dass der Grandmaster schon früh über einen Fairlight verfügte, stellt sich seine soziale Situation doch ein wenig anders dar. Offenkundig gab es einen Riss zwischen dem projizierten Image und der Wirklichkeit. Und was ist heute von gerappten Anklagen, Empörungstexten und der damit angestrebten Street Credibility zu halten, wenn der Rapper (oder sein Produzent) in der Lage ist, Summen wie die obengenannten für ein simples Sample zu zahlen? — Ein interessanter Aspekt übrigens auch im Hinblick auf aktuellste Entwicklungen der Black Music.

Die weltanschauliche Theorie ist offenkundig das eine, aber wichtig ist aufm Platz. Da sind wir mitten drin in Jonas Engelmanns Themen und Thesen. Seine Positionen sind eindeutig, nicht immer leicht zu schlucken, aber meist wohlbegründet. Er untersucht Felder wie Außenseiter-Jazz (Sun Ra Arkestra, Matana Roberts, June Tyson), HipHop, Avantgarde (John Zorn, Public Enemy u.a.), die politischen Lieder eines Woody Guthrie, ein Konzert (oder sollte man sagen: das Konzert) von Aretha Franklin. 

Alles dies nimmt Engelmann als kulturelle Statements ernst. Er schreibt, wie der Untertitel des Buches verrät, über Klangverhältnisse und Außenseiter-Sounds. Auf 130 Seiten bietet das Bändchen eine Sammlung von insgesamt 19 Artikeln, die zwischen 2012 und 2024 erstveröffentlicht wurden. Ein Blick ins Verzeichnis ihrer Herkunft lässt Rückschlüsse auf ihre Perspektive zu: Neues Deutschland, Jungle World, Freitag, taz, Ventil-Verlag (dessen Co-Verleger Engelmann ist), außerdem ist er Mitherausgeber der testcard-Buchreihe.

Jonas Engelmann geht an die musikalischen Wurzeln, er benennt gesellschaftliche Entstehungshintergründe, er spricht über Rassismus, Queerfeindlichkeit, Praktiken der Musikindustrie, er checkt die Quellen musikalischer Phänomene. Sein Buch ist voller Anregungen, denen nachzugehen sich lohnt (man staunt manchmal, was man im Web mittlerweile alles finden kann, wenn man einmal über die einfache Googlesuche hinausgeht). Und weil er zu argumentieren versteht, macht es Spaß, sich mit seinen Schlüssen auseinanderzusetzen, auch wenn man nicht jeden einzelnen unterschreiben möchte.

Jonas Engelmann:
Gesellschaftstanz — Klangverhältnisse und Außenseiter-Sounds
Verlag Andreas Reiffer, edition kopfkiosk Bd. 12
Meine 2025
ISBN 978-3-910335-12-7

4 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Sehe jetzt sehe ich deinen Text und das Buchcover: Arthur Russell praktizierte auf jeden Fall „Aussenseiter-Sounds“, wobei das bei Herrn Engelmann evtl.. ganz anders gemeint sein mag😉 (ich bin jetzt zu müde zum Lesen und falle ins Bett.)

  • radiohoerer

    Das ist eine schöne Parallele. Auch ich habe dieses Büchlein als Leseempfehlung und kann Jans Empfehlung nur unterstützen. Für alle, die sich mehr für Musik interessieren, ist es genau das Richtige. Was ich zum Beispiel über Leonard Cohen gelesen habe, kannte ich nicht und es ist eine spannende Geschichte. Aber ich mag ihn trotzdem nicht. Kurz gesagt: Es lohnt sich zu lesen.

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