Ploog. West End: Worte & Bilder, die bisher verschüttet waren

Vor zehn Tagen traf ich Wolfgang Rüger im Schiffer Café in Frankfurt Sachsenhausen zur Übergabe des Readers „Ploog. West End: Texte von und über Jürgen Ploog“, erschienen in der Edition W in Neu-Isenburg. Es war eine Kette an glücklichen Zufällen, die dazu führte, dass ich in diesem Buch, das außer von Wolfgang Rüger auch von Jürgen Ploogs Sohn David Ploog herausgegeben wurde, mit einem Text vertreten bin.
Im vergangenen Jahr hatte Herr Rüger über einen längeren Zeitraum in Suchmaschinen verschiedene Begriffe eingegeben, um herauszufinden, was es von und über Jürgen Ploog online gab, und im Spätherbst war mein Text „Navigieren durch den inneren Raum. Ein Beitrag zur Jürgen Ploog-Rezeption“, den ich am 15.08.2023 auf manafonistas gepostet habe, ziemlich weit oben in der Liste und Herrn Rüger gelang es nach einigem Recherchieren, über den Verleger meiner Gedichtbände mit mir Kontakt aufzunehmen. (Der direkte Weg wäre über meinen Eintrag im Autorenlexikon auf literaturport möglich gewesen.) Zu diesem Zeitpunkt war das Manuskript für den Ploog-Reader eigentlich schon abgeschlossen, aber für einen last minute-Beitrag war noch Zeit. Das Konzept des Readers besteht darin, möglichst nur bisher Unveröffentlichtes Material zu versammeln; deshalb sollte ich etwas Neues schreiben. Nach einer Woche schickte ich Herrn Rüger meinen Text mit dem Titel „Allein mit dem eigenen Nervensystem“, der nun im Kapitel „Memories“ gelandet ist. Darin erzähle ich unter anderem davon, wie mein Interview mit Jürgen Ploog, das ich für die Zeitschrift Poet Nr. 21 im Poetenladen Verlag geführt habe und das online hier gelesen werden kann, für einige Zeit eine unerwartete Wendung nahm, was ich in die schriftliche Fassung des Interviews nicht aufgenommen habe, was aber der interessanteste Teil der Begegnung war. Ich schreibe darüber, was mich an Jürgen Ploogs Texten süchtig macht, wie ich mich davon habe inspirieren lassen und schließlich bringe ich noch ein ganz anderes Thema ein, über das noch nie im Zusammenhang mit Jürgen Ploog geschrieben wurde und womit ich mich erst vor etwa einem Jahr beschäftigt habe.
Spaces between spaces. Das Buch hat, ähnlich wie der Sammelband „Ploog. Tanker“ aus dem Jahr 2004, herausgegeben von Florian Vetsch, einen dokumentarischen Charakter und ist eingeteilt in Theorie, Memories, Interviews, Zeitschriften, Briefe, Graphik, Tagebuch, journalistische, programmatische & philosophische Arbeiten, Portraits, Prosa und Nachrufe. Jeder, wirklich jeder Beitrag hat mich berührt und ein Text, eigentlich zwei, ganz besonders. Alles ist authentisch, aufrichtig und ehrlich. Ja, und obwohl ich von Jürgen Ploog fast alles gelesen habe, habe ich noch viel Neues und Überraschendes gesehen und erfahren. Zum Beispiel, wie ihn andere, die ihn nicht aus dem Underground kannten, entdeckten (und was es mit sich brachte): Durch einen Zufallsfund in einem Antiquariat oder im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit. Bei mir war es ein Plakat auf einer Litfaßsäule mit der Ankündigung einer Lesung und einem großen Portraitfoto. Es war nicht nur die spacige Aura („Katastrophenberichte eines semantischen Raumfahrers“), es war auch der Eindruck der äußeren Erscheinung, der mich vom Fahrrad absteigen ließ. Jürgen Ploog war ausgesprochen fotogen. Das Buch enthält zahlreiche Fotos, die ihn seit Anfang der 70er Jahre in seinem Umfeld zeigen. An einem Imbisstisch mit William S. Burroughs im Berliner Zoo, bei einer Cut-up-Session in mehreren Schnappschüssen in die Tasten einer Schreibmaschine hauend, um einen Wohnzimmertisch sitzend mit jungen Männern und – Frauen? Nein, Anfang der 70er trugen junge Männer langes Haar. Viele Bilder stammen von professionellen Künstlern wie Walter Hartmann, dessen Grafiken den Underground geprägt haben; die Ästhetik und auch die Haptik des Readers ist unglaublich gut.
Im Zentrum stand für Jürgen Ploog immer die Suche nach einem Zustand, den es realiter nicht gibt. Am 5. Mai 2015 schrieb er in sein Tagebuch: „Die nie greifbare Realität des Lebens, einer Existenz. Berühre sie & sie zerfällt, übrig bleiben Fiktionen, Legenden, Formeln, die sich beliebig verändern lassen.“ Und so enthält natürlich auch dieses Buch sehr verschiedene Blickwinkel und widersprüchliche Wahrnehmungen. Mir fiel auf, dass ein paar zentrale Begriffe in unterschiedlichen Texten vorkamen, so dass man Verbindungslinien ziehen könnte. Wie immer im Zusammenhang mit Jürgen Ploog kann man auch in diesem Reader einiges entdecken, was im Dazwischen liegt. „Ich reise in die Sprache, die mir als Medium dient, um Erinnerungsbilder & imaginative Assoziationen aufzuspüren“, heißt es in „Triptik“, einem Text von Jürgen Ploog aus dem Reader. Und: „Das Ziel, das ist mir klar, kann keine Stadt sein, sondern ein Zustand, durch den mein Leben eine andere Richtung nimmt.“
Am 19. Mai 2025 wird das Buch „Ploog. West End“ in der Romanfabrik in Frankfurt vorgestellt. Nach dem Update von Wolfgang Rüger sieht das Programm entgegen anders lautender Ankündigungen im Internet so aus: Wolf Wondratschek wird Texte von Jürgen Ploog vortragen. Dann folgt die Podiumsdiskussion. Auf dem Podium sitzen Ralf-Rainer Rygulla, Klaus Maeck, David Ploog und ich. Geleitet wird die Diskussion von Rainer Weiss. Um 19:30 Uhr geht es los. Open End.
2 Kommentare
Michael Engelbrecht
Spannend! Einst, glaube ich, etwas von ihm und über ihn gelesen zu haben in einer alten Ausgabe der Sounds… und einmal ein Büchlein von ihm in alten Studentenzeiten in Würzburg.
Nun habe ich mal gestöbert: für Einsteiger in seine Welt gibt, es als digitales Album und auf Vinyl, bei Bandcamp, seine Tapes von Unterwegs 1971 -1976.
Eine schillernde exzentrische Figur aus der „Münchner Szene“?! Er und Werner Herzog hätten sich sicher auch was zu erzählen gehabt im alten Schwabing. Vielleicht kannten sie sich ja auch😉
Martina Weber
Nicht München! Frankfurt! Daher auch der Titelbestandteil des Buches „West End“. Das ist ein Stadtteil in Frankfurt, in dem Jürgen Ploog jahrzehntelang gewohnt hat, wenn er nicht monatelang in Florida war. Jürgen Ploog hatte nach seiner Ausbildung zum Piloten in Frankfurt gewohnt und bis 1993 bei der Lufthansa gearbeitet. Von einem Kontakt zu Werner Herzog ist mir nichts bekannt. Die Namen, die im Zusammenhang mit Jürgen Ploog und daher im Buch auftauchen, sind: W.S. Burroughs, Kathy Acker, Carl Weissner, Jörg Fauser, Walter Hartmann, Karl Krüll, Allen Ginsberg, Claude Pelieu und viele andere. Sehr wichtig war auch Pociao, die als Übersetzerin (u.a. von Paul Bowles) bekannt ist. Im Buch ist ein ganz wunderbares Foto von ihr, wie sie neben Ploog im Fond eines Autos sitzt.
Zum Einstieg in das Ploog’sche Universum würde ich eher ein Buch empfehlen als im Netz zu stöbern. Meine Favoriten sind: „Nächte in Amnesien“, „Der Raumagent“ und „Unterwegssein ist alles – Tagebuch Berlin-New York“. Aus solchen Werken, aber auch anderen, hat sich meine Begeisterung entwickelt. Zum Einstieg eignet sich natürlich nun auch der Sammelband „Ploog. West End“! Das Buch enthält auch vieles von Jürgen Ploog: Briefe und E-Mails, Journalistisches, Interviews, Tagebuchauszüge, Prosa, Portraits und erstmals werden auch seine Gemälde der Öffentlichkeit vorgestellt. Dazu Nachrufe und das in meinem Text erwähnte Kapitel „Memories“.
Im Herbst wird es, ebenfalls in Frankfurt, eine Tagung zu Jürgen Ploog geben, bei der auch ich einen Vortrag halten werde. Ich bin schon an einem Thema dran und am Recherchieren, denn es soll ja wieder etwas Neues werden. 2025 wird also ein Jahr des Ploog-Revivals.