Annie and the Caldwells (Finale)


Vorspiele mit Tanzboden und Weihrauch

„Wow, man, this 10-minute, tension-building gospel declaration in “Can’t Lose My Soul.” The way it’s drawn out is powerful, capturing resilience in faith and morals gorgeously. Apparently, I can listen to the refrain “can’t lose my (soul)” for 10 minutes straight and not grow tired of it.“

Als Kind war ich kurze Zeit Messdiener, hatte brav die lateinischen Texte für die Prüfung gelernt, und schwitzte ganz schön, als ich mit ungelenken Bewegungen den alten Priester Dechant mit dem Weihrauchspender auf dem Kreuzgang begleitete. Der alte Katechismus hatte Schreckensbilder verbreitet, und ich ahnte oder hoffte doch, das sei ja wohl alles ein bisschen übertrieben.

Sweet Sixteen, und andere Wallungen

Zu der Zeit, als ich zwar noch der Parapsychologie und fernöstlichen Meditationslehren vertraute (aus Büchern eines Freiburger Esoterik-Verlages, in den mittleren Teenagerjahren), aber der Kirche immer weniger, betraten die Beatles und die schönsten Girls von Dortmund meine Träume, und alles änderte sich. Ich ging nie mehr in die Kirche und wurde mit ca. 17 zum Agnostiker und Gelegenheitsmystiker (nie von Baghwan und Co. eingefangen, worauf ich stolz bin, dafür liess ich mich einmal, peinlich, vom Wanderprediger Bill Graham in der Westfalenhalle segnen. Damals kam HAIR gross raus, JESUS CHRIST SUPERSTAR, aber das fand ich doch reichlich kitschig und verschwärmt, etwa so over the top wie alttestamentarische Drohszenarien im Kindheitskatechismus.

In der Hölle brennt kein Feuer, ich war raus aus dem Club, und deshalb nie wirklich offen für die Ergriffenheitsgesänge des Gospel, was hier und da auch auf mein Erleben von Soul abfärbte.

STRANGE THINGS HAPPEN EVERY DAY

Jahrzehnte später erzählte mir Brian Eno, ein erklärter Atheist, wie sehr er Gospel liebe. Das sprach sich sowieso rum, und kurz bevor ein gewisser Paul Simon nach London fuhr, um ein Album von Brian produzieren zu lassen, das mich bis heute seltsam kaltlässt, schickte ihm Paul Simon eine neu erschienen riesige Gospel-Box. Das verändert meine Verweigerung kein bisschen, mit einer Ausnahme.

In dem tollen Film der Coen-Brüder, O Brother Where Art Thou, da hatte von Blues bis Gospel diese Musik für mich einen atemraubend gefilmten Rahmen gefunden! Da hörte ich hingebungsvoll und lustvoll zu. Normalerweise meide ich auch jedes Opernhaus der Welt – aber als ich einst die Stimme der Callas hörte in dem berühmten französischen Neo Noir Thriller mit einem „Touch of Zen“ , namens DIVA, konnte ich sogar eine Arie wertschätzen. Der Kontext, der Kontext! Das andere Mal, das mir eine Opernarie sehr, sehr gefiel, war in einem Film von Werner Schroeter, auf einer unendlich langsamen Kamerafahrt entlang einer Münchner Aller der Bordsteinschwalben – pure Magie!

Und nun also die erste Gospelplatte meines Lebens, die es annähernd schafft, „on high rotation“ zu sein! Als ich sie das erste Mal hörte, wusste ich noch nichts von der Verbindung zu David Byrne. Tatsächlich erinnerten mich da die Wechselgesänge der Band von Annie an bestimmte „cross singings“ von „Remain In Light“. Und dann eben, dass die Caldwells den dancefloor zuliessen! Und dass ich in dem Sound der Band aufging, bei voller Lautstärke – und sebst die „vocals“ auf einmal „sculpted sound“ waren! Ich schliesse mich den finalen Worten von Alex Petridis an:

… their message is ultimately one of hope. You don’t need to share the Caldwells’ faith to find something powerful and inspiring in that, particularly given the current climate, which can easily incline you towards hopelessness; something steeped in tradition seems apropos right now. You should listen to Can’t Lose My (Soul) purely on musical terms. Moreover, it’s an album you might need.“


Nachklapp 1: „The world has changed, of course, and not everyone will seek reassurance in the Caldwells’ beliefs. But the message of suffering and survival on the road to salvation may just get you through any darkness looming on the horizon… or simply get you dancing. Strange things still happen every day; just ask Sister Rosetta.“ (David Hutcheon, Mojo)

Nachklapp 2 aus meinem Interview mit Brian Eno aus dem Jahre 2005: „Dieses Bekenntnis ist ein wenig peinlich, aber: bei  einigen dieser Songs von „Another Day On Earth“ kamen mir Tränen, als ich sie sang –   da gab es Bewegungen in der Stimme, die – jedenfalls für mich – übermächtig waren. Das geht auf die  Erfahrung zurück, als ich zum ersten Mal eine Gospelkirche  besucht habe. Das war 1978,  in den USA. Eine kleine Kirche. Und es war ein Kindergottesdienst. Ungefähr vierzig Kinder waren da, und sechs oder acht Mütter passten auf sie auf; dann dieser Priester, ein sehr großer dicker Mensch, und  zwei Kids an den Instrumenten:  ein neunjähriger  Schlagzeuger und ein zwölfjähriger Organist. Und sie begannen diesen Gospel zu singen. Und  es gab einen Moment in der  Melodie, die sich in einem fort um sich selbst drehte,  einen Moment, der so emotional bewegend war, daß ich ihn nicht singen konnte – es war für mich zu überwältigend! Diese Erfahrung ist bei mir geblieben; und  ich dachte, wenn Musik nicht so machtvoll  ist, dann möchte ich sie nicht spielen  – wenn Musik nicht fähig ist, einen solchen emotionalen Effekt auf mich auszuüben –  und mir ist es egal, wie clever sie ist, wie hip oder modern – wenn sie mich nicht dermaßen bewegt, dann will sie nicht machen!“

Nachklapp 3: a very handsome chap is telling about travels to Bratislavs with Hejira in his 20‘s, and about the album Brian did with Paul Simon: just click HERE! Ich hatte SURPRISE ewig nicht gehört, und jetzt höre ich hier HOW CAN YOU LIVE IN THE NORTHEAST, und auch WARTIME PRAYERS, und die Songs berühren mich. Ich sollte SURPRISE eine neue Chance geben. Ich mag es, wenn die eigene Wahrnehmung „kippt“!

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