Michaels kleine vorweihnachtliche Geschichte mit Drehungen, Wendungen, und vertrauten Gesichtern (take 2)
Abgesehen von meinem Abstecher mit Beth Gibbons in eine Brüsseler Bier-Bar nahe dem opulenten Zirkusgebäude, in dem sie zwei Stunden zuvor aufgetreten war, ist die folgende Geschichte nicht weniger anrührend. Und genauso frisch im Gedächtnis. Es begann alles auf dem Flowworker-Blog mit einem Gedankenaustausch zu dem Schlagzeuger Paul Motian. Und nun: ein Traum von einem Album. Alle sechs sind sich vorher oder nachher begegnet, live, in Studios, als Duo, Trio, privat, wie auch immer, aber in dieser Zusammensetzung nie wieder in Erscheinung getreten. Bei aller Vertrautheit, zwischen Respekt und Freundschaft, untereinander: mit „business as usual“ hat „Taking Turns“ nichts zu schaffen. Ein oder zwei Tage in den Avatar Studios. Magie ist nicht programmierbar. Um dem Betriebsgeheimnis Albums nahezukommen, darf man sich getrost auf die Bildersprache von Träumen einlassen. Tatsächlich stand ich in einem alten Plattenladen in Amsterdam, und sah Henning in einem Fach wühlen, das den Namen „Dream on“ trug. Statt geläufiger Rubriken fanden sich, Fach für Fach, Anweisungen von poetischer Schärfe und Ungenauigkeit. Der Besitzer des Ladens, Greg Fisch, sorgte für ein wenig Unruhe, als er mit Wucht gegen eine Jukebox trat, die sich seinen reparierenden Griffen widersetzte und auf Teufel komm raus nicht „Take Five“ spielen wollte. Lajla liess sich davon nicht aus der Ruhe bringen, und war unter dem Kopfhörer ohnehin in einer anderen Welt anwesend, in der Lucinda Williams von den Geistern eines Highways sang. Auf Wunsch von Rosato lief Jakob Bros „Taking Turns“ auf einem in die Jahre gekommenen Technics-Plattenspieler, und er schien hin und weg. Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Wenn ich seine Worte im Dämmerlicht richig verstand, sagte er: „…ganz stark, was diese Sechs an feinen Linien zeichnen. So eine wunderbare melodische und klangfarbige Polyphonie bewegt mich…“ Allmählich übertrug sich die kaum fassbare Stimmung des Albums auf alle, die zuhörten. „Hammer“, sagte ich zu Rosato, „Hammer!“ Ich war zudem noch nie zuvor in einem Plattenladen, in dem nach 18 Uhr Kerzen das verschwindenden Tageslicht ersetzen. Wie gesagt, ein Traum. Wie anders lässt es sich erklären, dass die Musik zehn Jahre in einem Archiv ruhte. („Taking Turns“ ist soeben bei ECM erschienen, und wird vermutlich im Februar oder März auf Vinyl nachgereicht. Am 4. Dezember spielt Jakob mit Arve Henriksen und Jorge Rossy im Dortmunder Domicil. Einen Tag später, am Donnerstag um 21.05 Uhr, stelle ich „Taking Turns“ in Odilos Ausgabe der JazzFacts vor).
Ein Kommentar
flowworker
(A dream of an album – Taking Turns (a deepL translation)
Apart from my detour with Beth Gibbons to a Brussels beer bar near the opulent circus building where she had performed two hours earlier, the following story is no less touching. And just as fresh in the memory.
It all began on the Flowworker blog with an exchange of ideas about drummer Paul Motian. And now: a dream of an album. All six have met before or since, live, in studios, as a duo, trio, privately, whatever, but never again in this composition. Despite all the familiarity, between respect and friendship, ‘Taking Turns’ has nothing to do with ‘business as usual’. A day or two in the Avatar Studios. Magic cannot be programmed.
In order to get close to the trade secret of the album, one can confidently engage with the imagery of dreams. In fact, I was standing in an old record shop in Amsterdam and saw Henning rummaging in a compartment labelled ‘Dream on’. Instead of the usual headings, there were, compartment by compartment, instructions of poetic acuity and imprecision. The owner of the shop, Greg Fisch, caused a bit of a commotion when he kicked a jukebox with force, which resisted his repairing handles and refused to play ‘Take Five’ come hell or high water.
Lajla didn’t let this upset her and was already present in another world under the headphones, where Lucinda Williams was singing about the ghosts of a highway. At Rosato’s request, Jakob Bro’s ‘Taking Turns’ was playing on an aging Technics record player, and he seemed to be blown away. I hadn’t seen him for a long time. If I understood his words correctly in the twilight, he said: ‘…very strong, the fine lines these six draw. Such a wonderful melodic and tone-coloured polyphony moves me…’ Gradually, the almost incomprehensible mood of the album spread to everyone listening. ‘Burner,’ I said to Rosato, ’Burner!’ I’d also never before been in a record shop where candles replace the fading daylight after 6pm. As I said, a dream. How else can it be explained that the music has been dormant in an archive for ten years?