Shogun und die Recherche von Michael Zurl
(Diese kleine Erinnerung widme ich meinem alten Kameraden von der Brüder Grimm Volksschule Michael Zurl, der als Polizist in Dortmund, bis zur Rente, nie angeschossen oder zusammengeschlagen wurde, und der jetzt, als Privatdetektiv meines Vertrauens, bitte sehr alle Register ziehen soll, um Matthias S. alias B. ausfindig zu machen. Die besten Abenteuer finden nun mal im richtigen Leben statt. Also, hau rein, Michael, und komm mir bloss nicht damit, dass da wieder einer unserer alten Bande auf dem Friedhof liegt!)
E. versicherte mir nochmal, dass wir den Anfang der „Babyboomer“ bildeten, einer neuen Horde Heranwachsender, die sich Träume teilten, den Zauber von Räucherkerzen entdeckten, und die frühen britischen Magier der Popmusik unter der Bettdecke entdeckten. Natürlich waren wir offen für Helden, und einer meiner ersten war Robert Fuller aus der Westernserie „Am Fuss der Blauen Berge“. Wir hatten das Ölgemälde eines Niederländers im Wohnzimmer hängen, das mich mit seinem wundersam blauen Horizont zu allerlei Sehnsüchten von der Ferne animierte. Nachts erlebte ich mit meinem Traumbruder Okko die tollsten Abenteuer, und egal, wie bedrohlich die Gefahren waren, durch Schurken, Verbrecher, alte, einsam gelegene Häuser, er sorgte stets für ein Happy End. Als er mich nach Jahren entliess aus atemlos spannenden Serienträumen, musste ich die Welt allein erkunden, und natürlich spielte sich ein Teil der Sehnsüchte vor der eigenen Haustür ab.
Was gäbe ich dafür, die brutal gut kickende Beate in einer Zeitreise treffen zu dürfen, denn damals brachte ich vor Schüchternheit nur wenige Worte heraus. Und was war mit dem faszinierenden Wolfgang, der nie mit uns Kindern spielen durfte und uns ob von seinem Fensterplatz zuschaute? Mit seinem Karl May auf dem Fensterbrett. Den Begriff Rabeneltern kannte ich noch nicht. Dass die Kindheit ein anderes Land ist, ahnte ich einmal mehr vor Wochen, als die Suche nach meinem Blutsbruder im Sande verlief, und kein Protagonist von damals mehr auffindbar war oder willig, noch einmal aufzubrechen, um Pfeil und Bogen zu schnitzen auf den Kohlebergen.
Das Fernsehen, lange Jahre noch in Schwarzweiss, sorgte dann für weitere Fenster in die Ferne, die so nah schien, mit Fury und Lassie sowieso, aber auch mit Rin Tin Tin, Jimmy Nelson, dem Unterwassertaucher, und frühen Krimis zur Vorabendzeit. Als die Teenagerjahre kamen, vergrössere sich unser Serienhorizont mit den tollen Vierteilern, ob es nun mit Josef Meinrad a la Don Quichote durch die spanische Pampa ging, oder mit dem Schmökermeister Robert L. Stevenson auf die Schatzinsel. Es folgten vorher und nachher „Kobra, übernehmen Sie!“, „Mit Schirm, Charme und Melone“, „High Chaparall“ (wo die Bösen viel böser waren als auf der Ponderosa). Wir liessen uns sogar auf „Die Strassen von San Francisco“ entführen, obwohl das rückblickend viel „law and order“ war, und Hippies dort stets drogensüchtig oder schlecht gewaschen.
Sah man später die Wiederholungen, hatte der alte Zauber seinen Glanz verloren, und lieferte nur Nostalgie, oder Seninarstoff für TV-Historiker und Medienwissenschaftler. Als ich neulich eine alte Verfilmung aus England und dem Jahr 1959 sah, „Der Hund von Baskerville“, war das die „letzte Klamotte“, und um annähernd zu begreifen, wieso Arthur Conan Doyles Roman zu den grosseen Klassikern der Kriminalliteratur zählt, muss man das Buch lesen, oder lange nach einer gelungenen Verfilmung suchen.
Im Bücherschrank der Eltern eines guten Freundes, aber auch anderswo, tauchte 1975 vermehrt ein gewisser James Clavell auf, mir seinem „1000-Seiter“ „Shogun“. Zwei Kumpel war einen Zeitlang nicht mehr ansprechbar, und verschwanden zwischen den Buchdeckeln. Ich zuckte die Schultern, weil ich ja wohl kaum auf meine grosse Reise in die Bretagne mit Ulkrike U. so einen „Schinken“ dabei haben wollte, und legte das dritte Album von Soft Machine auf, und zog sowieso Bo Hanssons „Lord of the Rings“ dem dicken Erzählwerk vor – und so ganz langsam konnten auch Wildwestfilme langweilen. Es kamen dann Filme in die Kinos, die viel mit unseren wahren Horizonzten zu tun hatten, von „Easy Rider“ bis „Alice in den Städten“.
Ich erspare hier eine lange Liste, und komme zum Punkt. Über all die Jahrzehnte seit damals verschwand ich gelegentlich noch in opulenten Schmökern und versank darin so tief wie einst in die Reisen von Jules Verne zum Mittelpunkt der Erde oder sonstwohin. Und immer wieder mal lockte mich der Buchdeckel von „Shogun“. Als sollte ich etwas nachholen, und einem alten Zauber noch mal Gelegenheit geben für das grosse Abenteuer, das womöglich purer Eskapismus und Selbstfindung zugleich bereithielt. Oder war James Clavell nur ein grosspuriger Schwadronierer, mit billig-weit geöffneter Trickkiste?
Dann traf ich die Entscheidung und tauchte vor ein paar Wochen auf „Apple plus“ in alles zehn Folgen von „Shogun“ ein. Der tolle Spuk war nach drei Abenden vorbei, der Erzählstrom der Serie riss mich von Anfang an mit. Ganz grosses Kino entdeckte ich, und egal, ob das nun Michaels kleine Reisen in seine „SerienSchmökerJugend“ waren, und in ein Jahrhunderte altes Japan… nie dachte ich beim Schauen an Requisite und dramaturgische Tricks, mein kritischer Blick verlor sich im grossen Abenteuer, mit der gleichen Hingabe oder Liebe, mit der ich schon ein halbes Dutzend mal den „Spätwestern“ „Silverado“ sah.
Hier wie da, wie auch bei Enid Blyton und „Emil und die Detektive“ (wir waren in einem Klassenraum, als uns die dem Alkohol zugetane Religionslehrerin, in einem Anfall von Freigeistigkeit, Erich Kästners Erzählung vorlas, Kapitel auf Kapitel, über Wochen) – und wie auch bei unseren kleinen Abenteuern in Hombruch, ging und geht es um Freundschaft. Und wir waren beste Freunde, und sangen „Sunshine Superman“ zusammen, so weit unser Englisch reichte, wie schmetterten „Massachuseets“ von den Bee Gees, wir spielten Sonny Liston gegen Cassius Clay mit wilden Hieben, wie sahen im Wohnzimmer im Sommer 66 das „Tor von Wembley“, das keines war. Die Welt war noch schwarzweiss, und wir malten sie auf grossen Bildern bunt, das Rot war kamesinrot, auch das Blut, das aus der frischen Wunde spritzte, als ich Idiot vor deinen Augen einen Taschenspiegel zerbrach. Ich zeige dir demnächst die alte Narbe.
Ein Kommentar
Olaf Westfeld
Habe hier zu Hause die erste Folge „Shogun“ zwischen den Jahren geschaut – meine beiden Mitschauerinnen war das mit der japanischen Sprache dann zu anstrengend (liegt vielleicht daran, dass die beiden beim Fernsehen fast immer stricken und somit die Untertitel nicht lesen können. Aber ich denke, ich werde mir in dieses Jahr die Serie noch gönnen – nun beginnt wieder die Fernsehzeit.