Alte und neue Musik
Diese Woche beim „Warm-Up“ der Einstürzenden Neubauten in Potsdam, einem kleinen Vorabkonzert vor der offiziellen großen Tournee. Das Programm des Abends (und vermutlich auch der Tournee) setzt sich zum größten Teil aus Stücken der letzten beiden Alben zusammen. Ganz wenige Ausreißer: Drei Stücke von Silence is sexy (2000), dem ersten Album der aktuellen Besetzung mit Moser und Arbeit, Susej von 2007 und How did I die? vom Erster-Weltkrieg-Jahrestagalbum Lament (2014).
Wie schon im Frühjahr berichtet: es ist beeindruckend, mit welcher Meisterschaft die älteren Herren die Vielzahl an unorthodoxen Instrumenten (Einkaufswagen, Turbine, Plastikrohre, Metall usw.) einzusetzen vermögen und man niemals auch nur das Gefühl bekommt, dass hier etwas rein zum Spektakel oder in Beliebigkeit benutzt wird. Zwar bestärkte sich mein Eindruck, dass die Stücke auf dem neuen Album oftmals zu ähnliche Crescendo-Dramaturgien und auch teils sogar recht ähnliche Texte und Textkompositionswege einsetzt – daher wäre etwas mehr Abwechslung etwa durch mehr Titel früherer Phasen der Band sicher nicht verkehrt gewesen; auf der anderen Seite kann man es den Herren hoch anrechnen, dass sich sie mit Mitte 60 nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen und vor allem die schon sehr häufig gespielten Sachen einfach weiterspielen, sondern sich auf das neue Material des mittlerweile fünften Bandjahrzehnts fokussieren. Und ihr ganz eigenes, unvergleichliches Ding machen. Ich meine, das tun viel zu wenig Musiker/innen dieser Generation.
Darüber hinaus habe ich gerade eine CD wieder gekauft, die ich vor zwanzig Jahren schon einmal gekauft habe. 2004 wurde ich erstmals so richtig auf Mark Lanegan aufmerksam, als ich die Besprechungen seines Albums Bubblegum las – damals sein erstes nach fünf Jahren Veröffentlichungspause; und es wurde zu dem Zeitpunkt auch viel über den selbstdestruktiven Lebenswandel des Ende-30-Jährigen geschrieben. Ich kannte Lanegan nicht, auch weil ich die mit ihm assoziierten Bands Queens of the Stone Age und Screaming Trees nie gehört hatte. „Bubblegum“ hat mich in seiner Kantigkeit und mit der rauen Stimme und der durchdringenden Energie sehr angesprochen, ich habe die 15 Songs oft gehört, ein bluesiger Trip mit einem ungewöhnlichen, episodenhaften, latent heterogenen Charakter und ist doch eine absolut runde Sache.
In der Folge habe ich mir die meisten seiner Alben zulegt und gerne gehört. Schlechtes oder Mittelmäßiges kenne ich von ihm nicht, wenngleich mir die Duoalben mit Isobel Campbell (ehemals Belle and Sebastian) eher etwas zu nett waren. Bis kurz vor seinem frühen Tod mit 57 vor zweieinhalb Jahren blieb Lanegan rastlos und kreativ, schrieb auch ein empfehlenswertes autobiografisches Buch (Sing Backwards and Weep), entschuldigte sich persönlich später bei einstigen Freunden und Bandkollegen dafür, wie er über sie geschrieben hatte. Leider habe ich die Gelegenheit versäumt, ihn mal live zu erleben; nach Berichten von Bekannten muss er ein sehr freundlicher Zeitgenosse gewesen sein, der nach Konzerten gerne mit Fans geplaudert hat.
Zum zwanzigsten Geburtstag erschien Bubblegum jetzt als 3-CD-Set als Jubiläumsausgabe Bubblegum XX. Und es ist der seltene Fall, dass die beiden Zusatz-CDs (12 Songs der einer „EP“ auf CD2, und 13 „unreleased songs and demos“ auf CD3) durchweg hörenswert sind, auch in der Gesamtheit. Unter dem Zusatzmaterial ist keinerlei Ramsch oder beliebige Liveversionen anzutreffen. Und das Wiederhören bekräftigte meinen seit zwanzig Jahren bestehenden Eindruck, dass Bubblegum womöglich der Höhepunkt von Mark Lanegans Werk ist. Zumindest ist es nach wie vor mein liebstes Album von ihm. Einige andere kann ich gleichwohl auch empfehlen.
„It’s a fantastic album, and definitely up there as one of Mark’s best in his entire discography. The reissue is a brilliant way to commemorate how much of a force he was. His songwriting was second to none, and he took his love of music and discovering artists and used it to forge a legacy that spanned decades. Influencing so many artists and genres to this day.“ – Adam Reeve (deadgoodmusic), August 28, 2024
7 Kommentare
Olaf Westfeld
Das Konzert hat sich also gelohnt. Die Neubauten spielen im Oktober hier, ich habe Herbstferien – da werde ich wohl hingehen. Andererseits spielt Nick Cave kurz davor/danach in Hamburg, „Wild God“ läuft hier gerade recht viel 🤔ich glaube aber, ne Fahrt ist mir gerade zu viel, leider.
Mark Lanegan habe ich immer aus der Ferne verfolgt, einzelne Track gemocht, die Autobiographie ist mir oft empfohlen worden – habe aber noch nie ein ganzes Album gehört. Bestimmt toll.
Henning Bolte
Schön, ab und zu was Liviges griffig. nahegebracht. Tom Waits beschrieb den Gebrauch unüblicher Klangerzeugung um 1999 (zur Zeit seines Albums MULE VARIATIONS) lebendig aus interessanter Perspektive :
„I like to imagine how it feels for the object to become music. Imagine you’re the lid to a fifty-gallon
drum. That’s your job. That’s your whole life. The one day I find you and I say: “We’re gonna drill a hole in you, run a wire through you, hang you from the ceiling of the studio, bang on you with a mallet, and now you’re in show business, baby!““
More from a conversation about MULE VARIATIONS, among others about finding adequate ‚instruments‘ and how overlaps of Leadbelly and Schoenberg can appear in the music, you can find here
https://www.youtube.com/watch?v=BIhkq1CewdE
Norbert Ennen
Habe mir das Remaster von Bubblegum auch kürzlich zugelegt, Allerdings nur als Vinylversion ohne die ganzen Bonustracks. Besitze auch die 5 LP-Box der früheren Alben, Kann Ingo nur zustimmen. Bubblegum ist sein bestes.
flowworker
Witzig, dass ausgerechnet ich in einem kleinen überfüllten Berliner Club Mark Lannegan live sah, und zwar zusammen mit Isobel Campbell auf der Bühne. Und zuvor spielte der Bandleader von Gorky Zygotic Mynci… (Michael)
Norbert Ennen
Und ich sah ihn einmal mit den Screaming Trees im Alhambra in Oldenburg. Meine Freunde und ich waren damals ziemlich beeindruckt. Der ganz Grunge-Shit danach……..? Naja……..Gorky Zygotic Mynci. Was ist aus denen eigentlich geworden?
Olaf Westfeld
Oh, ich glaube die habe ich mal im Vorprogramm von Stereolab gesehen, 1999 oder so. Keine Erinnerung an die Band… das Stereolab Konzert war aber gut.
Pingback: