Kunst in Norwegen

Frisch zurück gekommen in Berlin war ich gestern, quasi nebenan, bei einer langen, sehr tollen Konzertveranstaltung mit Dell-Lillinger-Westergaard und vielen Gästen. Enorm beeindruckend vor allem Christian Lillinger. Zwar kannte ich ihn schon, aber nicht in diesem Umfang. Unfassbar, was der so alles auf dem Schlagzeug anstellt.

Am Freitag wollte ich auf dem Blog eigentlich mein neu geschnittenes ECM-Interview zu John Surmans Achtzigstem posten, aber hab’s zeitlich einfach nicht hinbekommen bzw. wusste nicht genau, was ich da noch an Blogeintrag hinzufügen sollte. Nicht alle Beiträge der letzten Tage gelesen, gerade nur mal überflogen, aber es scheint, niemand hat zu diesem Anlass an Surman erinnert..? Daher hier ohne weitere Ausführungen mein Gespräch mit ihm, schon vor einiger Zeit in seinem Heimstudio aufgezeichnet, und nun pünktlich zum runden Geburtstag editiert.

In Norwegen haben wir aufgrund des unablässigen Regenwetters und der teils einstelligen Temperaturen leider wenig Zeit in der Natur verbracht, dafür umso mehr in beheizten Innenräumen und Museen. Zum Abschluss der Reise endlich mal im Nasjonalmuseet in Oslo: Das neue Gebäude hatte ich bislang nur immer von außen gesehen, während der Bauzeit und seit der Fertigstellung 2022. Was könnte es da Besseres geben als eine Doppelretrospektive mit Mark Rothko und Anna-Eva Bergman? Das geht großartig zusammen. Aber es fällt dabei auf: Retrospektiven können den Kunstwerken gegenüber auch ungerecht werden, selbst wenn die Auswahl und Präsentation hervorragend ist und man daran nichts aussetzen kann. Rothkos Werke verlangen eigentlich viel Raum und Zeit. Sieht man so ein großes Lebenswerk im Schnelldurchlauf, stellen sich plötzlich einzelne, große, Intensive Gemälde kleiner dar, als sie eigentlich sind. Die Bilder verschiedener Jahre schnurren zu einem über-intensiven Farbkosmos zusammen und stehen plötzlich in ein und derselben Zeitebene unmittelbar nebeneinander, wie in einer Zeitreise sich begegnend. Diese persönlichen Werke, in denen so viel Emotionalität festgehalten wurde, scheinen sich auf die Füße zu treten, in der Gegenwart gefangene Zeugen verschiedener Vergangenheiten.


Man kann eigentlich nicht genug Zeit in diesen Räumlichkeiten verbringen, um dem emotionalen Gehalt dieser Bilder gerecht zu werden. Fast aus Überforderung kaufte ich den Ausstellungskatalog, obwohl ich weiß, dass die Bilder darin nicht ansatzweise so lebendig sind wie in echt. Aber wie oft kann man sie in real life sehen? Und erinnern und die Erfahrung im Kopf reproduzieren kann ich sie vielleicht mit Hilfe dieses tollen Buchs. Daneben seine Zeitgenossin Anna-Eva Bergman. Kannten sich die beiden? Bei aller Unterschiedlichkeit treten hier auf einmal erstaunliche Parallelen zutage. Einige Bilder hatte ich im alten Gebäude vor einigen Jahren schon gesehen. In drei Wochen komme ich wieder her, und dann nehme ich mir noch einmal etwas mehr Zeit für die beiden Ausstellungen. (Nachdrückliche Empfehlung, die oben verlinkten Videobeiträge zu den Ausstellungen anzuschauen, wer es bis in drei Wochen nicht nach Oslo schafft.)

Einige Tage zuvor besuchten wir, Empfehlung von Benedicte Maurseth, das Astruptunet in Jølster: Wohnhäuser, Ateliers und Gärten, einst von Nikolai Astrup und seiner Familie bewohnt und bewirtschaftet, nun wieder in einen Zustand versetzt, der dem nahekommt, wie er zu deren Lebzeiten war. Dazu ein Haus mit einem soliden Querschnitt durch Werk und Werkzeug der Astrups, Malerei, Drucke, Textilkunst. Eindrucksvoll. Besonders gut: Die typischen norwegischen Sonntagswaffeln und Sveler (dicke Pfannkuchen). Auch im Regen einen Besuch wert. 

7 Kommentare

  • flowworker

    Mir geht es in Ausstellungsräumen oft so, wie von dir beschrieben. Im Grunde war ich wohl deshalb nur sehr selten auf grossen Ausstellungen. Andere können das, für mich ist das meist too much.

    Wenn ich zurückblicke, auf einige Highlights: 1) Kandinsky in der Tate Modern (ausgerüstet mit aller Technik, erfuhr ich da viel, und morgens war noch nicht viel los) 2) Bill Viola in Frankfurt (verteilt über die City, in vielen Räumen, oft verdunkeltes Licht, zog mich in die Atmosphären rein), 3) erste Audio Video Installationen von Brian Eno (ich mochte die Idee stiller Clubs und auch hier die verdunkelten Räume). 4) deutsche Fernsehgeschichte in Oberhausen (das war sehr trubelig, aber voller Zeitreiseeffekte in die Jahre der Kindheit und Jugend).

    Und jetzt: Mr. John Surman!!! 🥁

  • Ingo J. Biermann

    Ganz so groß ist die Rothko-Ausstellung tatsächlich gar nicht.
    Ich habe schon tolle Retrospektiven gesehen, mag das Format prinzpiell auch sehr gerne, weil ich ein großer Freund davon bin, so gesamte Lebenswerke in ihrer Entwicklung nachzuvollziehen, höre z.B. auch gerne mal die Alben von Musikern oder Bands in chronologicher Reihenfolge und mag das Konzept der Reise durch ein ganzes Werk (z.B. Diskografie) anhand der Aussagen der Künstler/innen.

    Die letzte Gerhard-Richter-Retro (ich wohne fast neben der Neuen Nationalgalerie) in Berlin fand ich auch großartig. Vielleicht ist es auch noch mal ein bisschen was anderes, eine Retrospektive eines lebenden Künstlers zu sehen. Bei Richter stellen sich auch hochinteressante Querverbindungen zwischen Werken verschiedener Phasen her
    Ich habe mich gefragt, ob Mark Rothko die Ausstellung so kuratiert oder abgenommen hätte.

    Die Werke sind ohne Frage hervorragend, und die Osloer Retro auch gut kuratiert. Sie hat eben nur einen vorwiegend „musealen“ Charakater, zeichnet chronologisch nach, wie sein Werk sich entwickelte und ergänzt das um Biografisches, wie solche Retrospektiven ja eigentlich in den meisten Fällen es tun.

  • flowworker

    Bei wordpress gab es ja ein paar Veränderungen. Wie man Fotos per Klick vergrössert, muss ich neu lernen. Bei dir klappt es:

    Und was für fantastische Landschaften öffnen sich da bei dir!!!!!!

    M.E.

  • Lajla

    Am Donnerstag, den 5.9. wird die Gerhard Richter Ausstellung mit geheimen Schätzen in Düsseldorf eröffnet Ich lasse eigentlich keine Richter Ausstellung aus, wenn ich in der Nähe bin. So wird es auch mit Bob Dylan sein. Er spielt am 27.10. in Düsseldorf, ich werde hingehen, weil ich noch in der Stadt sein werde.

  • Olaf Westfeld

    Ja – sehr schönes Fotos. Und danke für das tolle, informative Interview! Surman ist eine der Künstler, die ich in diesem Jahr am meisten gehört habe. Insofern kommt das genau richtig.

    Ich werde Mitte Oktober in Oslo sein, leider ist die Rothko Ausstellung dann schon vorbei. Vor 10 Jahren oder so war ich in der Tate Modern auf einer Retrospektive von ihm, die mich sehr überrascht und gefesslt hat. Die Bilde hat man ja schon auf zahllosen Kalendern und Drucken gesehen. Die Orginale hatten dann aber eine andere Wucht. Das ist ja ein Gemeinplatz und fast immer so – aber hier spielten Formate und Farbigkeit noch einmal eine andere Rolle. Meine Retina war von den unterschiedlichen Farbflächen ziemlich gefordert und hat irgendwann selbstsame Dinge gemacht.

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