Unter Kraftwerks Einfluss
Vor einigen Wochen habe ich in einer „Elektro Beats“-Sendung des RBB im Gespräch mit Olaf Zimmermann gesagt, der Einfluss Kraftwerks auf die amerikanische Musikszene werde in Deutschland gern ein bisschen überschätzt. Das führte zu einem spürbar aufgeregten Protest eines Hörers und einem daraus folgenden kleinen Email-Pingpong. Meine (leicht nachbearbeitete) Antwort auf seine letzte Message stelle ich nun auch hier in den Blog, just for fun — vielleicht interessiert sie ja jemanden.
Lieber M., ich bitte Dich, bei dem zu bleiben, was ich in der Sendung gesagt habe: dass man in Deutschland den Einfluss Kraftwerks auf die amerikanische Musikszene gern ein bisschen überschätzt. Nicht mehr und nicht weniger.
Wenn Du ein paar Jahre hier in den USA lebst, dann merkst Du, dass es hier keine Rolle spielt, was in Deutschland passiert oder was Deutschland zu irgendeiner Angelegenheit meint. Wie oft lese ich in der deutschen Presse oder in deutschen FB-Kommentaren, „das Ausland“ würde sich mal wieder über diese bekloppten Deutschen kaputtlachen oder nur noch den Kopf schütteln — die Wahrheit ist aber, dass Deutschland in der New York Times mit viel Glück auf Seite 5 in einer viertel Randspalte vorkommt. Wenn Du hier irgendwen auf der Straße fragst, wer der deutsche Bundeskanzler ist, wird das der eine oder andere mal gehört haben, aber wer die deutsche Außenministerin ist, weiß hier kein Mensch. Mit Kraftwerk ist das nicht anders. Eher kennen die Leute Giorgio Moroder oder Hans Zimmer, aber die leben ja hier.
Dieser Spruch „More influential than the Beatles“, auf den Du mich hinweist, ist erstens uralt, stammt, glaube ich, aus der Los Angeles Times, und war zweitens schon immer unsinnig. Woran wird denn das gemessen? Der Spruch vergleicht in geradezu klassischer Weise Äpfel mit Birnen, ohne dass es irgendeine empirische Möglichkeit gibt, den Einfluss zu messen. Was, konkret, soll es denn gewesen sein, das Kraftwerk in die amerikanische Musikszene eingebracht hat, das es nicht zumindest im Entwicklungsstadium hier schon gab? Also lass uns das mal unter PR abheften.
Aber wenn Du mir nicht glaubst, dann lass mich auf zwei Bücher hinweisen, die Du vielleicht glaubwürdiger findest. Das erste ist von Will Hermes und heißt „Love Goes to Buildings on Fire“ (ich nehme an, Du kannst den Titel einordnen). Hermes schildert die Entwicklung der New Yorker Musikszene vom Punk bis zum HipHop, und das sehr kompetent, detailliert und liebevoll. Kraftwerk kommt darin genau zweimal vor, die Nennungen beziehen sich auf Trans Europe Express, und auch da nur auf das Titelstück, nicht auf den Rest des Albums. Der DJ Afrika Bambaataa hat das Stück für sich entdeckt, weil es sich exzellent in das einfügen ließ, was er und andere bereits machten (die Wurzeln dessen habe ich Dir früher schon genannt — u.a. den Motown- und Stax-Soul und den elektrischen Miles Davis). Dadurch wurde das Stück eine Zeitlang zu einer Art „Dance Music Template“ bei New Yorker DJs, die das Stück, besonders den „Metall auf Metall“-Teil immer wieder spielten. Grandmaster Flash zum Beispiel hat das Stück fest in seine Shows eingebaut, aber unverändert und ohne DJ-technisch irgendwas damit anzustellen. Von da aus ging es dann u.a. nach Detroit. Blondie, die Du erwähnst, haben es live auch eine Zeitlang in ihre Shows eingebaut als eine Art Teppich, auf dem sie eigene Sachen spielten.
Das war’s aber dann im wesentlichen. Es haben sich einfach Wege zu einem bestimmten Zeitpunkt überkreuzt. Kraftwerk ist danach seinen Weg weitergegangen, und die HipHop/House-Szenen sind ihren Weg ebenso weitergegangen. Die letztere war dabei vorrangig angetrieben durch die ständigen neuen Produkte der Musikelektronikindustrie. Schon Kraftwerks auf TEE folgendes Mensch-Maschine-Album war ja ein völlig anderes Ding, auch wenn die Kraftwerker so clever waren, die Platte von Leanard Jackson, dem Assistenten des alten Motown-Veteranen Norman Whitfield, abmischen zu lassen (wobei ich dessen Einfluss nicht wirklich heraushöre).
Und nochmal: Ich rede von den USA, nicht von England — da sah es anders aus mit Kraftwerks Einfluss.
Das zweite Buch hast Du ja vielleicht schon selbst entdeckt, das Kraftwerk-Buch von Carsten Brocker. Das ist eine Dissertation, sie zu lesen ist harte Arbeit. Lohnt sich aber in unserem Zusammenhang, denn Carsten ist selbst Musiker (er spielt bei Alphaville) und analysiert gründlich und bis in kleinste Details hinein, was von Kraftwerk sowohl technisch wie musikalisch und zeitlich in die House- und HipHop-Szene eingegangen ist. Er kommt nach vielen Seiten und Exkursen letztlich zu dem selben Schluss wie ich, nämlich dass das alles so gewaltig nicht war.
Jetzt kannst Du Dir noch den Spaß gönnen, den ich mir gerade gegönnt habe, nämlich mal das Web zu durchforsten, welches eigentlich die meistgesampelten Platten in House und HipHop sind. So leid es mir tut, Kraftwerk taucht erst unter ferner liefen auf.
Und nun nochmal, damit es klar ist: Das alles heißt nicht, das Kraftwerk hier in den USA nicht seine Fans hat. Ich würde auch jedem, der sie noch nicht gesehen hat, empfehlen, sie sich nicht entgehen zu lassen. Kraftwerk ist ein absolut solitäres Projekt. Aber was man wirklich von ihnen hier in Erinnerung hat, sind die Roboter in den roten Hemden und schwarzen Krawatten. Die bekommen bei ihrem Erscheinen auf der Bühne noch immer mehr Beifall als die eigentlichen Musiker.
Damit dann auch schöne Grüße an den von Dir wegen seiner Bundestagsrede erwähnten König Charles, der Kraftwerk offenkundig auch kennt. Aber klar, er ist ja Engländer.
6 Kommentare
flowworker
Waren die Mails des Hörers auch so unterhaltsam? Das Pong in diesem Ping Pong ist auf jeden Fall hochinteressant. (michael)
Michael Engelbrecht
Von meinem sehr kurzen Email Ping Pong mit einem erbosten Hörer hier das Ping (diese Mail eines Landwirts aus dem Hessischen ist nun auch schon wieder viele Jahre her… und die Beatles spielen hier auch wieder eine Rolle…)
Sehr geehrter Herr Engelbrecht,
darf man als Musikredakteur eigentlich jeden dummen Gedanken ins Mikrofon reden? Ich war so begeistert von der Musikauswahl, die ich morgens von 4:00 bis 6:00 Uhr hören konnte, wenn ich mir nicht diesen mir vollkommen unverständlichen Kommentar, von Ihnen, zu dem kurzen Song von John Lennon hätte anhören müssen. Warum setzt bei den meisten Musikredakteuren, leider auch bei Ihnen, die reale Wahrnehmung aus, wenn sie eine vermeintliche Wesensverwandschaft, Urheberschaft, Wurzel mit der Musik ihrer Götter zu erkennen glauben. Das von Ihnen gewählte Stück von Lennon ist sowohl von der lyrischen Qualität des Textes, noch seines Inhalts und der musikalischen Qualität nichts, aber auch gar nichts, dass auch nur ansatzweise etwas von einer Musc for Installations hat. Das sind infantile Finger- und Textübungen die schon zu der Zeit in der sie veröffentlicht wurden überschätzt wurden. Ich sitze hier vor dem Radio und bin mal so richtig enttäuscht. Da macht einer etwas Schönes und Interessantes und auf einmal verwirren sich seine Gedanken und in seiner Einfalt glaubt er den Säulenheiligen seiner musikalischen Erweckung müsste er seine Ehre erweisen. Der ganze schöne Eindruck des bis daher und von dem danach Gehörten, ist dahin. Wissen Sie überhaupt, welches Glück sie haben, dass Sie ihr liebstes Hobby zu ihrem Beruf machen konnten? Warum glauben Sie, uns dann so etwas unterschieben zu müssen? Ich hoffe auf Besserung.
Mit freundlichen Grüßen,
K. R.
Olaf Westfeld
Wirklich interessant. Ich habe Kraftwerks Einfluss nun nicht soooo groß, aber auch nicht ganz unbedeutend eingeschätzt, vielleicht weniger auf Hip Hop, als auf House und Detroit Techno. Aber in letzten beiden Genres kenne ich mich auch eher wenig aus.
Michael Engelbrecht
Ich meine mich zu erinnern dass der eine oder andere Crack der Detroiter Technoszene Kraftwerk bewunderte …
Michael
Jan Reetze
Ja, das stimmt. Es gibt ja durchaus etliche Parallelen zwischen Kraftwerk und House. Frankie Knuckles als einer der House-Urväter etwa hat in seine Sets auch gelegentlich „Mensch-Maschine“-Beats eingebaut. Trotzdem frage ich mich, ob man das wirklich schon als „Einfluss“ bezeichnen kann. Es ist ja offenbar so gewesen, dass bestimmte Kraftwerk-Schnipsel sich gut in das einbauen ließen, was die House-Leute entwickelt hatten. Das muss also bereits vorhanden gewesen sein. House stammt ja in erster Linie aus Chicagoer schwarzen Schwulendiscos, und die DJs haben da alles mögliche zusammengemixt, vom klassischen Soul über den Phillysound bis zu Moroder und das YMO. Und mit den Roland-Drummachines und -Basslines, die die DJs und Musiker eingesetzt haben, landet man schon fast automatisch bei solchen Maschinenbeats.
Dann kommt natürlich noch ein gewisser Exotenbonus hinzu. Wenn im finstersten Detroit eine weiße Hi-Tech-Elektronikband aus Düsseldorf ankommt, die entfernt so etwas ähnliches macht wie die schwarze Szene dort, dann hat es natürlich für beide Seiten seinen Reiz, sich anzufreunden.
flowworker
Yep. Und dann denke man an das finstere Detroit, all Armut, die heruntergekommenen Viertel, die sozialen Wirklichkeiten, aus denen oder vor deren Hintergrund dort Techno entstand… und dann diese ganze anderen Sphären von Kraftwerk, mit der leisen Melancholie, der feinen Nostalgie… das war schon eine völlig andere Welt…mehr Rhythmus- als Seelenverwandtschaft.